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Internet-Portale noch immer auf der Suche nach neuen Einnahmequellen



Desaströse Kursentwicklung – Kostenpflichtige Angebote als Ausweg?

rms Frankfurt – Internet-Portale am Neuen Markt haben sich in den vergangenen Monaten als wahre Geldvernichter entpuppt. Die Aktien von T-Online, Freenet, Lycos Europe, Web.de und Endemann produzierten bisher Kursverluste, die über den Indexverlust des Nemax All Share hinausgingen. So haben sich z.B. Web.de gegenüber ihren Höchstkursen fast gezehntelt, T-Online verloren vier Fünftel ihres Wertes. Lycos Europe, die für 24 Euro emittiert wurden und diesen Kurs nie überschritten haben, sind inzwischen zum Penny Stock geworden. Bei Endemann sieht das Bild ganz ähnlich aus.

T-Online kostet 10 Mrd. Euro

In ihrer Börsenbewertung weisen die vier Portal-Anbieter immense Größenunterschiede auf: T-Online bringt es bei derzeitigen Kursen auf mehr als 10 Mrd. Euro, Lycos Europe dagegen nur auf rund 300 Mill. Euro und Freenet auf 145 Mill. Euro. Schlusslicht ist Endemann mit lediglich 10 Mill. Euro. Nur für Endemann und Freenet werden für 2002 Gewinne prognostiziert; das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) liegt danach bei 82 und 76.

Etwas anders positioniert sind die so genannten Content-Portale wie Tomorrow Internet und Focus Digital, die von Anfang an auf eigene Inhalte gesetzt haben. Auch hier war die bisherige Kursentwicklung desaströs. Bei derzeitigen Kursen bringt es Tomorrow auf eine Marktkapitalisierung von 56 Mill. Euro und Focus Digital auf 65 Mill. Euro. Während Focus Digital für das kommende Jahr Verluste prognostiziert werden, soll Tomorrow nach einer Schätzung von Sal. Oppenheim einen Gewinn von 0,42 Euro je Aktie machen. Demnach errechnet sich auf der aktuellen Kursbasis ein KGV für das Jahr 2002 von lediglich 6,8.

Wegbrechende Erlöse

Das große Problem der Online-Portale: Ihre Haupteinnahmequellen brechen weg. Für Lycos, Endemann, Web.de, Tomorrow und Focus Digital bedeutet dies vor allem rückläufige Werbeeinnahmen aus dem Banner-Verkauf, bei T-Online und Freenet zusätzlich sinkende Internet-Zugangsentgelte. Zudem sind die Provisionen aus dem E-Commerce weit hinter den ehemals hoch gesteckten Erwartungen zurückgeblieben.

Die Portale versuchen nun, gegenzusteuern: Web.de beispielsweise hat kürzlich ein eigenes Billing-System eingeführt, um später kostenpflichtige Dienste einführen und abrechnen zu können. Welche Dienste dies aber sein könnten, darüber schweigt sich das Karlsruher Portal bis heute noch aus. T-Online versucht nach dem (teuren) Scheitern der Flatrate Kosten zu senken, und baut Personal ab. Mittelfristig will sich die Telekom-Tochter zum „Internet-Medienhaus“ wandeln und ebenfalls Inhalte kostenpflichtig anbieten. Dazu wurden bereits Kooperationen mit der ZDF-Sendung „heute“ und Bild.de vereinbart.

Endemann, die zunächst eine Mehrportalstrategie gefahren hatten, konzentrieren sich jetzt auf die Kernmarke Abacho.com. Zudem ist der Portal-Betreiber in das (Internet-)Beteiligungsgeschäft eingestiegen, das bisher allerdings nur Verluste eingebracht hat. Dagegen setzt Lycos Europe unverändert vor allem auf Werbung und E-Commerce. Focus Digital schließlich will mit der Technologie, die ihrem Portal Netguide zugrunde liegt, Lizenzerlöse erwirtschaften.

Unsicherheit bleibt

Der größte Unsicherheitsfaktor in den modifizierten Businessmodellen dürfte das künftige Verhalten der Internet-Nutzer sein. Ob überhaupt jemand bereit sein wird, für bisher kostenlose Angebote wie z.B. E-Mail oder SMS demnächst zu bezahlen, muss angesichts der Vielzahl alternativer Anbieter im Web bezweifelt werden. Trotz der vielen Unsicherheiten sind die kleineren am Neuen Markt notierten Portale nicht unbedingt Pleitekandidaten, sondern bei weiter sinkenden Kursen eher potenzielle Übernahmeobjekte. Nach Ansicht des Marktforschungsinstituts Forrester Research dürften in Deutschland nur die drei führenden Portale Yahoo, T-Online und AOL überleben. Portalen aus der zweiten Reihe wie Web.de werde in den nächsten Jahren das Geld ausgehen. Diese würden dann bei den Riesen der Branche um eine Übernahme bitten, so Forrester Research.

Der Analyst Joachim Koller von Merck Finck & Co. sieht das Web.de-Portal indes als „absolut führend in Deutschland“ an. Die Gesellschaft werde voraussichtlich gegen Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres kostenpflichtige Services einführen. Dass dies gelingt, bezweifelt Koller nicht, zumal T-Online z.B. sogar kostenpflichtige Service-Hotlines eingerichtet hat. Dennoch stuft er Web.de wegen der hohen Bewertung nur auf „halten“. Auch T-Online sei sehr hoch bewertet, sagt er.

Lycos „verkaufen“

Bei Lycos Europe plädiert Koller sogar für „verkaufen“. Ganz im Gegensatz zu Web.de versuche die Gesellschaft, ihren in den USA bewährten Auftritt einfach auf Deutschland zu übertragen. Dieses Vorgehen, das auch Yahoo praktiziere, erscheint Koller wenig erfolgversprechend, weil das Nutzerverhalten hierzulande anders sei als in den USA. Die Anzahl der registrierten Kunden werde nicht veröffentlicht, die Technologie sei anfällig, die Inhalte der Website „nichts Besonderes“. Zudem würden kaum Unified Messaging Services angeboten, und die Website erzeuge keine Kundenaffinität. Auch die Aktionärsstruktur berge künftige Probleme. Terra Lycos und deren Mutter, die spanische Telefónica, hätten erkannt, dass die Synergien der Portale von Terra und Lycos eher gering seien. Optimistisch ist Koller dagegen für Freenet, die er auf „kaufen“ stuft. Positiv sei das große Kundenpotenzial, das sich durch die Muttergesellschaft MobilCom erschließe. So sei Freenet bei deren Mobilfunk-Kunden bereits vorinstalliert. Mittelfristig sieht Koller für die Gesellschaft große Chancen durch den mobilen E-Commerce. Allerdings gehen die Prognosen zum möglichen Volumen des so genannten M-Commerce bis heute weit auseinander.

Siehe auch Lycos Europe im Qualitätstest der Börsen-Zeitung, Nr. 134 vom 14.7.2001

Quelle: boersen-zeitung.com
 
aus der Diskussion: T-Online: fairer Wert 2,50 Euro
Autor (Datum des Eintrages): se2707  (16.07.01 02:49:02)
Beitrag: 34 von 54 (ID:3972790)
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