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Beschneidungsurteil

"Schutz vor Gewalt ist wichtiger als religiöse Riten"

Wegen eines Aufsatzes vor vier Jahren wird er nun massiv bedroht: Professor Holm Putzke von der Uni Passau spricht sich gegen Beschneidung von Buben aus. Das jüngste Urteil des Landgerichts Köln fußt auf seinen Ergebnissen. "Mir geht es allein darum, eine religiöse Handlung aufzuschieben",erklärt er im Interview mit BR.de.



Autor: Veronika Beer / Annette Walter Stand: 29.06.2012



BR.de: Wie bewerten Sie das Urteil des Landgerichts Köln?

Holm Putzke: Das Urteil des Landgerichts Köln ist richtig. Das Gericht kam nach intensiver Auseinandersetzung mit dem rechtswissenschaftlichen Diskussionsstand zu dem Ergebnis, dass Religionsfreiheit dort endet, wo die körperliche Unversehrtheit von Kindern durch unnötige und riskante Operationen irreversibel verletzt wird. Dies nicht zuzulassen, sollte in einer Gesellschaft, die Wert auf den Schutz von Kindern vor Gewalt legt, eine Selbstverständlichkeit sein.

Das Urteil

Das Kölner Landgericht bewertete die Beschneidung eines minderjährigen Buben aus religiösen Gründen im Juni 2012 als Körperverletzung. Die Richter argumentierten, die religiöse Beschneidung sei ein dauerhafter und irreparabler Eingriff für das Kind. Jüdische und islamische Verbände kritisierten die Entscheidung als unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit.

BR.de: Welche Tragweite hat es?

Holm Putzke: Es ist ein mutiges Urteil, weil die Empörungswelle vorhersehbar war und die Diskussionskultur fast immer leidet, wenn es um Religionskritik geht. Trotz fehlender Bindungswirkung für andere Gerichte oder Staatsanwaltschaften könnte von dem Urteil eine Signalwirkung ausgehen und - was noch wichtiger ist - endlich zu einer längst überfälligen gesellschaftlichen Diskussion führen.

BR.de: Ist es nicht ein sehr westlicher und damit einseitiger Blick auf die Dinge?

Holm Putzke: Einseitig ist der Blick auf die Dinge deshalb nicht, weil das Gericht nicht einfach eine Behauptung aufstellt, sondern sein Urteil nach sorgfältiger Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit mit dem Recht der Eltern auf freie Religionsausübung fällt. Typisch westlich ist die Sicht ebenfalls nicht, weil auch in anderen Gegenden dieser Erde aufgeklärte Menschen ähnlich denken.

BR.de: Was bedeutet das Urteil nun für Ärzte? Sollten sie Beschneidungen aus religiösen Gründen ablehnen?

Holm Putzke: Das Risiko für Ärzte, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden oder bei Komplikationen den Versicherungsschutz zu verlieren, ist gestiegen. Als Arzt würde ich allerdings nicht deshalb religiöse Beschneidungen an Buben ablehnen, sondern weil es mit dem Arztberuf ethisch unvereinbar ist, medizinisch unnötige Operationen an Kindern vorzunehmen, die sich nicht wehren können.

BR.de: Welche Botschaft geht von Ihren Beiträgen und dem Urteil an die Religionsgemeinschaften aus?

Holm Putzke: Ziel meines Anfang 2008 verfassten Beitrags zur Strafbarkeit der religiösen Beschneidung an Jungen war keine Kriminalisierung von Ärzten und Eltern oder gar Religionsgemeinschaften. Vielmehr habe ich gehofft, dass eine breite gesellschaftliche Debatte darüber in Gang kommt, wie viel religiös motivierte Gewalt tolerabel ist. Weder das Urteil noch die darin favorisierte Meinung verhindern, dass jemand seine Religion ausübut. Es geht auch nicht um die Diskriminierung von Religionsgemeinschaften oder das totale Verhindern von Religionsausübung, sondern allein darum, eine religiöse Handlung aufzuschieben.

BR.de: Ist das Ganze eine typische deutsche Debatte? Wie wird europa- und weltweit mit dem Thema umgegangen?

Holm Putzke: In anderen Ländern, vor allem in den USA, gibt es seit Jahrzehnten eine starke Bewegung, die medizinisch nicht notwendige Beschneidungen an nicht einwilligungsfähigen Kindern als unethisch kritisiert. Selbst in Israel gibt es eine intensive Debatte darüber, ob religiöse Beschneidungen an Kindern ethisch vertretbar sind. Ich habe zahlreiche Zuschriften aus Israel erhalten, worin Eltern mir mitgeteilt haben, dass sie trotz religiöser Zugehörigkeit zum Judentum von einer Säuglingsbeschneidung Abstand genommen haben und abwarten wollen, bis ihr Kind in der Lage ist, eigenverantwortlich darüber zu entscheiden. Wenn immer so getan wird, etwa vom Zentralrat der Juden, dass die religiöse Beschneidung im Judentum unverzichtbar und unumstritten sei, dann handelt es sich dabei nur um die halbe Wahrheit.

BR.de: Seit dem Urteil werden Sie massiv beschimpft und bedroht. Wie gehen Sie damit um?

Holm Putzke: Es wäre naiv gewesen zu glauben, dass meine und die kritischen Argumente von inzwischen der Mehrheit der Juristen und Mediziner allein rational, ruhig und gelassen diskutiert werden. Schon immer hat Religionskritik emotionale Reaktionen ausgelöst. Beschimpfungen und Drohungen lassen mich nicht kalt, nicht zuletzt weil sich dahinter oftmals Menschen verbergen, die ihren Unmut nicht anders artikulieren können. Gute Argumente sind allerdings deutlich besser geeignet, mich zu beeindrucken.

Zur Person

Professor Holm Putzke lehrt Strafrecht an der Universität Passau. Er vertritt die Auffassung, dass die Beschneidung eines Buben bei Juden und Muslimen eine Körperverletzung darstellt. Im Jahr 2008 veröffentlichte er den Aufsatz "Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben". In vielen weiteren Beiträgen beschäftigte er sich mit dem Thema und trug dabei zur öffentlichen Diskussion zur Strafbarkeit von Beschneidungen bei.

http://www.br.de/themen/aktuell/inhalt/interview-beschneidun…

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Fast möchte man ja annehmen, es gäbe eine vergorene Panik darüber, dass der mündige Mensch mit der Vollentwicklung seiner Bewußtseinsebene und der dann möglichen Ausübung seiner Selbstbestimmung, den Konfessionen einen nachträglichen und kapitalen Schaden zufügen könnte.:look:
 
aus der Diskussion: Rabbiner: Schwerster Angriff seit dem Holocaust (Thema: Beschneidungen)
Autor (Datum des Eintrages): TimeTunnel  (18.07.12 17:02:24)
Beitrag: 75 von 133 (ID:43399627)
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