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11:43 Uhr

Gottfried Heller: „Viel Lärm um nichts an den Börsen!“
Jochen Kauper

Der jüngste Absturz an den Börsen hat mit der Realität wenig zu tun. Geht es nach Börsenaltmeister Gottfried Heller von Fiduka, so wird die Wirtschaft zwar ein Schwächephase durchleben, allerdings droht keine neue Rezession. Schnäppchenjäger gehen auf Einkaufstour.
Im Hintergrundgespräch mit dem AKTIONÄR erklärt Gottfried Heller, wie er die aktuelle Entwicklung an den Finanzmärkten bewertet und worauf sich Anleger in den kommenden Wochen und Monaten einstellen müssen.

DER AKTIONÄR: Herr Heller, die Märkte befinden sich nahezu im freien Fall. Geht die Welt pleite?

GOTTFRIED HELLER: Die Börsen haben es angesichts der gewaltigen Schuldenberge und der Halbherzigkeit der Politiker diesseits und jenseits des Atlantiks mit der Angst zu tun bekommen. Obwohl der US-Kongress buchstäblich in letzter Minute die Schuldenobergrenze erhöht und so die Zahlungsunfähigkeit der USA abgewendet hat, ist das Ergebnis, das unter dem Einfluss der radikalen, ideologisch verblendeten „Tea-Party", zustande kam, nur ein fauler Kompromiss. Der Schuldenabbau wurde in die Zukunft verlagert. Gleichzeitig hat sich in Europa die Schuldendebatte auf Italien und Spanien ausgeweitet. Die Märkte haben die am 21. Juli in Brüssel gefassten Beschlüsse als Stückwerk entlarvt. Als dann auch noch das Gespenst der Rezession auftauchte, war es mit der Sommerruhe vorbei. Aber: Die Welt geht nicht pleite und die Börsen werden wieder Boden finden.

Was hat die Herabstufung des Ratings für die USA für Konsequenzen?

Was die Herabstufung des Ratings der USA zu bedeuten hat, zeigte sich gleich am darauffolgenden Handelstag: Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen fiel von 2,6% auf 2,3% und dementsprechend stiegen die Kurse. Und was die Prognosequalität der Rating Agenturen angeht, so genügt ein Wort: Mangelhaft. Sie haben die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 nicht kommen sehen und die Ratings der Banken nicht herabgestuft. Auch die aktuellen Schwierigkeiten der PIIGS-Länder haben sie nicht vorhergesehen. Sie laufen den Ereignissen immer hinterher und verstärken meist mit ihren Ratings einen bestehenden Trend - in der aktuellen Situation den Fall der Börsen. Insofern war auch der Zeitpunkt der Herabstufung der Bestnote der USA inmitten eines heftigen Rückschlages höchst unangebracht. Ich halte es mit Warren Buffet, der gesagt hat, die Herabstufung der Bonität der USA habe seine Meinung nicht geändert, höchstens die über Standard & Poor's. Wenn etwas Gutes daran zu finden ist, so ist es zum einen, dass es die Korrektur an den Börsen verschärft, aber vielleicht verkürzt hat, zum anderen, dass es einen Bewusstseinswandel in Gang gesetzt haben könnte, dass es mit dem sorglosen Schulden machen und auf Pump leben vorbei ist. Das gilt auch für Europa.

China ist der größte Gläubiger der USA. Was, wenn die Chinesen den Amerikanern den Geldhahn zudrehen?

Die Chinesen werden den USA den Geldhahn nicht zudrehen. Wo sollten sie denn ihre Devisenüberschüsse stattdessen anlegen? Etwa in den existenzbedrohten Euro? Oder in den japanischen Yen, in ein Land, dessen Staatsverschuldung über 200 Prozent beträgt, mehr als das Doppelte der USA? Oder vielleicht in den Schweizer Franken in dem kleinen Helvetia, das von vielen angstgeplagten Anlegern als ein Hort der Sicherheit betrachtet wird? Fazit: Unter Blinden ist der Einäugige König. Mittelfristig gibt es zur Breite und Aufnahmefähigkeit des amerikanischen Bondmarktes keine Alternative. Das hat sogar ein ranghoher chinesischer Politiker in diesen Tagen offen ausgesprochen.

Die Staatsverschuldung in den USA beträgt fast 100 Prozent vom BIP. Die Wirtschaft kommt nicht in Fahrt, der Konsum lahmt, die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Wie will man unter diesen Voraussetzungen noch ein Wachstum von drei Prozent erreichen?

Das Wachstum der USA - und das gilt auch für Europa und Japan - wird auf Jahre hinaus unterdurchschnittlich sein. Alle Industrieländer haben seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse gelebt. Jetzt heißt es, Schulden abbauen, Sozialstaat stutzen, Konsumrausch ade. Dass die Wachstums-Lokomotive USA nicht mehr zieht, wird die ganze Welt zu spüren bekommen. Im Übrigen sollten wir nicht dauernd über den Teich blicken. Statt uns ständig über die Probleme der Amerikaner den Kopf zu zerbrechen, täten wir gut daran, die Probleme in Europa ins Auge zu fassen, die nach meiner Einschätzung viel größer sind als die der USA.


 
aus der Diskussion: DAX-Werte im Chartcheck
Autor (Datum des Eintrages): actr  (17.08.11 12:10:23)
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