Fenster schließen  |  Fenster drucken

Unruhen in Britannien oder: schuld sind immer die anderen

10. August 2011

Egal ob der Amoklauf in Winnenden, das Massaker in Norwegen oder nun die Unruhen in Großbritannien: Kaum hat sich die Öffentlichkeit von einem ersten Schock über bis dato undenkbare Verbrechen erholt, läuft unweigerlich die Interpretationsmaschine an. Weil wir es nicht ertragen, dass sich menschliche Handlungen gängigen Interpretationsmustern entziehen, muss den Ereignissen irgendeine Sinnstruktur unterlegt werden, die das Geschehene in bekannte Schubladen einordnet. Das macht sich geistig leichter verdaulich und handhabbar.

Es hat nur zwei Tage gedauert, da waren die Sinnstifter der Republik in der Lage, die britischen Unruhen in verlässliche Denkmuster einzubetten. Da wird dann wahlweise der Sparkurs der britischen Regierung verantwortlich gemacht, die Perspektivlosigkeit der Armenviertel und die mangelnde soziale Durchlässigkeit der britischen Gesellschaft. Keine dieser Erklärungen liegt gänzlich falsch. Das Problem ist nur, dass die Soziologisierung der britischen Unruhen zwangsweise auch ein Element der Entschuldung beinhaltet. Denn wer die Ereignisse erklärbar macht, macht sie in gewisser Weise auch entschuldbar.

Wenn letztlich die britische Regierung oder die Gesellschaft als ganzes für die Ausbrüche der Gewalt verantwortlich sein soll, reduziert das den einzelnen Plünderer und den ganzen brandschatzenden Mob auf Opfer der Verhältnisse, die einer irgendwie nachvollziehbaren Wut auf nicht ganz so nachvollziehbare Weise Luft gemacht haben. Gewöhnliche asoziale Verbrecher werden damit zu Sozialrevolutionären aufgewertet.

Es liegt in der Natur demokratischer Gesellschaften, dass sie immer im Werden und nie vollendet sind. Das heißt, natürlich gibt es immer und überall Anlass für berechtigte Kritik und Raum für Verbesserungen. Und tatsächlich schneidet Großbritannien unter den OECD-Staaten nicht sonderlich gut ab beim Kriterium soziale Mobilität. Der schulische und berufliche Erfolg ist im Vereinigten Königreich noch immer stark vom sozialen Status des Elternhauses abhängig.

Wohlgemerkt: Das heißt nicht etwa, sozialer Aufstieg wäre nicht möglich. Sondern es sind statistische Werte, die deutlich machen, dass ein durchschnittlich begabter Bürgerssohn es wahrscheinlich weiter bringen wird als ein durchschnittlich begabtes Kind der Unterschicht. Andererseits ist es genauso wahr, dass wir in den durchlässigsten Gesellschaften leben, die es historisch gesehen je gab. Das heutige Großbritannien unterscheidet sich eben deutlich von dem am Beginn der Industrialisierung, als es undenkbar war, dass ein Arbeiterkind jemals den Aufstieg schaffen würde. Heute geht das. Das Unterschichtskind muss sich nur ein wenig mehr anstrengen als die Tochter aus dem Bürgertum, um nach oben zu kommen.

Und an diesem Punkt kommen wir zur eigentlichen gesellschaftlichen Misere in den europäischen Elendsvierteln: Gerade den von Sozialhilfe lebenden Unterschichten haben die Jahrzehnte des fürsorglichen Sozialstaats jede Anstrengungskultur wegerzogen. Denn es ist ja nicht so, dass der Staat in den Problemvierteln keine Bildungsangebote machen würde. Nur viel zu viele entscheiden sich, diese Angebote gar nicht zur Entwicklung der eigenen Fähigkeiten annehmen zu wollen. Schließlich gibt es auch keinen Grund dafür. Der Scheck vom Sozialamt kommt ja ohnedies.

Die Plünderer und Brandschatzer sind Kinder genau jenes Anspruchsdenkens, das nur noch danach fragt, was die Gesellschaft einem angeblich schuldet anstatt zu fragen, was man selbst zur Gesellschaft (oder auch nur zur eigenen Entwicklung) beitragen könnte. Jahrelang wurde ihnen eingeredet – und sie haben es sich selbst eingeredet – , dass sie Opfer der Verhältnisse sind. Und dieser Hang zur Selbstviktimisierung macht es dann weit einfacher, die Schwelle zur Gewalt zu überschreiten. Schließlich holt man sich ja nur das, wovon man glaubt, dass es einem ohnehin zustehen würde.
Ein gutes Beispiel für die Selbststilisierung als Opfer der Verhältnisse findet sich heute in der International Herald Tribune. Dort berichtet Plünderer Louis James, “niemand hat mir je eine Chance gegeben”. Dabei hat er mit 15 Jahren die Schule abgebrochen und sich seine Chancen damit zum Teil selbst verbaut.

Es ist deshalb höchste Zeit, die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und das Offensichtliche zu artikulieren: Jeder ist seines Glückes Schmied und selbst dafür verantwortlich, ob er die vielen Gelegenheiten nutzen will, die ihm die Gesellschaft zur Ausbildung und zum Aufstieg bietet. Die marodierenden Banden von London, Liverpool und Birmingham sind keine Sozialrevolutionäre. Es sind Verlierer, die anstrengungslosen Wohlstand wollen und nun die Gelegenheit gesehen haben, eine Abkürzung zu nehmen, indem sie Scheiben von Läden einschlagen und sich dann bedienen.

Diese Phänomene wird man nur eindämmen können, wenn man diesen Leuten keine Entschuldigungen mehr liefert für ihr Verlierertum. Das heißt, den Sozial-Diskurs weg zu führen von den angeblich so widrigen Verhältnissen und wieder nach der Eigenverantwortung jedes Einzelnen zu fragen. Die Gesellschaft kann und sollte Chancen eröffnen. Ergreifen muss sie dann schon jeder selbst.

Quelle: http://flatworld.welt.de/2011/08/10/unruhen-in-britannien-od…
 
aus der Diskussion: VERSCHWÖRUNG gegen Deutschland ? Bald Bürgerkrieg ?
Autor (Datum des Eintrages): Harry_Schotter  (10.08.11 21:43:12)
Beitrag: 135 von 357 (ID:41933601)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE