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Warum kein Untergang?

Kürzlich wurde hier darüber diskutiert, was die Folgen eines Ölpreises von 200 oder gar 1.000 Dollar / Barrel wären.

Wäre die Folge der Untergang, das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen?

Ich denke das nicht, zumindest, wenn man mit seinem Szenario einigermaßen nahe an der Realität bleiben will.

Ich gehe ja eigentlich davon aus, dass wir uns hier einig sind, dass in der Realität ein Ölpreis von 200 Dollar im heutigen Geldwert nur für eine kurze Phase möglich wäre (vielleicht in der Folge eines Krieges), bevor er zu einer gravierenden Nachfragezerstörung führen würde und sich so selbst eine Grenze setzte.

Ein Ölpreis von 1.000 Dollar ist überhaupt nur eine reine Fiktion – ein Gedankenexperiment, das intellektuell anregend sein kann, aber nicht Wirklichkeit werden könnte.

Warum nun also kein Untergang bei einem Ölpreis von 200? Vor allem deshalb, weil er nicht nachhaltig sein könnte.

Ich glaube, die Katastrophisten im Thread empfinden den Ölpreis zu sehr als exogene Größe, der quasi als Schicksal von Außen über die Volkswirtschaft hereinbricht und sie antreibt, wenn er niedrig ist, sie dämpft, wenn er steigt und sie zerstört, wenn er überschießt.

Dabei sind alle Wirkungen sogar grundsätzlich richtig beschrieben.

Der Fehler liegt aber darin, den Ölpreis als exogen zu sehen (oder zumindest so zu empfinden).

In Wahrheit macht aber nicht nur der Ölpreis die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft (die Nachfrage) macht sich genauso auch ihren Ölpreis.

Und eben weil es diese Rückkopplung gibt, wird der Ölpreis über einen etwas längeren Zeitraum (bspw. 10 Jahre) und global gesehen, nie substanziell zerstörend, sondern immer nur begrenzend wirken.

Die Frage der Fragen ist, wie viel Öl bzw. Energie zur Verfügung steht und wie viel Wirtschaft man damit betreiben kann.

Nehmen wir an, der Ölpreis schießt auf 200 Dollar / Barrel. Natürlich führt das in eine heftige Rezession, die den Lebensstandard sehr vieler Menschen senken würde.

Aber bedeutet das, dass nun plötzlich real weniger Energie verfügbar ist, als vorher? Keineswegs. Wir erzeugen heute ungefähr 89 Millionen Barrel all liquids pro Tag. Diese Fähigkeit geht nicht plötzlich verloren. Diese 89 Millionen Barrel zuzüglich der gesamten weiteren Energieproduktion aus Kohle, Gas und Erneuerbaren sind die Basis für ein ganz bestimmtes Wohlstandsniveau.

Wenn wir dieses Niveau überschreiten wollen, werden die Preise für Energie überschießen und uns erinnern, dass wir eben nicht 108 Mio. Barrel haben, sondern nur lumpige 89. Pech für uns.

Die Wirtschaft wird dann stagnieren bzw. ganz fix wieder auf das Niveau schrumpfen, das und die verfügbare Energie erlaubt. Diese Anpassung erleben wir als Krise. Aber eigentlich ist es keine Krise. Es ist nur so, dass wir auf einem extrem hohen Niveau derzeit nicht mehr weiter kommen.

Wenn wir dieses Niveau aber deutlich unterschreiten (und das meinen die Worte „Katastrophe, Zusammenbruch, Zivilisationsabriss“ in absolut extremer Weise), werden uns spottbillige Energiepreise daran erinnern, dass da draußen 89 Mio. Barrel/Tag warten und nicht nur… ja, wie viele eigentlich?

Bei einem totalen Zivilisationsbruch, wie hoch wäre denn dann noch der Ölverbrauch der Welt?

