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Vom gleichen Autor

Zehn Thesen gegen den Weltmarkt
oder für kleinräumige Wirtschaftsstrukturen

Von Christian Felber

Christian Felber, *1972 in Salzburg – Kindheit "zwischen Forellen und Himbeeren" – Studium in Wien und Madrid: Spanisch, Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft. Christian Felber ist freier Autor, Übersetzer und Publizist zu Umwelt-, Wirtschafts- und Gesellschaftsfragen und freier Mitarbeiter bei Standard, Falter, Salzburger Nachrichten, Furche, Volksstimme, Südwind.
Bücher (u. a.): Gedichtband "Von Fischen und Pfeilen", Edition Doppelpunkt, Wien. Seit 1999 Pressesprecher, Gründungs- und Vorstandsmitglied von ATTAC Österreich

Es wird einfach globalisiert. Die Interessen des Großkapitals werden zum Naturgesetz erklärt. Was zumindest fehlt, ist eine Debatte darüber, ob es vorteilhafter ist, wirtschaftliche Großstrukturen oder Kleinstrukturen zu fördern. Anhand von zehn Thesen möchte ich zeigen, warum wirtschaftliche Großräume nicht zukunftsfähig sind.

1. These:

Zentrale Massenproduktion ist ihrem Wesen nach ökologisch destruktiver als lokal-regionale Fertigung und Verteilung. Transportstrecken sind umso länger und das Transitaufkommen umso höher, je größer der Wirtschaftsraum ist. Mit der Osterweiterung wird sich das Straßengüterverkehrsaufkommen in der EU noch einmal verdoppeln, auch Wien im Transit ertrinken.(1)
Parallel zur Globalisierung wächst der weltweite Verbrauch von Energie, Materialien, Wasser und Fläche. Schon jetzt entnimmt und emittiert die Menschheit mehr, als die Biosphäre bewältigen kann. Die Symptome der ökologischen Krise nehmen zu. Jede weitere Anhebung des Konsumniveaus sollte vermieden werden, eine Absenkung auf die Hälfte wäre dringend ratsam. Nur: Große Wirtschaftsräume beruhen auf der Wachstumslogik.

2. These:

Je größer Wirtschaftsräume sind, desto schlimmer steht es um die Verteilungsgerechtigkeit. Nicht nur, weil in großen Wirtschaftsräumen die größten Unternehmen viel größer sind als die kleinen, sondern auch, weil dort die Großunternehmer und Vermögensbesitzer eine gerechte Verteilungspolitik erfolgreich verhindern. Globalisierung schafft zusätzliche Polarisierung, weil sich die Einkommenseliten nicht mehr im Binnenmarkt, sondern transnational formieren. In den letzten 30 Jahren hat sich die Kluft zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel der Menschheit verdoppelt. Laut UNO besitzen 225 Milliardäre soviel wie 47% der Menschheit.(2) Gleichzeitig beginnen Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut selbst in den reichsten Industrienationen zu grassieren. Die Ungleichheiten nehmen sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern zu, trotz beharrlichen Wirtschaftswachstums, trotz beständiger Zunahme des Welthandels und trotz sprunghaften Anstiegs der ausländischen Direktinvestitionen - oder wegen alledem?

3. These:

Große Wirtschaftsstrukturen sind gegenüber kleinen Nettoarbeitsplatzzerstörer, weil sie "effizienter" produzieren: mit weniger menschlichen Arbeitskräften, dafür mit umso mehr Energie, Material und Transport. Wenn agrarische Monokulturen und Massentierhalter Bio- und Subsistenzbauern ersetzen, wird Arbeit zerstört; wenn Großfabriken Kleinbetriebe und Kunsthandwerk ersetzen, wird Arbeit zerstört; wenn Supermärkte Nahversorger ersetzen, wird Arbeit zerstört; wenn Fast food-Ketten lokale Gastronomie ersetzen, ebenso. In diesem Sinne zerstören selbst großzügig subventionierte Direktinvestoren oft Arbeitsplätze "netto". Das neue Opelwerk in Eisenach ist viermal produktiver als alte Werke. Für einen neuen Standort müssen mehrere alte schließen. Die 500 erfolgreichsten Unternehmen haben zwischen 1980 und 1995 jedes Jahr netto 400.000 Arbeitsplätze abgebaut.(3) Sie setzen 25% des Weltbruttosozialprodukts um und kontrollieren 70 Prozent des globalen Handels, sie beschäftigen aber nur 0,05% der Weltbevölkerung.(4) Auch die vielgepriesene Schaffung von High-tech- oder Elite-Jobs hat den massiven Abbau von Standard-Stellen zur Folge, wenn nicht zur expliziten Aufgabe. Die Fehlverteilung von Einkommen und Arbeit ist eine zwingende Folge der Produktivitätssteigerungen und des Wettlaufs um (ökologisch destruktive) Spitzentechnologien. "Der Weltmarkt gründet auf der Ungleichheit und erneuert diese."(5) Die Modernisierungsverlierer werden in ihrer Zahl stets größer sein als die Modernisierungs-gewinner.
Biobauern, Handwerker, Nahversorger und [dynamische, flexible, innovative] Kleinbetriebe beschäftigen die meisten Menschen. Wir sollten entscheiden, ob wir billigstmöglich bei hohen Arbeitslosenraten oder zu mäßigen Preisen bei Vollbeschäftigung produzieren wollen.

