Fenster schließen  |  Fenster drucken

Fortsetzung: Artikel aus Stern-online vom 10.7.2001:

Das Passiv verrät schon viel: Eigener Antrieb war nicht dabei. Die junge Hannelore Renner, Jahrgang 33, ist bereits mit zwölf erwachsen, wie sie später erzählt. Noch Kind, hat sie bereits schlimmere Erfahrungen hinter sich, als gefestigte Charaktere verarbeiten können. Zunächst Kriegshilfsdienst als Zehnjährige im sächsischen Döbeln: Tote bergen, Verletzten und Müttern helfen, deren Kinder erfroren sind. Dann Flucht mit der Mutter nach Westen, die Füße in zurechtgeschnittenen Gummireifen. Nächte in Straßengräben und Heuschobern. Ständiges Hungern, das bisschen, was es zu essen gibt, muss sie klauen. Schließlich die russischen Soldaten. Frauen werden vergewaltigt, geschlagen, manche totgeprügelt, auch Hannelore kommt nicht davon, wird schwer am Rücken verletzt.

Wenigstens den bereits tot geglaubten Vater treffen sie wieder. Die Familie schlägt sich nach Mutterstadt bei Ludwigshafen durch, wo die Großeltern wohnen. Aber auch deren Haus ist zerstört. Sie kommen in einer 15 Quadratmeter kleinen Waschküche unter.

Hannelore Kohl spricht, wie viele Flüchtlinge, später nicht gerne von dieser Zeit. Nur einmal bricht es aus ihr heraus: "Man hat mich später als Kriegsversehrte mit 5000 Mark abgeschädigt. Nicht gutzumachen waren die seelischen Belastungen." Gut erklärlich jedenfalls ihre peinliche Ordnungsliebe - von der Frisur bis zum akkurat gestutzten Rasen - und ihre Definition von Luxus: ein eigenes Badezimmer, das man abschließen kann. Und Ruhe. Viel Ruhe.

Schmerzlich getroffen hat sie deshalb, wie sich die Beziehung zu Kohl nach dessen Machtverlust entwickelte. Da war zunächst Hoffnung gewesen: auf mehr Privatheit und gemeinsame Zeit. Sie träumte davon, nicht mehr täglich im "Fadenkreuz der

Medien" zu stehen, die Popularität loszuwerden, "die man auf den Schultern hat". Nicht länger auf der Hut sein bei jedem Wort. Nicht so oft zu warten.

Kaum entkanzlert, macht Kohl jedoch keineswegs, was seine Frau erhofft haben mag, Pause und in Familie, sondern suhlt sich im Glanz der Feiern zur zehnjährigen Wiederkehr des Mauerfalls, hält, überzeugt von seiner Unentbehrlichkeit, in der Unionsfraktion Hof und rauscht ungebremst in der Weltgeschichte herum. Polens Präsident Aleksander Kwasniewski, der
Heilige Vater, Roman Herzog, Egidius Braun - kaum einen lässt der Rundumbesucher aus. Ansonsten sitzt er in seinem Büro Unter den Linden und - auch in sitzungsfreien Wochen - in der Berliner Wohnung, die sie liebevoll möbliert hatte. Sie sitzt im bekannten falschen Film: Hannelore allein zu Haus.

Der Spendenskandal belastet sie, für ihn ist er die Rechtfertigung seiner nimmermüden Berlin-Präsenz. Sie bleibt einsam. Nur jetzt, da die Söhne aus dem Haus sind, spürt sie diese Einsamkeit schmerzlicher als früher, als sie für den "Famillje"-Kanzler eine heile Welt organisieren musste, an der er kaum teilnahm.

Selten Zweisamkeit
Zweisamkeit hat es in dieser Ehe selten gegeben. Einmal im Jahr verzieht sich Kohl zum Fasten nach Bad Hofgastein - allein. Im Sommer geht?s 30 Jahre lang zusammen an den Wolfgangsee, aber das ist vor allem Show für die angereisten Fotografen: Das Kälbchen im Stall des Bauern Josef Rentsch tätscheln, Kätzchen streicheln. Frau Hannelore beim Abtrocknen zur Hand gehen. So mochte er es, drei Wochen im Jahr.



