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[posting]44031198[/posting]Guten Tag!

Zur Höhe von Entlohnung und Betreuung habe ich mich ja schon ausführlich samt Rechenbeispiel geäußert und bleibe, sowohl was die Sinnhaftigkeit als auch den Umfang angeht, den Du darstellst, mindestens skeptisch. Aber hier geht es ja um die Branchenproblematik und nicht um Deine Arbeitsweise.

Da ich um Familien- und Freundeskreis einer der wenigen bin, die sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen, habe ich bei vielen Verträgen, von Sachversicherng bis Kapitalanlage, ein Auge auf das Geschehen (gehabt). Es waren wahrscheinlich keine Hundert, aber so weit weg davon dürfte es auch nicht sein. Und in KEINEM, in KEINEM EINZIGEN Fall gab es so etwas wie Betreuung. Jährlich kommen Mitteilungen für das Finanzamt, bei Schäden wird halt irgendwas mit der Gesellschaft abgewickelt, aber betreut, nachgefaßt, was auch immer wird nicht. Vermißt wird das übrigens auch nicht. Das magst Du anders machen und anders sehen, aber die Branche tut das offensichtlich nicht.

Zum Rest:
Das hier:

"Honorarberatung ist übrigens 100% AP und 0% BP (bei einmaligen Honoraren) und damit leider auch nicht das Gelbe vom Ei"
ist hoffentlich ein Scherz, oder?

Und dem hier:

"Doch durch die Verteilung sortieren wir schon mal alle Berater aus, die nur auf Abschlüsse setzen und denen es nach 5 Jahren egal ist, was mit den Verträgen passiert. Damit hätten wir eine großen Teil der Probleme aussortiert."

widerspreche ich weiterhin energisch. Und das aus drei Gründen, die das Problem mal allgemein und über persönliche Erfahrung hinaus beleuchten sollen.

1. Die logische Perspektive
Aus theoretischer Sicht haben wir es mit einem Prinzipal-Agenten-Problem zu tun, bei dem als Sonderfall der Prinzipal nicht der Geldgeber ist, sondern die Gesellschaft, die das Produkt anbietet. Damit liegt, da sind wir uns ja einig, die maßgebliche Steuerungsverantwortung bei eben dieser, und, auch da sind wir uns einig, das läuft im Wesentlichen über die Anreizsystematik, also die Höhe und Form der Vergütung für den Verkäufer. So weit, so klar.

Deine These ist nun, daß langfristig gestreckte Vergütung eines Produkts dafür sorgt, daß der Agent aus Eigeninteresse auch langfristige Vertragslaufzeiten anstrebt. Und genau das ist falsch.

Der Agent strebt im wesentlichen Vergütungsmaximierung an. Deine Logik griffe dann, wenn die verschiedenen Alternativen auf Produktebene in der Höhe der Gesamtvergütung ähnlich wären, aber das sind sie nicht! Es lohnt sich einfach auch bei anderer Verteilung, schlechtere (i.S.V. für den Kunden unlukrativere/unpassendere) Produkte zu verkaufen, selbst wenn sie nach einigen Jahren gekündigt werden.

Konkretes Beispiel: Langfristige Kaptailanlage mit monatlichem Beitrag und sehr geringem Risiko, das Geld zwischendruch zu brauchen. C.P. ist die KLV hier eine schlechte Alternative, ein nicht gemanagter Indexfond wäre eine bessere. Die KLV hat die höchste Kündigungsquote im Gewerbe und einen Erwartungswert der Laufzeit von etwa 70%. Selbst wenn die Vergütung für dieses Produkt KOMPLETT auf die Laufzeit verteilt würden, lohnt es sich immer noch, sie zu verkaufen, weil 70 (oder auch nur 20)% KLV-Provision immer noch viel mehr sind als bei der Alternative.
Und dieses Problem ist prinzipiell und systemimmanent, denn die Höhe der Vergütung richtet sich, siehe Prinzipal, nach der Rendite des Produkts für den Anbieter, nicht für den Käufer, und die beiden korellieren nun mal negativ.

2. die menschliche Perspektive
Behavioral finance ist nun wahrlich nichts neues mehr. Finanzprodukte sind für die allermeisten Kunden low involvement-Produkte (das ist ja nun sattsam und tief untersucht). Unter anderem deswegen ist Betreuung gar nicht immer gewünscht, und deswegen ist die Quote von Kündigungen viel niedriger, als sie logisch sein müßte. Das gilt für Stromverträge, Telephonanbieter und Finanzprodukte gleichermaßen. Storni und Beratungsqualität korrelieren daher viel geringer, als Du das gern hättest. Was zur Perspektive drei führt:

3. die empirische Perspektive
Geh einfach mal in die Bibliothek Deines Vertrauens an das Regal "Versicherungscontrolling". Du findest hunderte von empirischen Untersuchungen beispielsweise zu Stornoquoten, und sie korrlieren mit allem möglichen, aber nicht mit der Beratungsqualität, der Komplexität und nicht mal mit der Paßgenauigkeit.

Wenn wir also Deine These mal ganz klassisch mit Popper auf den Prüfstand stellen, kommt sowohl aus der Sicht des homo oeconomicus als auch aus der Sicht des "realistischen Menschen" logisch wie empirisch eine Falsifikation dabei heraus.

Aus denselben Gründen ist die von Dir angeregte Austauschplattform zwar eine hübsche Idee, für die Majorität der Kunden aber nicht geeignet.

Zustimmen tue ich Dir insofern, als daß auch, wiewohl in geringerem Umfang, für Honorarberatung gilt. Zwar umgeht man das involvement-Problem, aber es setzt mündige Kunden voraus und ist, vor allem im Sachbereich, in der Erfolgskopplung wahrscheinlich nur schwer umsetzbar. Die Lösung für das hier diskutierte Kernproblem kann m.E. nur in Institutionen liegen, also etwa der Ausbildung und Fortbildungspflicht, in Regularien für die Gesellschaften sowie vor allem in der Haftung.

Gruß

Quixote
 
aus der Diskussion: AWD, DVAG, MLP sowie Maklerpools und die Fragen von Kunden
Autor (Datum des Eintrages): Quixote  (24.01.13 12:49:21)
Beitrag: 134 von 146 (ID:44058608)
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