Man kann ja nicht sagen: „Alles bricht zusammen, die industriellen Strukturen liegen weitgehend brach usw.“, aber gleichzeitig der Meinung sein, dass wir dann noch immer eine Menge Öl verbrauchen würden, oder?

Also, wie hoch ist der Verbrauch nach dem fiktiven Zusammenbruch der Zivilisation?

10% vom heutigen Stand? Das wären 9 Mio. Barrel?
30% vom heutigen Stand? Das wären 27 Mio. Barrel?

Also, wenn wir einen Einbruch der Nachfrage von 70% unterstellen, dann landen wir bei einem globalen Verbrauchsniveau von ca. 1965.

Wenn wir einen Nachfrageeinbruch von 90% unterstellen, landen wir in den 1940er-Jahren.

Looe hat kürzlich dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass Deutschland in den 30er-Jahren nur ein Zehntel des heutigen Stromverbrauchs realisiert hat.

Die Menschen waren in den 30er-Jahren viel ärmer, als heute, das Leben war viel härter und wir würden es unerträglich finden, in einer solchen Welt leben zu müssen (unbedingt den Film Herbstmilch ansehen!).

Aber selbst die 30er waren alles andere als „Buschmann-Stil“. Wir haben mit dem damaligen Energieniveau immerhin voll funktionsfähige Großstädte betrieben und in Deutschland haben kaum weniger Menschen gelebt als heute!

In den 40er-Jahren haben wir mit nur 10% des heutigen Ölverbrauchs das Atom gespalten (was wir hätten lassen sollen) und den Computer erfunden.

In den 60er-Jahren sind wir mit einem Drittel des heutigen Ölverbrauchs zum Mond geflogen und haben eigentlich schon in einem unverschämten Luxus gelebt.

Natürlich waren „wir“ nie die globale Bevölkerung, sondern nur die wenigen, die an der Spitze des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts standen.
Für alle anderen blieben nur Almosen – das war damals so und das ist heute nicht anders.

Werden demnächst „wir“ (USA, Europa) unseren Spitzenplatz räumen müssen? Werden die Chinesen dann diejenigen sein, denen der Segen aus 89 Mio. Barreln in erster Linie zu Gute kommt? Werden wir die sein, die mehr und mehr von Almosen leben müssen?

Vielleicht wird das so kommen. Global gesehen bedeutet es nur, dass es einen Elitentausch gibt. Eine andere Region schwelgt dann im Luxus. Das Spiel bleibt aber das Gleiche. Zusammenbruch vielleicht für uns, aber nicht für die technische Zivilisation an sich – die macht halt auf Mandarin weiter!

Aber eigentlich wollte ich jetzt gerade auf etwas anderes hinaus: Wenn man sich vorstellt, dass der Ölverbrauch wegen eines großen Zusammenbruchs auf 30% des heutigen Niveaus fallen würde (was uns energetisch wie eben beschrieben ins Jahr 1965 zurück wirft – so viel nochmals zu dem, was wir so Zusammenbruch nennen…), auf welches Niveau soll denn da der Preis des Öls fallen?
Läppische 30 Millionen Barrel an Nachfrage? Der Preis würde sich dann wohl an den Cashkosten der arabischen Großfelder orientieren, also voraussichtlich auf 10 Dollar oder weniger fallen.

Sollte man nicht annehmen, dass bei einem Ölpreis von (weniger als) 10 Dollar sehr schnell ein Wiederaufbau der Industriegesellschaft gelingen würde? Plötzlich Energie so billig wie nie – und in zunächst faktisch unbegrenzten Mengen.
Es würde einen Wirtschaftsboom geben, wie ihn die Welt nur selten erlebt hat.

Die Pessimisten nehmen nun an, dass die Gesamtmenge der der Menschheit zur Verfügung stehenden Energie aus all liquids und sogar die Menge der gesamten Primärenergie schon sehr bald abnehmen wird.

