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Hans Bernecker: Der innere Trend des US-Marktes dreht
Mails/Nachrichten vom 03.08.2001, Bernecker & Cie.

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Guten Morgen, meine Damen und Herren,

die Märkte gehen in wesentlich stabilerer Verfassung aus der Woche heraus. Die Volumina nehmen zu (insbesondere in New York), und die Bewertungen werden aussagekräftiger. Während Deutschland gestern nochmal abkippte, sind die Vorgaben aus New York vielversprechend. Mit etwas über 10.600 Punkten liegt der Dow auf seinem Niveau von vor 3 Wochen. Wird dieser Widerstand überboten, liegt das nächste Ziel bei knapp 11.000, die in den nächsten 14 Tagen möglich sind. Das Volumen der NYSE ist mit 1,2 Mrd gehandelten Aktien wieder über dem Durchschnitt und zum ersten Mal übertreffen die Gewinner (Advances) am Markt die Verlierer (Declines). Dasselbe spiegelt sich auch im Verhältnis von New Highs zu New Lows, das gestern bei 132 zu 28 lag. Damit dreht der innere Trend des amerikanischen Marktes. Zwei Werte sind dabei von besonderer Bedeutung, weil sie auch als Seismograph für die Stimmung des Marktes gesehen werden können.

Lucent Technology ist einer der Symbole des Einbruches der ehemaligen High-Flyer bei den Technologiewerten. Ich hatte den Titel bereits mehrfach empfohlen. Gestern sprang der Kurs leicht auf 6,29 Dollar an, nachdem der Konzern eine Wandelanleihe in Höhe von 1,89 Mrd Dollar plazieren konnte. Ein wichtiges Indiz dafür, daß der Markt trotz Junk-Bondrating nun wieder bereit ist, solche Papiere aufzunehmen. Bis vor kurzem waren sämtliche Anleihen mit niedriger Bonität so gut wie ausgeschlossen, was die Refinanzierung der Konzerne erheblich erschwerte. Also auch auf diesem Niveau Entspannung. Gleichzeitig gingen gestern über 93,7 Mio Lucent-Aktien um. Das ist eine gigantische Zahl, mit der Lucent das höchste Volumen aller Aktien gestern erreichte. Gleichzeitig:

Intel sprang ebenfalls um 1,15 auf 31,90 Dollar an. Hintergrund war die verbesserte Aussicht für die Halbleiterindustrie. Der Chart von Intel sieht übrigens traumhaft aus, auch wenn der Börsenwert mit etwas über 200 Mrd Dollar natürlich nicht niedrig ist. Auch hier dasselbe Bild wie bei Lucent Tech. Mit fast 61 Mio gehandelten Aktien war Intel die umsatzstärkste Aktie an der Nasdaq gestern abend. Auf Platz 2 lag Cisco mit 51,8 Mio Aktien. Man sieht also, daß der Markt bereit ist, mit hoher Liquidität sofort einzuschreiten, wenn es den leisesten Ansatz dafür gibt. Darüber hinaus:

Die Zahlen für das zweite Quartal in den USA liefern beeindruckende Erkenntnisse. Inklusive sämtlicher Abschreibungen fielen die Gewinne der amerikanischen Unternehmen um 67 % gegenüber dem Vorjahr. Das ist der stärkste Verfall seit 10 Jahren. Rechnet man die Abschreibungen heraus, fielen die Gewinne um 17 %, was wiederum den stärksten Verfall seit 1991 ausmacht.Die Kapazitätsauslastung im Bereich des Technologiesektors liegt inzwischen bei nur noch 67,5 %. Vor einem Jahr lag man noch bei 90 %. Das ist der stärkste Rückgang seit 1982, dem Geburtsjahr des Superbörsenbooms in den USA. Zur Orientierung: Eine "gesunde" Kapazitätsauslastung liegt zwischen 83 und 85 %. Kurzum: Die Vollbremsung der US-Konjunktur hat schon fast Formel 1-Charakter. Das sehe ich gelassen, denn eine anschließende Beschleunigung zu prognostizieren, ist nicht schwer. Warum?

Anders als bei den Europäern und insbesondere bei den Japanern unterliegt der amerikanischen Konjunkturschwäche kein strukturelles Problem. Dieser massive Einbruch der konjunkturellen Entwicklung geht zum größten Teil auf die extrem schnelle Anpassung der Unternehmen auf die Marktverfassung zurück. Allein im Telekom-Technologiesektor wurden fast 350.000 Leute freigesetzt. Das wäre in Deutschland oder Japan undenkbar. Die Lagerbestände werden mit einer nie dagewesenen Vehemenz abgeschrieben und die Investitiontätigkeit fast auf Null gesenkt. Sehen Sie dazu den Chart auf der Seite 1 der Actien-Börse diese Woche. Die Amerikaner bestimmen also das Tempo selbst und verfallen nicht wie die Europäer und Japaner in Passivität in der Hoffnung, daß sich alles von selber regeln wird. Darin liegt der grundsätzliche Unterschied.

Das sind die Voraussetzungen für eine schnelle Erholung der Konjunktur und mithin auch eine Erholung an den Börsen. Je schneller eine Bereinigung läuft, um so schneller können sich Unternehmensgewinne verbessern. Dazu braucht es übrigens keine Zinssenkungen seitens der FED mehr. Vielleicht handelt sie im August noch, aber entscheidend ist es für mich nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Daniel Bernecker.
 
aus der Diskussion: 03.08.01: Wird heute die Aufwärtsbewegung fortgesetzt? Tour de Nemax Teil VI zum 2.?
Autor (Datum des Eintrages): germanasti  (03.08.01 10:53:47)
Beitrag: 58 von 578 (ID:4119598)
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