4. These:

Egal, ob die rollende Fusionswelle mit Monopolen oder "nur" mit Oligopolen enden wird, beide Optionen bedeuten das Ende des freien Wettbewerbs. Politische Kontrolle von Unternehmen funktioniert nur in Kleinstrukturen, gegen die Kolosse und Elefanten des Weltmarktes hat nationale Politik keine Chance mehr. Der Leiter des deutschen Kartellamtes spricht vom "ordnungspolitischen GAU". Mit 90% Weltmarktanteil ist Microsoft Branchen-Autokrat. 1997 verschmolzen weltweit 27.000 Unternehmen.

5. These:

Anfang vom Ende der Demokratie oder schleichender Tod der nationalen Politik. Während die Bändigung des nationalen Kapitalismus in diesem Jahrhundert mit Sozial-, Umwelt- und Arbeiterschutzgesetzen gelang, ist die Regulierung des Weltmarktes (der Waren und Finanzen) nicht möglich, weil die Regierungen gegenüber den globalen Wirtschaftsakteuren eine ganz andere Rolle einnehmen als gegenüber den nationalen: nicht die der rahmenlegenden Kontrollbehörde, sondern die des buhlenden Standort-Gastgebers, der glaubt, auf den Gast (das transnationale Kapital) angewiesen zu sein und sich somit beliebig erpressbar macht: Egal, ob man die Steuern auf Kapital beibehalten, die Löhne parallel zu den Gewinnen erhöhen, die Energiepreise mit Rücksicht auf Ressourcenverknappung und Klimawandel anheben oder die Arbeit aufteilen will, sofort ertönt die Abwanderungsdrohung und die Erpressung mit Stellenabbau. Umwelt-, Sozial- und Steuerdumping sind nur im globalen Markt möglich, wo das frei bewegliche Kapital die Nationalstaaten gegeneinander ausspielen kann. Ist es noch Demokratie, wenn man vor jeder wirtschaftspolitischen Maßnahme die [großen, auswanderungsfähigen] Unternehmen ängstlich fragen muss, ob sie denn eh hier bleiben würden? Demokratie braucht Orte und rechenschaftspflichtige Personen. Je größer die Strukturen, desto geringer die Skrupel. Jüngstes Beispiel Rover: Her mit den Milliarden, oder wir gehen nach Ungarn!

6. These:

Im globalen Wettbewerb werden Staaten zu Standortkonkurrenten und Standortgegnern. Nicht jedes der 190 Länder ist der beste Standort für ein globales Produkt, nicht jeder kann in einem Bereich Marktführer werden. Der offene Weltmarkt führt somit zwingend zu Standortgewinnern und Standortverlierern. Je härter der Wettbewerb, desto weniger Gewinner und mehr Verlierer gibt es. Wer aber kümmert sich in einem freien Markt um Verlierer (ganze Länder und sogar Erdteile)? Die Ranking-Liste der reichsten Länder hat sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert. Aus dem Abseits kommt so schnell keiner heraus. Die OECD ist und bleibt mit 84% aller Wirtschaftsleistung "Gravitationszentrum"(6) des Weltmarktes. Globaler Wettbewerb der Staaten-Standorte, mitunter auch Weltwirtschaftskrieg genannt, fördert nationalstaatliche Borniertheit, verhindert Kooperation. Diese scheitert an den Profiteuren von Standortvorteilen (Steuerparadiese, Billiglohnländer, Umweltsünder). Ein anschauliches Beispiel dafür ist das gegenwärtige Bemühen, die Steuern auf Kapital nicht weiter absinken zu lassen. Nationaler Alleingang ist unmöglich, ein gemeinsames Vorgehen innerhalb der EU bleibt ebenfalls zahnlos, solange nicht die gesamte OECD mitspielt, und nicht einmal dann ist garantiert, dass der ortsgebundene Fiskus des flüchtigen Kapitals habhaft werden kann.

