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Die sicherste Geldanlage? Wer die Inflation fürchtet, legt sich Gold zu. (© ddp)

Angst vor Inflation
Wenn nur noch Bares zählt

05.09.2010, 11:01 2010-09-05 11:01:53
von Uwe Ritzer

Reich an Geld, aber auch reich an Sorgen: Jürgen Naß hat seine Konten leergeräumt, sämtliche Fonds verkauft, jedwede Lebensversicherung gekündigt. Er ließ sich alles bar auszahlen. Mit dem Geld will er Wald kaufen, vielleicht ein Grundstück. Und Gold. Warum? Der Unternehmer fürchtet die Inflation - wie so viele Reiche.

Sein Anlageberater hielt alles zunächst für einen Witz und seinen Versicherungsvertreter musste er fünfmal anrufen, ehe der endlich tat, was Jürgen Naß von ihm verlangte. Dabei ist der 43-Jährige eigentlich einer jener Typen, denen man von Haus aus zugesteht, dass sie wissen, was sie tun. Vor allem, wenn es um Geld geht. Jürgen Naß ist ein stattliches Mannsbild, Familienvater, erfolgreicher Unternehmer, Vielarbeiter, ein zupackender Typ.

Als gäbe es keine latente Baukrise in diesem Land, hat er seine vor Jahren vom Vater übernommene Baufirma zur mit Abstand größten weit und breit gemacht. Die Konkurrenten gingen reihenweise pleite, der Familienbetrieb Naß wuchs. Eine Erfolgsgeschichte aus der fränkischen Provinz. Die Firma zählt mehrere Dutzend Beschäftigte und der Familie Naß geht es gut. Ihr gehören mehrere Häuser, Grundstücke, Wald und in der Garage stehen ein stattliches Motorrad und ein schmucker Oldtimer neben anderen Autos.

Vor ein paar Monaten aber hat Jürgen Naß seine Konten abgeräumt, alle Fondsanteile verkauft und sämtliche Lebensversicherungen gekündigt, die er zur Altersvorsorge abgeschlossen hatte. Er ließ sich alles bar auszahlen und trug das Geld nach Hause. "Man muss doch nur normal denken", sagt Naß, der sich ausbedungen hat, nur dann von alledem offen zu erzählen, wenn weder sein richtiger Name in der Zeitung steht, noch sein Wohnort. "Wer also normal denkt," sagt Naß, "der weiß, dass das alles nicht mehr lange gut gehen wird."

Ihn plagt, was der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser einmal als "die archaische Angst vor der Inflation" diagnostiziert hat. Sie wurde in den vergangenen zwei Jahren gewaltig angestachelt. Das begann mit dem rasanten Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers, in deren Sog weltweit große und renommierte Banken bedrohlich zu wackeln begannen. Die Weltwirtschaft geriet ins Taumeln, der Euro in die Krise, Staaten wie Irland und Griechenland trudelten an den Rand der Pleite.

Vieles von alldem konnte durch die Politik nur mühsam verhindert oder abgefedert werden. Mit immer dickeren, auf Pump finanzierten Milliardenpaketen, welche die Staatsschulden in kaum vorstellbare Sphären treiben. Jürgen Naß sagt, all dies habe ihm "viele schlaflose Nächte bereitet". Eine diffuse Gefühlslage aus Zukunftsangst, Verbitterung und Vertrauensverlust ergriff ihn. Schließlich hat viel zu verlieren, wer viel hat.


Wobei Reichtum naturgemäß eine Definitionssache ist. Vor allem aber ist es eine Frage der eigenen Perspektive. Wenn Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz durch den Untergang des Arcandor-Konzerns Milliarden verliert und ihr nur noch ein paar Dutzend Millionen Euro übrig bleiben, ist das für sie schlimm; für Otto Normalverdiener hingegen ein Luxusproblem. Ökonomen und wirtschaftliche Organisationen tun sich schwer mit allgemeingültigen Abgrenzungen; die Grenzen zwischen gut situiert, wohlhabend, vermögend, reich und superreich sind verwaschen.

http://www.sueddeutsche.de/geld/angst-vor-inflation-wenn-nur…

Angst vor Inflation
"Immer neue Schulden, das kann nicht gut gehen"

05.09.2010, 11:01 2010-09-05 11:01:53

Am gängigsten ist eine Faustformel, wonach als wohlhabend gilt, wer über ein Einkommen verfügt, das mindestens 200 Prozent über dem des Durchschnittsdeutschen liegt. Bei einem Alleinstehenden wären das gut 3500 Euro netto im Monat, bei einer vierköpfigen Familie doppelt so viel. Diese Grenzen erscheinen niedrig angesetzt und sie berücksichtigen nicht die Werte, über die jemand unabhängig von seinem Einkommen verfügt. Jürgen Naß und seine Familie gehören, so oder so, zu den Wohlhabenden und Reichen. Sie stehen für viele andere, ähnlich gut situierte Familienunternehmer und Mittelständler, die in der Krise schwer ins Grübeln gekommen sind.


