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Sonntag, 06. Februar 2011

Union schlägt Hertha im Derby
Die Schmach sitzt tief
von Stefan Giannakoulis, Berlin

Zur besten Mittagsschläfchenzeit schlägt der Außenseiter Union in einem Fußball-Zweitligaspiel vor fast 75.000 Zuschauern die Hertha im Berliner Stadtderby und sorgt für ein bemerkenswertes Ereignis. Während die Charlottenburger nun auf absehbare Zeit die Schmach ertragen müssen, geben die Köpenicker alles – auf dem Rasen und auf den Rängen.




So viel Spaß muss sein, dachten sich die Fans des 1. FC Union Berlin und sangen einfach mit. "Nur nach Hause gehen wir nicht." Frank Zander hatte es einst auf die Melodie von Rod Ste­wards "I am sailing" getextet, seit 18 Jahren läuft die CD vor und nach jedem Fußballspiel im Olympiastadion. Es ist die Stadionhymne von Hertha BSC.

Diesmal wollten die meisten blau-weiß gekleideten Zuschauer aber nichts lieber als fix nach Hause. Ihre Hertha hatte die Zweitligapartie gegen den 1. FC Union Berlin mit 1:2 verloren. Und so sangen am Ende nur die Anhänger aus Köpenick. Es war in der Tat ein bemerkenswer­ter Tag.


Das zeigte sich schon daran, dass an diesem Samstag zur besten Mittagsschläfchenzeit exakt 74.244 Menschen nichts Besseres zu tun hatten, als sich die Partie des Spitzenrei­ters aus Charlottenburg gegen den Tabellendreizehnten aus Köpenick anzusehen. Es war die bestbesuchte Sportveranstaltung in Deutschland an diesem Wochenende. Nur zweimal in der Geschichte waren mehr Zuschauer bei einer Zweitligabegegnung. Und die, die diesmal da waren, sorgten schon vor dem Anpfiff für eine Atmosphäre wie bei einem Pokalfinale, woran die geschätzten 20.000 Unioner in der Westkurve einen gehörigen Anteil hatten.

Auf dem Rasen war erst einmal alles so, wie es alle erwartet hatten. Der Favorit Hertha kombinierte flott und Roman Hubnik köpfte nach einer knappen Viertelstunde – nach unfreiwilliger Vorarbeit der Unioner Dominic Peitz und Torwart Marcel Höttecke – den Ball zum 1:0 ins Tor. Die Gäste hingegen vergaßen, dass sie von Beruf Fußballspieler sind. Sie hatten "ein kleines bisschen die Hosen voll", konstatierte Trainer Uwe Neuhaus später. "Die erste Halbzeit hat mich fast zur Weißglut gebracht." Doch dann geschah, das, was Unions Teammanager Christian Beeck hinterher als Schlüsselmoment des Spiels bezeichnete.

"Das Entscheidende war, dass die Herthaner nach dem 1:0 das Tempo rausgenommen haben." Sie taten das ohne Not. Und als sich schon die Frage aufdrängte, warum es sich einer wie der mitunter arg behäbig wirkende John Jairo Mosquera traut, gelbe Schuhe zu tragen, gab er die Antwort mit seinem Tor zum 1:1. Wunderschön, mithilfe seiner Schulter und vor allem aus dem Nichts. Zuvor hatten seine Kollegen und er bei wohlmeinender Zählweise ein halbes Mal den Ball in Richtung gegnerisches Tor geschossen. Aufs Tor noch gar nicht.

Die Fans aus dem Osten feierten den Ausgleich auf den Rängen der Westkurve mit Feuerwerk. Als dann Unions Kapitän Torsten Mattuschka nach 71 Minuten per Freistoß traf, stand fest, dass sich die Köpenicker mit den gewonnenen drei Punkten ein wenig von der Abstiegszone entfernen – und dass die Hertha zwar weiterhin die Tabelle anführt, aber ihr zweites Heimspiel in dieser Saison verloren hat.

"Schmach eine Woche lang ertragen"

Das sei, wie Trainer Markus Babbel sagte, "ein bisschen ärgerlich. Die Schmach müssen wir nun eine Woche lang ertragen". Wohl auch länger. Denn falls seine Mannschaft wie angestrebt in der kommenden Saison wieder in der ersten Liga spielt, war dies das vorerst letzte Berliner Stadtderby auf absehbare Zeit. Die feinsinnigen Fans der Hertha dürften das schon nach Mattuschkas Siegtreffer geahnt haben. Und reagierten mit eisigem Schweigen.

Auch, als der ohne ersichtlichen Grund völlig euphorisierte Stadionsprecher zehn Minuten vor dem Ende der Partie bei der ersten Auswechslung der Gastgeber auf eine Reaktion des völlig zu Recht ernüchterten Publikums hoffte. "Aus dem Spiel geht mit der Nummer zwölf ….", jubelte er ins Mikrofon. Reaktion: keine. Dabei hätten die Anhänger doch "Ronny" rufen sollen. "Dafür im Spiel Valeri …" – nichts.

Die Fans aus dem Westen in der Ostkurve brachten das "Domovchiyski" nicht über die Lippen. Zu tief saß die Enttäuschung. Als die Mannschaft sich nach dem Abpfiff halbherzig zur Verabschiedung in die Kurve schleppte, waren die meisten schon weg. Nur einige brachten die Kraft auf, bis an den Zaun zu kommen. Aber nur, um die Spieler zu beschimpfen.

"Die Jungs sollen das aufsaugen, genießen"

Die hingegen, die es mit den überraschenden Siegern hielten, waren wenig überraschend nicht mehr zu bremsen und sorgten - wie schon über weiter Strecken - des Spiels für eine Stimmung wie zu Hause an der Alten Försterei. Das muss man im Olympiastadion erst einmal schaffen. Kein Grund also, sich auf den Heimweg zu machen.

Zum Schluss ließ es sich Unions Trainer Uwe Neuhaus auf der Pressekonferenz nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass seine Mannschaft in den 22 Auswärtsspielen zuvor nur einmal gewonnen hatte. Da sei so ein Sieg schon schön. Oder wie Christian Beeck es ausdrückte: "Die Jungs sollen sich freuen, sollen das aufsaugen, genießen." So viel Spaß muss sein.

http://www.n-tv.de/sport/fussball/Die-Schmach-sitzt-tief-art…
 
aus der Diskussion: Hertha BSC Berlin, mein Heimatverein
Autor (Datum des Eintrages): Punicamelon  (06.02.11 18:42:21)
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