DEUTSCHLAND
Seite 10 von 13
Abschied. Hannelore Kohl verlässt ihren Mann




"Ortsveränderung mit Bonner Elementen", nennt sie es. Der Gemahl empfängt ständig Gäste aus Politik und Presse und ist noch im Urlaub "wahnsinnig pünktlich". Sie möchte dagegen endlich mal fünf gerade sein lassen. "Das ist es doch. Aber er hängt dauernd an den Drähten."

Hinter der Attitüde des treusorgenden Vaters versteckte er den Egomanen. "Ich mache, was ich für richtig halte", war einer seiner Lieblingssätze. Ich, ich, ich. Privat gefiel er sich in der Rolle des Paterfamilias. Der bei Tisch den Wein ausschenkt und die Frau im Hause für die Nestwärme verantwortlich macht. Sie sorgt für die kleine Welt, er ordnet die große.

Hat er seine Frau um Rat gefragt, seine Nöte mit ihr besprochen, sie in sein Leben einbezogen? Im "Tagebuch 1998 - 2000", in dem Kohleone sich den Frust über die Schwarzgeldaffäre von der Seele schreibt, kommt die Gattin nur am Rande vor - und dann vor allem in der Rolle einer besseren Angestellten. Sie darf ihn zu zwei, drei Festivitäten begleiten und ihm helfen, Spenden zu akquirieren, damit er wenigstens den Geldschaden begleichen kann, den er mit seinem Festhalten am Ehrenwort bei der CDU angerichtet hat.

Dankbarkeit mag sie dafür erwartet haben; bekommen hat sie sie nicht. Jedenfalls nicht in einer Form, die wirklich zählt. Wie viele - vielleicht sogar die meisten - Politikergattinnen hat Hannelore Kohl die Karriere ihres Mannes eher skeptisch verfolgt, hat insgeheim gehofft, dass es irgendwann ein Ende hat damit. Sie hofft es Jahr um Jahr. Vergebens. Zuletzt setzt sich Kohl auch noch über sein Versprechen hinweg, nach 1994 auf keinen Fall mehr weiterzumachen.

Nur gelegentlich bricht sie aus und amüsiert sich solo. Wie am 13. September 1999 im Berliner Ritz-Carlton-Schlosshotel, wo der Komponist Jack White den Börsengang seiner Firma feiert. White erinnert sich: "Johnny Logan hat gesungen - ein
traumhafter Abend. Ich bin um zwei oder drei nach Hause gegangen, und Frau Kohl tanzte immer noch. Ich hab mir von meinen Freunden sagen lassen, dass sie bis in die frühen Morgenstunden getanzt hat und eine der Letzten war, die gegangen ist. Sie hat sich so wohl gefühlt, das war so toll, die war so gut drauf."

Tragische Lebenslüge
Die Tragik im Leben der Hannelore Kohl liegt darin, dass sie die Lebenslüge der heilen Familie stets mitgemacht hat. Sie ließ sich auf Kohls Lebensziele verpflichten, als wären sie ihre eigenen. "Es ist eines der wesentlichen Dinge im Leben, dass man weiß, wann man sich zurücknehmen muss." Damit hat sie sich ihm ausgeliefert. Er wiederum hat ihr Leben rücksichtslos besetzt und benutzt für seine Karriere. Unbegreiflich, wie sie jemals die Hoffnung hegen konnte, dieser Mann würde im Ruhestand Gefallen daran finden, den Rasen zu mähen und Rosen zu züchten. Kohl kann nicht anders: Sein Selbstbild verpflichtet ihn aufs Bäumeausreißen - in Berlin hat er sich soeben mal wieder ungebeten als Wahlkämpfer aufgedrängt.

Mag sein, dass sie daraufhin endgültig resigniert hat. Begriffen hat, dass einer wie Kohl sich nicht ändern und sich nie auf sie und ihre Bedürfnisse so einlassen wird, wie sie es umgekehrt getan hat. Mag sein, dass sie sich in diesem Augenblick aus der vor vielen Jahren selbst auferlegten Pflicht entlassen hat, perfekte Kanzlerfrau zu sein. Stets mit Betonfrisur, immer mit puppengleichem Lächeln und oft mit Kragenbluse. Brav, bieder und offenbar ohne eigene politische Ansichten. "Anpassen", sagte sie, "ist für mich kein schlechtes Wort."

Fix war das Bild der "Barbie aus der Pfalz" fertig. Für eine Provinzkuh habe man sie gehalten, gestand sie 1998 dem ?. Für "blond und blöd". Bei der es nur dazu reicht, für den Dicken Saumagen zu braten und mit dem Hund in die Hundeschule zu gehen.