Mehr Absicherung nach unten, anstatt als lukratives Investment - aber trotzdem beliebt: Wald. (© dpa)

Jürgen und Cordula Naß sitzen im Chefbüro ihrer Baufirma; sie am Computer, er auf einem Stuhl in der Besprechungsecke. Das Büro ist zweckmäßig eingerichtet, ohne teuren Schnickschnack, fränkische Bodenständigkeit in braun und beige. Der Unternehmer erzählt von den Banken, die immer ängstlicher geworden seien in der Krise. Die sich doppelt, drei- und vierfach absichern würden und das nicht nur, weil das Geschäft am Bau als besonders riskant gilt. Der Politik traut Naß auch nicht mehr, denn sie vernachlässige den Mittelstand schon zu lange.

Irgendwann fing der Bauunternehmer an, Fachartikel über Finanzthemen zu lesen, Vorträge anzuhören und Seminare zu besuchen. Je länger die Wirtschaftskrise sich zog, desto mehr Gleichbesorgte traf er. Wohlhabende, auch reichere Menschen als ihn, die allesamt Systemkritik übten. Die sich gegenseitig zuraunten, die Regierung habe heimlich 16 große, neue Maschinen zum Gelddrucken bestellt. "Die rechnen damit, dass eine neue Währung kommt", ist Naß überzeugt in einem Tonfall, als ginge es um ein unumstößliches Naturgesetz. [b]"Immer neue Schulden, das kann nicht gut gehen. Die Blase muss platzen", [/b]sinniert er.

Thilo Wendenburg kennt den Typus des Kunden, der Vermögensfragen aus seinem Bauchgefühl heraus beantwortet, und der übrigens Studien zufolge gar nicht selten ist. "Wenn man das negative Bauchgefühl langsam und Schritt für Schritt mit dem Kunden analysiert, relativiert sich am Ende doch einiges", sagt Wendenburg, Vorstandsvorsitzender der Fürstlich Castell'schen Bank, dem ältesten bayerischen Geldhaus. Aber auch Anleger, die nüchterner und professioneller mit dem Thema umgehen, auf breiter Basis Informationen sammeln und Risiken kühl untersuchen, diskutieren öfter und kritischer als früher mit ihren Anlageberatern. Dabei nehmen auch sie neuerdings vermehrt das böse Wort "Inflation" in den Mund. "Viele fragen uns, wie man sich davor schützen kann", sagt Wendenburg.

Die Fürstlich Castell'sche Bank wurde 1774 gegründet und ist spezialisiert auf Vermögensmanagement. Ihre Kunden legen zwischen einer halben und mehreren zehn Millionen Euro an. Weil das Geldhaus uralt und im Besitz des gleichnamigen Adelsgeschlechtes ist, gilt es vielen Kunden als Inbegriff des Konservativen, des Soliden und des Beständigen. Werte, die viele reiche Menschen in der Krise neu entdeckten. "Vielen ist der Substanzerhalt inzwischen wichtiger als Renditen von acht, neun oder zehn Prozent", sagt Thilo Wendenburg. Vor ein paar Jahren war das noch anders. Vor allem die Hochvermögenden seien zuletzt "noch konservativer und vorsichtiger geworden".

Ist das aber schon Angst? In einer im Juni veröffentlichten Umfrage des Instituts für betriebliche Finanzwirtschaft der Universität Linz gaben fast ein Drittel der befragten Deutschen an, tatsächlich Angst um ihr Vermögen zu haben. Das Institut hatte im Auftrag der Liechtensteiner Fürstenbank LGT genau 332 Personen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz befragt, die über ein frei verfügbares Vermögen von mehr als 500.000 Euro verfügen. Über die Hälfte äußerten Inflationsängste, die Deutschen weit mehr als ihre Nachbarn. Das Vertrauen in die Stabilität des Finanzsystems sei durch die Krise zutiefst erschüttert, heißt es in der vom Vizechef des Instituts, Teodoro D. Cocca, verfassten Expertise. Vor allem aber habe die Finanzkrise bei reichen Anlegern "zu großen Umschichtungen, weg von Derivaten, Aktien, alternativen Anlagen und Anlagefonds hin zu Rohstoffen, Gold oder Edelmetallen und weiteren Vermögenswerten geführt". Neuerdings würden schwer verständliche, komplexe und vor allem riskante Anlageformen konsequent gemieden.