7. These:

Große, komplexe Wirtschaftsgebilde sind weit krisenanfälliger als überschaubare Kleinstrukturen. Allein die schrankenlose Kapitalmobilität bedeutet strukturelle Währungsinstabilität infolge der von ihr verursachten Wechselkursschwankungen. Das Kapital fluktuiert immer zum sonnigsten Plätzchen und wirbelt in seiner Sogwelle alles gründlich durcheinander (zum Beispiel im September 1992 das Europäische Währungssystem). Die persönliche Bereicherung auf Kosten von Volkswirtschaften ist möglich. Der Euro kann u. a. als währungspolitisches Verteidigungsprojekt gegen destruktive Wechselkursspekulation gewertet werden. Gelingt ihm jedoch sein Stabilitätsauftrag, dann vermutlich nur um den Preis sich vertiefender innergesellschaftlicher Ungleichheit.
Kleinräumige Wirtschaftssysteme entbehren der Tendenz zur Währungsinstabilität. Die Krise von 1929 war weltweit. Eine Wiederholung kündigte sich 1994 in Mexiko und 1997 in Südostasien an. Beide Male wurden gigantische Beträge von Steuermitteln (50 Mrd. bzw. 100 Mrd. US-Dollar) in die Epizentren gestopft, um ein überregionales Ausbreiten der Krise zu verhindern. Der jüngste Kandidat ist Brasilien (42 Mrd. Dollar). Eine neue Methode, Steuergeld den Spekulanten zuzuspielen, ist gefunden. Wer im Notfall entschädigt wird, verliert den Mut zum Risiko nicht. Die Feuerwehreinsätze des Internationalen Währungsfonds werden weiter zunehmen. 1998 war er erstmals erschöpft.

8. These:

Wenn den Großkonzernen durch den GATT-WTO-MAI7-Prozeß das reibungslose globale Ausbreiten ermöglicht wird, dann werden wir bald überall das gleiche essen, dieselben Kleider tragen, uns mit denselben Transportmitteln fortbewegen und denselben Freizeitbeschäftigungen nachgehen: globale Mono-Kultur.

9. These:

Massenproduktion am Standort des geringsten Widerstandes bewirkt mindere Qualität bei den Grundgütern. Das bedeutet in der Nahrung: mehr Chemie und Gentechnologie; in der Kleidung: schnelleren Verschleiß; bei den Haushaltsgeräten: Irreparabilität; generell: kürzere Produktlebensdauer. Billige Massenware, die in jeden Winkel des Erdballs beinahe zum Nulltarif verfrachtet wird, verdrängt erfahrungsgemäß alle lokalen (nachhaltigen, arbeitsintensiven) Qualitätserzeugnisse, die preislich nicht konkurrieren können.

10. These:

Weltmarkt schafft Anonymität. Zu Großstrukturen gehören Supermärkte, Einkaufszentren, Flughäfen, Vergnügungswelten, Massentourismus ... Einsamkeit im Hyperrummel. Beschleunigung: Wenn sich meine (tägliche) Lebenswelt ausdehnt, muss ich mobiler werden, weitere Wege bedeuten aber höhere Geschwindigkeiten, denn die Tage werden trotz Globalisierung nicht länger.
(Im Weltmarkt hat Stress Struktur.)

Die Globalisierung läuft genau in den falschen Bereichen ab: Waren und Finanzen. Die sollten möglichst lokal und im Kreis geführt werden. Dann wären Wirtschaftssysteme stabil. Die Selbstversorgung mit [biologischer] Nahrung und [erneuerbarer] Energie ("solare Autarkie") sind die beiden zentralen Stützpfeiler einer menschengerechten und naturverträglichen Binnenkreislaufwirtschaft.
Globalisierung und Öffnung hingegen verdienen der Geist, das Bewusstsein, die Sorge um die anderen (nicht deren Ausbooten und Niederrüsten) und die gemeinsame politische Bemühung um ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Weltfrieden. Der Austausch sollte sich - neben lokalen Spezialitäten - auf immaterielle Güter konzentrieren: Wissen, Weisheit, Sprache, Kunst, (Gast-)Freundschaft, ...
 
aus der Diskussion: Was bringt die Zukunft?
Autor (Datum des Eintrages): Quando  (09.08.11 18:10:23)
Beitrag: 3 von 3 (ID:41923786)
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