Aber das ist ein anderes Feld! Und selbst wenn das zutreffen würde, würde der Ölpreis nicht durch die Decke gehen, sondern die Versorgung der Menschheit mit Gütern würde mit der Rate fallen, mit der die verfügbare Primärenergie sinken würde, wobei sich die Fallgeschwindigkeit allerdings um die Rate von Effizienzgewinnen bei der Energienutzung vermindern würde.

Und selbst in diesem Fall sehe ich keinen Grund für einen Systemzusammenbruch. Es sei denn, man würde davon ausgehen, dass die zur Verfügung stehende Primärenergie schlagartig zur Neige ginge, etwa mit Jahresraten von -10% oder so. Das ist aber absurd.
(Persönlich sehe ich keinen Grund, warum die Primärenergie aus all liquids bis 2020 fallen soll. Langfristig wird es darauf ankommen, sicherzustellen, dass die der Menschheit zur Verfügung stehende Primärenergie aus allen Quellen am besten nie zurück geht, sondern langsam weiter ansteigt, was technisch grundsätzlich möglich ist.)

Also, Zusammenfassung:

- Es wird keinen Zusammenbruch der globalen Zivilisation geben, weil die Menge des verfügbaren Öls so groß ist, wie sie eben ist und nicht schnell zurück gehen wird.

(Bisher ist sie sogar – entgegen der meisten früheren Thesen der Peaker – noch überhaupt nicht zurückgegangen. Stellt man nicht nur auf crude ab, ist sie sogar gestiegen.)

- Die Menge der nutzbaren Energieressourcen (unter anderem des Öls) erlaubt ein ganz bestimmtes Wohlstandsniveau. Da die Menge der nutzbaren Energie nicht plötzlich gegen Null fallen wird - im Moment ist sie sogar stabil bis weiter expansiv -, wird auch das mit ihr korrespondierende Wohlstandsniveau nicht plötzlich gegen Null fallen. Dieses plötzliche "gegen Null fallen", ist aber das, was die Untergangsszenarien beinhalten.

- Regionale Verschiebungen des Wohlstands- und Zivilisationsniveaus sind global betrachtet irrelevant. Ob wir reich sind und die Chinesen arm oder anders herum, ist für die Menschheit egal.

Wenn die Bevölkerung Afrikas von 1 Milliarde auf 3 Milliarden steigt, führt das nicht zu einem proportionalen Rückgang des Wohlstands- und Zivilisationsniveau in den Industriestaaten. Die Güter der Welt wurden nie und werden nie gerecht und gleichmäßig verteilt werden. Ob es 3 oder 6 Milliarden Menschen gibt, die von der Hand in den Mund leben müssen, ist der Menschheit nun mal scheiß egal.

Die Hungernden hatten in der Geschichte nie die Möglichkeiten, sich ihren Anteil mit Gewalt zu holen und sie werden diese Möglichkeiten auch nie haben. Denn wir haben die Waffen und wir haben das Geld, mit dem wir uns Hungerleider kaufen können, die andere Hungerleider erschießen.

(klingt zynisch? soll es auch. es ist nicht so, dass mir das gefällt, aber ich analysiere die historischen Fakten.)

- Es gibt letztlich auch keinen schlagenden theoretischen Grund, warum die Menge an Primärenergie nicht dauerhaft ansteigen sollte.

Soweit sich in Jahren oder Jahrzehnten für eine gewisse Zeit die Überschussenergie vermindern sollte – was ich nicht ausschließen kann – wird sich das krisenhaft auswirken. Die industrielle Zivilisation wird sich dann nicht mehr ausdehnen, sondern zurückziehen. Das Konsumniveau wird sinken und nicht mehr steigen. Die verfügbaren Energiemengen werden dann dennoch um Größenordnungen(!) höher sein, als das, was wir bspw. 1950 hatten. Und selbst 1950 hatten wir schon eine technisch-wissenschaftliche Zivilisation.

So in etwa…
 
aus der Diskussion: Peak Oil und die Folgen
Autor (Datum des Eintrages): SLGramann  (25.11.11 20:12:36)
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