"Eine Zeit lang gab es in der Krise einen regelrechten Run auf Gold, aber inzwischen ist das Thema ziemlich durch", sagt Wolfgang Graf Castell zu Castell. Von Angst will er nicht sprechen, aber das Denken habe sich schon geändert. "Eine gewisse Verunsicherung ist nicht zu leugnen", sagt Graf zu Castell. In der Bank seiner Familie ist er für das Neukundengeschäft im Raum Nürnberg zuständig; am Stammsitz derer zu Castell, im gleichnamigen Ort am Rande des fränkischen Steigerwaldes, kümmert er sich um das Weingut und die Wälder der adeligen Familie.




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Angst vor Inflation
Mehr als nur eine Liebhaberei

05.09.2010, 11:01 2010-09-05 11:01:53

Der Landstrich ist im Sommer malerisch, das fürstliche Schloss mit den vielen Fensterläden herausgeputzt. Von den Anhöhen um Castell schweift der Blick teilweise weit ins Maintal. Wein und Wald dominieren das Bild der Region. "Den Casteller Wald könnten wir fast täglich verkaufen", sagt Wolfgang Graf zu Castell. Dabei galt Wald doch jahrzehntelang als out. Eine Liebhaberei, aber nichts für die Renditejagd. "Inzwischen ist Wald als Anlageobjekt wieder gefragt", sagt der Graf. Mehr als Absicherung nach unten, anstatt als lukratives Investment. Ein bis drei Prozent Rendite seien mit Forstgeschäften in Europa drin, in Nordamerika etwas mehr. Im Herbst will die Castell'sche Bank eine spezielle Anlageform mit Wald anbieten


Kein Vertrauen mehr in die Finanzwelt: Wer Geld hat, sorgt sich um dessen Absicherung. (© Reuters

Auch Jürgen Naß will Wald kaufen. Unlängst hat er ein Seminar besucht. Die wichtigsten Erkenntnisse sind in einem hellblauen Ordner zusammengefasst. Er enthält seriöse Informationen und fundierte Zeitungsartikel, aber auch fragwürdige Papiere. Zu allen schwierigen Zeiten zogen zweifelhafte Anlageberater durch die Lande und nutzten Krisen und Ängste wohlhabender Menschen gewinnbringend. Es scheint, als hätten sie seit dem Crash im September 2008 wieder Hochkonjunktur.

Nicht nur viel bedrucktes Papier kursiert, sondern auch das Internet ist voll mit obskuren Botschaften zur Sache. Ein trübes Gebräu aus apokalyptisch getränktem Angstvokabular und nicht selten esoterischen Prophezeiungen des kommenden Weltenendes. In einem der Manuskripte des Seminars, das Jürgen Naß in seinem blauen Ordner aufbewahrt, wird der Untergang des Finanzsystems in inflationär häufigen Endzeitwarnungen vorhergesagt.

Es ist mit solchen Texten wie mit der kruden Weltsicht politischer Extremisten: Korrekte Informationen werden vermischt mit aus den Zusammenhang gerissenen Zitaten prominenter Zeitgenossen. Man hantiert mit tatsächlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen, mischt sie mit Halbwahrheiten, philosophischen Ergüssen, Lügen und, vor allem, Verschwörungstheorien. Alles zusammen wird verkauft als die eigentliche Wahrheit, die unerwünscht ist, weshalb dunkle Mächte dafür sorgen, dass niemand sie erfährt. So lässt sich gut Geld verdienen. Zwielichtige Berater machen mit der Angst inzwischen ein großes Geschäft, denn am Ende sind es natürlich nur ihre Anlagen, die Vermögen retten.

Über zehn Jahre zahlten Jürgen und Cordula Naß in Lebensversicherungen als Altersvorsorge ein. Gut eine halbe Million Euro. Jürgen Naß hat nicht mehr geglaubt, dass er sein Geld jemals bekommen wird, nach allem, was er gehört und gelesen hatte, wie und wo Versicherungen das Geld ihrer Kunden anlegen. 20 Prozent Verlust hat Naß gemacht, indem er seinen Versicherungsvertreter anrief und alle Verträge kündigte. "Lieber so als am Ende gar nichts", sagt seine Frau.

Naß hob seine Spareinlagen ab und zog Geld aus Fonds zurück. "Wenn auf dem Girokonto am Monatsende etwas übrig bleibt, heben wir es ab", sagt der Unternehmer. Das ganze Geld hat er bar mit nach Hause genommen. Er hat damit private Schulden getilgt, Reparaturen an seinem Haus gezahlt und von dem, was übrig ist, will er sich Wald kaufen, vielleicht noch das ein oder andere Grundstück, Gold oder Platin.
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aus der Diskussion: Staatliches Schneeballsystem---deshalb werde ich mir einen Bauernhof kaufen
Autor (Datum des Eintrages): GueldnerG45S  (05.09.10 16:13:30)
Beitrag: 119 von 133 (ID:40102585)
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