Wer hat schon mehr gewusst über die andere Hannelore Kohl? Darüber, wie sie auch sein konnte. Eine fröhliche Frau, die gerne lachte. Die beim Fototermin im ungeliebten Bonner Kanzlerbungalow plötzlich "Du Schweinehund!" zischte und dem verdatterten Fotografen freundlich erklärte: "Man hat mir gesagt, dass der Mund auf Fotos besonders schön aussieht, wenn man Schweinehund sagt." Sie mochte es nicht, wenn sie mit "Frau Bundeskanzler" angeredet wurde. "Ich bin nicht Bundeskanzler", antwortete sie dann. Zuständig für die Strickwesten des Staatsmannes sei sie, spottete sie zuweilen über ihre Rolle. Sie konnte locker sein und leicht auch spitzzüngig. Wer hätte gedacht, dass sie einen heißen Reifen fuhr. Manchmal so schnell, dass ihre Bewacher nicht mithalten konnten. Sie parlierte fließend Französisch und sprach Englisch akzentfreier als Henry Kissinger.

50 Jahre Kohl - die hat sie mit unendlicher Selbstverleugnung ausgesessen. Stolz war sie auf anderes. Auf ihre Arbeit als Gründerin und Präsidentin des Kuratoriums ZNS, das sich um Unfallopfer mit Schäden des Zentralnervensystems kümmert. Mehr als 30 Millionen Mark hat sie dafür zusammengebettelt.

ZNS, das war das Kürzel für ihr Leben aus eigener Kraft. Über 150 Reha-Zentren hat die Stiftung finanziert. Dafür setzte sich Hannelore Kohl in Talkshows ein, obwohl sie die Neugier hasste, die sie dort befriedigen musste. Ein Kochbuch hat sie

herausgegeben, sehr zweideutig: "Was Journalisten anrichten", Vorträge gehalten. Da wurde die Hannelore Kohl jenseits von Oggersheim sichtbar, ohne die Maske der hausbackenen Kanzlergattin, die zu tragen sie so viel Kraft gekostet hat.

Jeder Freitod eine Botschaft
Einen ihrer letzten Auftritte hat sie in der Nacht zum Jahrtausendwechsel, als der Ex-Kanzler demonstrieren will, wie wenig ihm die Attacken wegen der Schwarzgeldaffäre anhaben können. Das Paar feiert in Berlin - öffentlich. Kohl notiert später: "Ich versuche, sie in der Silvesternacht an schönere, bessere Zeiten zu erinnern." Welche waren das wohl? "Beispielsweise an die Silvesternacht vor zehn Jahren, als wir gerade bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen so erfolgreich abgeschnitten hatten und die Regierungsverantwortung für das erstmals vereinte Deutschland übernehmen konnten." Auch hier: Selbst wenn er an sie zu denken glaubt, denkt er nur an sich.

Jeder Freitod ist eine Botschaft an den "Anderen", urteilt der Philosoph Jean Amry. "Mit seiner Freiheit durchkreuzt er die meine, mit seinem Projekt steht er dem meinigen im Wege, sein Blick allein schon, der mich richtet und zu einem bestimmten Sosein verurteilt, ist eine Art von Mord."

So ist dieser Suizid vielleicht so etwas wie ein emanzipatorischer Akt gewesen; die befreiende Tat einer Frau, die ihr eigenes Leben weitgehend aufgegeben hatte, damit ihr Mann das seine so gestalten konnte, wie es ihm passte. Einer Frau, die zum ersten Mal keine Rücksicht mehr nehmen wollte. Das hat auch etwas Tröstliches. Denn die Angst vor dem Licht war womöglich nur das kleinere Martyrium der Hannelore Kohl, geborene Renner, zur Welt gekommen am 7. März 1933, aus dem Leben geschieden am 5. Juli 2001.

Andreas Hoidn-Borchers / Hans Peter Schütz
Mitarbeit: Walter Wüllenweber, Stefan Schmitz, Markus Grill, Florian Gless, Tilman Wörtz, Ulrike von Bülow
 
aus der Diskussion: Hannelore Kohl: mein Mitleid mit Helmut schwindet - es war auch Depression
Autor (Datum des Eintrages): Juttol  (10.07.01 19:55:10)
Beitrag: 17 von 109 (ID:3928967)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE