Die EZB weitet ihre Bilanz massiv aus – und bekämpft so die Krise Die Bilanzsumme der EZB erreicht bald drei Billionen Euro. Vor allem Anleihebestände sind stark gestiegen. Hohe Reserven decken die Risiken ab. Norbert Häring Frankfurt Mario Draghi ist ein Mann der Tat. Als er im November die Präsidentschaft der Europäischen Zentralbank (EZB) übernahm, senkte er sofort die Leitzinsen und schob im Dezember gleich noch eine Senkung nach. Gleichzeitig bot er den Banken Geld mit dreijähriger Laufzeit in unbegrenzter Menge und zu Zinsen nahe null an. Die Geldhäuser verstanden schnell, was die Politik von ihnen erwartete – sie nahmen fast eine halbe Billion Euro auf und kaufen seither fleißig hochverzinsliche Staatsanleihen der Euro-Krisenländer. Vor allem die Banken in Draghis Heimatland Italien und in Spanien griffen zu und machten es so für ihre Regierungen viel billiger, frische Kredite über Staatsanleihen aufzunehmen. Die direkten Käufe von Staatsanleihen durch die EZB, die den Anlass für den Rücktritt von Axel Weber und Jürgen Stark aus der EZB-Führung gegeben hatten, treten damit in den Hintergrund. Gestern gab die EZB bekannt, dass sie in der vergangenen Woche nur noch für 63 Millionen Euro Anleihen auf dem Markt gekauft hat. Angesichts der Geldschwemme für die Banken hat das kaum noch Bedeutung. Im Februar will die EZB den Instituten noch einmal Geld für drei Jahre zum Niedrigzins anbieten. Dann könnte ihre Bilanzsumme erstmals die Drei-Billionen-Marke übersteigen. Ein tiefer Blick in die EZB-Bilanz zeigt, was das bedeutet. Die Bilanzsumme der EZB ist größer als die der US-Notenbank Die Bilanzsumme der EZB war zum Stichtag 13. Januar 2012 mit 2,7 Billionen Euro rund 400 Milliarden Euro größer als die der US-Notenbank Federal Reserve. Dabei gilt die Federal Reserve mit ihrem Programm der quantitativen Lockerung durch einen massiven Ankauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren als Inbegriff der ultra-expansiven Geldpolitik durch Geldvermehrung. Verglichen mit 2005 hat die EZB ihre Bilanzsumme auf das Zweieinhalbfache gesteigert, die Federal Reserve auf das Dreieinhalbfache. Doch die EZB holt schnell auf – auch, was diesen Maßstab angeht. Vergleicht man die besonders umstrittenen Käufe von Staatsanleihen durch die EZB im Rahmen ihres „Securities Market Programme“ (SMP) von rund 220 Milliarden Euro mit denen der Federal Reserve im Volumen von umgerechnet 1,2 Billionen Euro, so sieht das Programm der EZB in der Tat bescheiden aus. Deshalb lautet auch die offizielle Lesart, dass die EZB ihre Bilanzsumme vor allem durch Kredite an die Banken ausgedehnt hat. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Ein genauer Blick in die Zusammensetzung der Bilanz des Euro-Systems, also der konsolidierten Bilanz der EZB und der nationalen Notenbanken der Währungsunion, fördert allerdings Überraschendes zutage. Denn bei der Bilanzausdehnung um rund 1 500 Milliarden Euro seit Anfang 2007 ist der größte Posten mit einem Plus von rund 600 Milliarden Euro die Zunahme der Wertpapierbestände. Das sind zum größten Teil Anleihen und unter diesen wiederum vor allem Staatsanleihen. Die Zunahme der Kredite an die Banken macht mit mindestens 415 Milliarden Euro nur den zweitgrößten Posten aus. An dritter Stelle folgt die Aufwertung von Gold und Währungsreserven mit rund 350 Milliarden Euro. Wie viel Kredite die Banken tatsächlich bekommen haben, können Außenstehende nicht genau nachvollziehen, denn die nationalen Notenbanken buchen in eigener Regie vergebene Sonderhilfen teilweise in den Sammelposten „Sonstige Aktiva“. Noch unübersichtlicher ist die Lage bei den Wertpapierkäufen. Im Zuge ihrer offiziellen Ankaufsprogramme hat das Euro-System nur Staatsanleihen für 220 Milliarden Euro und Pfandbriefe aus dem privaten Sektor für 60 Milliarden Euro angekauft. Doch auch hier führen die nationalen Notenbanken ein Eigenleben. Sie kaufen außerhalb des SMP laufend auf eigene Rechnung Anleihen. So hat zum Beispiel die Bank von Italien ausweislich ihres Jahresberichts ihren Bestand an Staatsanleihen außerhalb des Programms allein im Jahr 2010 um gut 20 Milliarden Euro aufgestockt. Die Bank von Spanien hingegen hat die Zukäufe im Zuge des SMP weitgehend durch Verkäufe anderer Anleihen ausgeglichen. Wie viel genau das Euro-System an Anleihen und insbesondere Staatsanleihen im Verlauf der Krise dazugekauft hat, lässt sich nicht genau sagen. Denn die konsolidierte Bilanz, die wöchentlich vorgelegt wird, gliedert die einzelnen Positionen nicht genau genug auf, und die ausführlicheren Bilanzen der einzelnen Zentralbanken für 2011 liegen noch nicht vor. So gibt es in der konsolidierten Bilanz im Posten „Sonstige Aktiva“ auch „Sonstige Finanzanlagen“. Diese sonstigen Aktiva, in die auch ein Teil der schon erwähnten nationalen Hilfskredite für Banken gebucht wird, legten um stattliche 128 Milliarden Euro zu. Der offen als „Wertpapiere in Euro“ ausgewiesene Posten hat um 545 Milliarden Euro zugelegt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wertpapierbestände seit 2007 um 545 Milliarden Euro gestiegen sind – plus den Teil der 128 Milliarden Euro zusätzlichen „sonstigen Aktiva“, der auf Wertpapierkäufe zurückgeht. Die Notenbank entscheidet frei, wessen Anleihen sie kauft Es hat nichts Anrüchiges, dass Notenbanken Rücklagen und Überschüsse in Staatsanleihen anlegen. Das ist durchaus üblich. Dabei haben sie im Euro-Raum große Entscheidungsspielräume. Die Bank von Italien beispielsweise hätte 2010 Silvio Berlusconi durch Käufe italienischer Anleihen helfen können, als seine Regierung im Herbst unter Druck geriet. Doch das tat sie nicht: Stattdessen kaufte sie 2010 überwiegend Anleihen aus anderen Euro-Ländern. Der Anteil italienischer Papiere am „sonstigen“ Wertpapierportfolio der Bank von Italien sank von 53 auf 47 Prozent. Hätte sie stattdessen die Regierung gestützt, wäre auch das kaum aufgefallen. Das ist eine Besonderheit des Euro-Systems – denn eine „normale“ Notenbank wie in Großbritannien kann fast nur Staatsanleihen der eigenen Regierung kaufen, wenn sie Pfund ohne Wechselkursrisiko in sicheren Anleihen anlegen will. Das Beispiel zeigt, welche Spielräume sich in der riesigen Bilanz des Euro-Systems verstecken und welche Macht das beinhaltet. Die Bundesbank als scharfe Kritikerin des SMP scheint übrigens zu handeln, wie sie redet. Sie besaß Ende 2010 nur fünf Milliarden Euro an sonstigen Wertpapieren und sonstigen Finanzanlagen. Selbst in der Frage, wie viele Reserven und Rücklagen das Notenbanksystem hat, um diese in Wertpapieren anzulegen, ist es weitgehend frei. Denn anders als ein normales Unternehmen zahlen die Notenbanken mit Geld, das sie selbst schaffen. Wenn sie also eine Anleihe kaufen, dann entsteht auf der Passivseite der Bilanz von selbst eine Gegenbuchung, die die Bilanz wieder ausgleicht. Diese Macht zum Gelddrucken ist vielen Menschen unheimlich. Wenn sie so ausgedehnt genutzt wird wie derzeit, ruft sie gerade in der deutschen Bevölkerung die Angst vor einer Rückkehr hoher Inflationsraten hervor. Diese Angst ist prinzipiell nicht unberechtigt, im konkreten Fall beruht sie aber auf Missverständnissen. Zunächst einmal scheint die Sorge berechtigt, weil mehr umlaufendes Geld grundsätzlich die Preise treibt, wenn es nicht gleichzeitig mehr zu kaufen gibt. Das erste Missverständnis liegt jedoch darin, dass tatsächlich nur ein kleiner Teil des Geldes dafür verwendet wird, um zu kaufen, was laufend produziert wird. Das meiste Geld dient stattdessen zum Kauf von Aktien, Anleihen und Immobilien – alles Kaufobjekte, deren Preise nicht in die Lebenshaltungskosten eingehen. Die Politik des lockeren Geldes vor der Krise hat daher nicht zu Inflation geführt, sondern zu Preisblasen auf Vermögensmärkten. Jetzt, wo diese geplatzt sind, bewirkt die Geldschwemme der Notenbanken vor allem, dass Aktienkurse und Immobilienpreise nicht einbrechen. So wird plausibel, dass die EZB ebenso wie fast alle Bankvolkswirte sinkende Inflationsraten prognostiziert. Die Citigroup, die eine Prognose bis 2016 veröffentlicht hat, rechnet mit Rückgang der Inflationsrate bis auf 0,8 Prozent. Das zweite Missverständnis besteht darin, dass viele Menschen glauben, dass nur die Notenbanken Geld in Umlauf bringen. In Wirklichkeit wird das meiste Geld von Geschäftsbanken in Umlauf gebracht – nämlich all das Geld, das wir im bargeldlosen Zahlungsverkehr verwenden. „Den Geschäftsbanken und der Zentralbank (kommt) eine besondere Rolle zu, da sie als Einzige Kredite gewähren und zugleich Geld schöpfen können“, beschreibt die EZB, was sie mit anderen Banken gemeinsam hat. Wenn meine Hausbank mir Kredit gibt, räumt sie mir in Höhe des Kreditbetrags ein Guthaben auf meinem Girokonto ein. Mit diesem Guthaben kann ich Rechnungen bezahlen, und die Empfänger bezahlen damit wiederum ihre Rechnungen. Die Bank hat also Zahlungmittel geschaffen, die vorher nicht da waren – auf genau die gleiche Weise, wie die EZB Geld schöpft, indem sie Kredit gibt. Die Politik des lockeren Geldes vor der Krise bestand im Wesentlichen darin, dass Notenbanken und andere laxe Aufseher zuließen, dass die Banken ihr Kreditvolumen und damit die Geldmenge ausdehnten. Damit schürten sie einen Aktien- und Immobilienboom, der nicht nachhaltig war. Jetzt haben die Banken ins andere Extrem umgeschaltet und geben nur widerwillig Kredit. Die Geldschwemme der Notenbank soll eine Kreditklemme verhindern, wie sie sich in manchen Euro-Ländern andeutet. Es geht also bisher darum, eine Schrumpfung des gesamten Geldumlaufs zu verhindern – und nicht etwa darum, die insgesamt umlaufende Geldmenge kräftig auszudehnen. Doch es ist nicht nur die Angst vor hoher Inflation, die die EZB mit der Ausweitung ihrer Bilanz provoziert. Die Bürger solider Euro-Staaten, vor allem die Deutschen, fürchten auch, dass die EZB eine „Bad Bank“ voller wertloser Staatsanleihen und Kredite wird, deren Verluste am Ende der Steuerzahler tragen muss. Auch diese Sorge ist nicht völlig unberechtigt, aber übertrieben. Kein Zweifel: Wenn Griechenland pleitegeht, drohen der EZB aus zwei Gründen erhebliche Abschreibungen. Erstens hält das Euro-System geschätzt 40 bis 45 Milliarden Euro an Griechen-Anleihen aus dem Ankaufprogramm. Da es diese schon mit einem Abschlag gekauft hat, dürften 20 bis 30 Milliarden Euro im Feuer stehen. Zweitens haben die Banken, die sich bei der EZB in großem Volumen refinanziert haben, dafür auch griechische Staatsanleihen als Sicherheiten hinterlegt. Wie viele, verrät die EZB nicht, aber es dürften mehr sein, als sie selbst hält. Ginge Griechenland pleite, wäre auch ein Teil der Banken pleite, die diese Papiere eingereicht haben, und die hinterlegte Sicherheit wäre kaum noch etwas wert. Das Risiko ist also beträchtlich, aber das Euro-System kann auch eine Menge Risiken schlucken, bevor es den Steuerzahler in Anspruch nehmen muss. Da sind zunächst einmal Goldreserven im Wert von 423 Milliarden Euro und Devisenreserven von 246 Milliarden Euro. Schließlich geht, wie erwähnt, die Bilanzausdehnung seit 2007 zu knapp einem Viertel oder rund 350 Milliarden Euro auf die Aufwertung von Gold- und Devisenreserven zurück. Dieser Teil der Bilanzausdehnung stellt weder Geldschöpfung dar, noch beinhaltet er zusätzliche Risiken. Im Gegenteil: Er hat die Risikotragfähigkeit beträchtlich erhöht. Auf der Passivseite der Bilanz schlägt sich das nieder in stillen Rücklagen von fast 400 Milliarden Euro, Kapital und offenen Rücklagen von 82 Milliarden Euro und diversen obskuren Ausgleichs- und Neubewertungsposten von über 200 Milliarden Euro, die man so nur in einer Notenbankbilanz findet. Es müsste also schon sehr viel passieren, damit die EZB und die nationalen Notenbanken gezwungen wären, das bescheidene Eigenkapital anzugreifen. Und noch ein Ass hat eine Notenbank in so einem Fall im Ärmel. Wenn es eng wird und sie ihre Rücklagen nicht angreifen will, dann kann sie Verlustvorträge bilden, die in späteren Jahren aus dem Geldschöpfungsgewinn getilgt werden. Die laufenden Zahlungsverpflichtungen einer Notenbank sind so gering, dass es kaum passieren kann, dass sie diese nicht erfüllen kann. Unter dem Strich kann der Steuerzahler also froh sein, wenn die Zentralbank die Kosten für eine Bankenrettung übernimmt und nicht der Staat. Der EZB geht es tatsächlich, wie sie immer wieder erklärt, bei ihren Krisenmaßnahmen vorrangig darum, die Banken zu stützen. Selbst wenn sie Staatsanleihen kauft, dann dient das erkennbar stärker dazu, den Banken zu helfen, die diese Anleihen halten, als den Regierungen, die sie emittieren. Die EZB hat die Refinanzierung der Banken übernommen Bei der Bankenstützung hat die EZB jüngst das ganz große Geschütz aufgefahren, indem sie die mittelfristige Refinanzierung des Bankgeschäfts selbst in die Hand genommen hat und nun über ihre eigene Bilanz abwickelt. Bisher konnten sich die Banken nur kurzfristig bei der EZB finanzieren. Um eine akzeptable Bilanz zu präsentieren, brauchen sie aber auch längerfristige Mittel, die sie sich bisher durch Anleiheemissionen oder als Einlagen geholt haben. Das schaffte eine gewisse Marktdisziplin. Doch in den nächsten drei Jahren werden Anleihen im Volumen von 1,7 Billionen Euro fällig, die manche Banken gar nicht, andere nur zu relativ hohen Zinsen durch neue ersetzen können. Deshalb hat die EZB kurzerhand entschieden, selbst zur Quelle für die mittelfristige Finanzierung zu werden und den angeschlagenen Bankensektor damit vor der Marktdisziplin zu verschonen. Als sie den Banken im Dezember erstmals Dreijahreskredite anbot, war die Nachfrage riesig. Knapp eine halbe Billion Euro riefen die Institute ab. Am 28. Februar werden sie zum zweiten Mal Gelegenheit haben, solche Langfristkredite abzurufen. Die EZB erwartet nach den Worten ihres Präsidenten Draghi, dass die Nachfrage nicht ganz so hoch sein wird wie beim ersten Mal, „aber immer noch sehr hoch“. Der Kredit von der Zentralbank kostet die Banken netto 0,75 Prozent und damit deutlich weniger als die Inflationsrate, die derzeit gut zwei Prozent beträgt. Das kommt so zustande: Die Banken bezahlen ein Prozent Zinsen für das Geld von der EZB und bekommen dafür bei der Notenbank ein Guthaben auf ihrem Girokonto, das mit 0,25 Prozent verzinst wird. Wenn die EZB ihren Leitzins weiter senkt, würde es noch billiger, denn der Zins für die Kredite wird dann angepasst. Die Banken können die Guthaben auf dreierlei Weise nutzen. Sie können mehr Kredit geben, weil sich ihre Bilanzsituation verbessert hat. Sie können Anleihekredite damit tilgen, oder sie können verstärkt Staatsanleihen kaufen, bevorzugt mit Laufzeiten bis drei Jahre. Analysten rechnen damit, dass die beiden letzten Möglichkeiten die größte Bedeutung haben werden. Der verstärkte Kauf von Staatsanleihen scheint schon stattzufinden. Die Anleiheemissionen von Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich sind seit Ausgabe der Dreijahreskredite erheblich besser gelaufen als zuvor. Die Renditen vor allem für kürzerfristige Anleihen sind beträchtlich gesunken. In allen drei Fällen steigt die Geldversorgung von Staat und Wirtschaft (außerhalb des Bankensektors). Denn wenn die Banken das Geld von der EZB verwenden, um Staatsanleihen zu kaufen oder Bankanleihen abzulösen, dann wird Geld freigesetzt, das andernfalls für diese Käufe verwendet worden wäre. Ob das zusätzliche Geld allerdings letztlich seinen Weg zu den Unternehmen findet oder ob es nur in Geldanlage und Finanzspekulation fließt, ist noch nicht ausgemacht. |
|
aus der Diskussion: | Tages-Trading-Chancen am Dienstag den 31.01.2012 |
Autor (Datum des Eintrages): | jendrik (31.01.12 08:22:30) |
Beitrag: | 21 von 507 (ID:42671668) |
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE |