Fenster schließen  |  Fenster drucken

von skol.de:

Hess zieht in den Kampf um alles oder nichts
24.01.2013

Bei der Firma Hess geht es jetzt um alles oder nichts. Nach Informationen des SÜDKURIER gibt die Familie nicht auf und zieht in den Kampf.

Während in der Hess AG nach der Entlassung des Vorstandsvorsitzenden Christoph Hess und des Finanzvorstandes Peter Ziegler eine Sonderprüfung der Bilanzen läuft, öffnet sich auf der juristischen Ebene ein neues Schlachtfeld.

Die Familie Hess bringt über ihre Holding das geballte Gewicht ihrer Mehrheitsbeteiligung in Position. 39,9 Prozent der Anteile sind in Familienhand. Ab 25 Prozent kann ein Mehrheitsgesellschafter eine außerordentliche Hauptversammlung erzwingen. Und genau das soll jetzt geschehen. Ziel der Operation soll es sein, die Aufsichtsratspositionen ebenso neu zu besetzen wie die des Vorstandes.

Entsprechende Schreiben wurden gestern vorbereitet. Die Dokumente sollen vor allem den Aufsichtsratsvorsitzenden zwingen, eine solche Sondersitzung einzuberufen. Nach Informationen des SÜDKURIER muss binnen 30 Tagen auch tatsächlich eine solche Sitzung einberufen werden.

Im Aufsichtsrat dominiert der Vorsitzende Tim van Delden. Er ist Vorstandsmitglied eines Private-Equity-Investors aus Amsterdam.

Dieses Unternehmen ist seit eineinhalb Jahren mit 20,5 Prozent bei der Hess AG investiert, verfügt also faktisch nicht über eine 25-prozentige Sperrminorität, mit der wichtige Beschlüsse des Unternehmens blockiert werden könnten. Allerdings beschloss der Aufsichtsrat unter van Deldens Leitung am Montag einstimmig den Rausschmiss der beiden bisherigen Vorstände.

Eingepackt war der Paukenschlag in schwere Vorwürfe. Es gebe Hinweise auf Bilanzmanipulationen und fingierte Umsätze mit Wissen des Vorstandes. Aus wichtigem Grund, wie es hieß, wurden die Kontrakte von Hess Junior und Ziegler mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Nachgewiesene Bilanzmanipulationen werden im Strafrecht mit Freiheitsstrafen geahndet.


Mitarbeiter deckt Unstimmigkeiten auf
Der Aufsichtsrat hatte am Montag in einer Mitteilung an der Börse seine Aufsehen erregenden Schritte verkündet. Darin hieß es, dass in Folge „interner Recherchen“ die Verdachtsmomente entstanden seien. Nach Informationen des SÜDKURIER deckte ein Mitglied der Führungsebene der Hess AG die dem Vorstand zur Last gelegten Unstimmigkeiten auf.

Offenbar transportierte der leitende Mitarbeiter seine Informationen direkt an den Aufsichtsrat unter Umgehung der Vorstandsebene. Der betreffende Mitarbeiter ist für die Hess AG zeichnungsberechtigt und erst seit einem Jahr Mitglied des Unternehmens.

Er wirkte zuvor als Steuerberater. Ein Unternehmenssprecher der Hess AG antwortete am gestrigen Mittwoch ausweichend auf einen schriftlichen Fragenkatalog dieser Zeitung. Zu den Umständen der angeblichen Manipulationen und zu den Dimensionen wolle sich die Hess AG derzeit nicht äußern. Dazu laufe im Unternehmen die Sonderprüfung.

„Kommunikatives Desaster“
Allerdings herrscht im Umfeld der Firma Hess zunehmend Unruhe. Die Art und Weise, wie das Unternehmen seine markanten Korrekturen bekannt gab und nicht genau begründete, bewertet ein namhafter Unternehmer aus Villingen-Schwenningen als „kommunikatives Desaster“.

Tatsächlich zeichnet der Börsenkurs der Hess-Aktie extreme Kurs-Kurven auf die Chart-Tafeln der Deutschen Börse. Das Papier notierte gestern Abend bei 8,70 Euro und damit knapp bei der Hälfte des Wertes wie beim Börsengang im Oktober vergangenen Jahres.


Was passiert ist, wie es weiter geht

1) Weshalb wurden die Vorstände Peter Ziegler und Christoph Hess gefeuert?
Der Aufsichtsrat hat die Verträge der beiden aus besonderem Grund gekündigt. Der Vorwurf lautet Bilanzmanipulation.

2) Was passiert nun?
Der Aufsichtsrat hat eine Sonderprüfung der Bücher veranlasst. Dabei sollen die Vorwürfe geprüft werden.

3) Wenn der Verdacht zutrifft, was würde dies bedeuten?
Die Hess AG unterliegt seit dem Börsengang im Herbst 2012 den strengen Auflagen der Deutschen Börse. Strafrechtlich werden Bilanzmanipulationen "im Regelfall mit Freiheitsstrafen belegt", sagt ein Jurist.

4) Wer sitzt im Aufsichtsrat der Firma?
Vorsitzender ist Tim van Delden. Er ist Vorstandsmitglied in der Holland Private Equity in Amsterdam, ein Investor, der seit vergangenem Jahr mit 20,5 Prozent der Anteile an der Hess AG beteiligt ist. Stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender ist Jürgen G. Hess, der Firmengründer. Drittes Mitglied des Gremiums ist Wolfgang Rombach. Er arbeitete früher bei der Sparkasse Schwarzwald-Baar und ist heute als geschäftsführender Gesellschafter eines Betriebs im Allgäu tätig.

5) Haben alle drei Aufsichtsräte für die Entlassung der beiden Hess-Vorstände gestimmt?
Ja. Nach Angaben von Marco Walz, Firmensprecher der Hess AG, ist das so. Es habe "keine Enthaltungen" gegeben, so Walz wörtlich. Damit hat Vater Jürgen G. Hess für die sofortige Entlassung seines Sohnes Christoph Hess gestimmt.

6) Sind die Bilanzen der Hess AG nicht geprüft worden?
Doch! Bilanzen von Aktiengesellschaften müssen von Experten testiert werden. Das heißt, die Zahlen werden akribisch hinterfragt. Stimmt nun andererseits der Vorwurf der Bilanzmanipulation, so wäre erhebliche kriminelle Energie zu vermuten.

7) Wer ist der neue Chef der Hess AG?
Till Becker ist promoviert und arbeitete früher bei Daimler-Chrysler. Er verantwortete zeitweilig die Nordasiengeschäfte des Konzerns. In Berichten fällt sein Name im Zuge eines markanten Management-Wechsels der Daimler-Chrysler AG in der Folge von Unregelmäßigkeiten bei Omnibusgeschäften. Früher war Becker Chef von Daimler-Chrysler in der Türkei. Bei Hess ist er als alleiniger Vorstand eingesetzt.

8) Wie geht es mit der Hess AG weiter?
Das Unternehmen geht seinen Geschäften nach. Die fast 400 Beschäftigten warten mit Spannung auf den Dienstantritt des neuen Vorstands. Für Freitag wird eine Betriebsversammlung erwartet.


Neuer Allein-Vorstand Till Becker vorgestellt
Bei der Hess AG hat sich mittlerweile der neu vom Aufsichtsrat engagierte Allein-Vorstand Till Becker vorgestellt. Allerdings nur dem Führungskreis. Der Belegschaft will er sich an diesem Freitag bei einer Betriebsversammlung präsentieren.

Becker meldete sich gestern Nachmittag aus Hannover telefonisch beim SÜDKURIER. Er entschuldigte sich dafür, bislang noch keine Zeit für ein Pressegespräch gefunden zu haben. Zahlreiche Verpflichtungen in anderen Aufsichtsräten verhinderten dies derzeit noch, sagte er.
Becker sagte gestern weiter, es sei nun für die Firma wichtig, „die Banken beisammen zu halten“. Nach SÜDKURIER-Informationen ist die Hess AG mit rund 50 Millionen Euro bei rund einem Dutzend von Instituten verschuldet. Zehn Millionen Euro des Erlöses des Börsengangs sollten deshalb auch zur Darlehenstilgung verwendet werden.

Ob sich die Firma Hess beim Börsengang auf ein zu glattes Parkett begeben hat, ist eine der vielen Fragen, die derzeit diskutiert werden. Beobachtet werden nun die starken Umsätze mit Hess-Aktien an der Börse. Ob Investor HPE seine Bestände aufstockt, ist offen.
 
aus der Diskussion: Hess- Neuer Wert mit Potential?
Autor (Datum des Eintrages): R-BgO  (25.01.13 12:06:40)
Beitrag: 136 von 218 (ID:44063589)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE