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Hallo Calcolatore,

danke erstmal für Deinen Faden zu Boeings Batterieproblem. Vor ein paar Tagen habe ich auch begonnen, mich damit zu beschäftigen. Ich muss sagen, Du hast den Wissensstand, wie er aus den unzähligen Pressemitteilungen herauszufiltern ist, sehr verständlich zusammengefasst.

Zusätzlich zu den angesprochenen Problemen, ist am verwendeten Batterietyp neu, daß eine große Anzahl von Einzelzellen, nämlich gleich 8 Stück, in Reihe geschaltet werden und dabei die individuellen Charakteristiken der Einzelzellen gewissermaßen kaschiert werden. D.h. durch die hohe Zahl von Zellen kann beim Aufladen und Entladen des Batterieblocks eine einzelne Zelle schon im Laufe weniger Ladezyklen degradieren, während die anderen Zellen deutlich länger "fit" bleiben. Es entsteht dann ein Ungleichgewicht. Ein Problem, dem man z.B. auch in Brennstoffzellenstapeln begegnet. Dort freilich sind die Auswirkungen auf einen geringeren Wirkungsgrad beschränkt und führen nicht zum Versagen des Zellenstapels.

Mit dem von Boeing beschriebenen Verfahren zur kontrollierten Schnellaufladung und sicheren Entladung ist die Degradation einer Einzelzelle nicht detektierbar. So könnte es also sein, daß die Messelektronik keine Überspannung feststellt, und zwar im Verbund der in Reihe geschalteten Zellen, es jedoch in einer einzelnen Zelle sehr wohl zur Überladung kommt, mit der entsprechenden fortschreitenden Degradation. Irgendwann im Betrieb kann es dann durch thermische Schäden am Separator zum Versagen der Einzelzelle kommen, dem gefürchteten thermischen Durchgehen ("thermal runaway").

Allerdings kann es sein, daß Boeing nicht alle technischen Details zum Ladesystem offenbart hat und daß sehr wohl jede Einzelzelle individuell überwacht wird. Doch selbst wenn es so wäre, bleibt das prinzipielle Gefahrenpotential der Lithium-Komponenten erhalten. Ein Feuer in einem Lithium-Ionen-Akkumulator unterhält sich selbst, auch ohne Zufuhr von Sauerstoff von außen. Mit Wasser ist eine brennende Lithiumbatterie leider auch nicht zu löschen. Die ganze Einheit müsste im Brandfall isoliert werden, den austretenden brennbaren Elektrolyt müsste man auffangen, die Einbaukammer mit Inertgas fluten etc. Alles Maßnahmen, zu denen man seitens Boeing nichts hört. Hier treten aus meiner Sicht Mängel im Sicherheitskonzept zu Tage. Seitens Boeing ging man offenbar davon aus, mit der elektronischen Überwachung den Akku völlig im Griff zu haben und eine Brand in jedem Fall ausschließen zu können, so daß man auf ernstzunehmende Maßnahmen zur Eindämmung eines Batteriebrandes verzichten könne. Fraglich ob dieses Konzept einer erneuten Überprüfung standhalten wird. Übrigens, das immerhin geplante Absaugen der Rauchgase hat wohl auch nicht wie geplant funktioniert, denn sowohl die Piloten als auch die Kabinencrew hatten von Rauchgeruch berichtet. Also, da liegt wohl einiges im Argen, beim Sicherheitskonzept wie auch bei der konstruktiven Ausführung der in ihrem Umfang ohnehin schon unzureichend erscheinenden Sicherheitsvorrichtungen.

Bedenklich aus meiner Sicht auch, daß die Einzelzellen der Batterie eine sehr große aktive Fläche aufweisen. Die brauchen sie, denn nur so ist die erforderliche Kapazität erreichbar. D.h. aber auch, daß in der Produktion wirklich nicht der kleinste Fehler bei der Montage des empfindlichen und weniger als 50µm dicken Separators zwischen den Elektroden unterlaufen darf. Und das auf der ganzen abgewickelten Länge über die ganze Breite der Zelle. Produktionstechnisches Neuland.

Ähnliche Probleme waren ja vor ein paar Jahren bei Notebook-Akkus noch geläufig. Inzwischen hat man sie im wesentlichen im Griff, aber auch nur, weil man auf millionenfach, automatisch produzierte Standardzellen setzt. Die mehr einer Manufaktur ähnelnde Fertigung des Herstellers GS Yuasa, der die Batterien an Boeing geliefert hat, kann nicht die gleichen hohen Qualitätsanforderungen erfüllen.

Geht eine kleine Zelle durch, so ist der Schaden i.d.R. gut eindämmbar. Bei einer großen Zelle gelingt das nicht mehr. Es kommt zur chemischen Kettenreaktion, die auf Grund der starken Wärmefreisetzung auch die benachbarten Zellen in Brand setzt.

Die tatsächlichen Ursachen des Batterieversagens liegen natürlich noch weitgehend im Dunkeln. Aber man kann immerhin ein weites Feld möglicher Ursachen ausmachen, das täglich an Raum zu gewinnen scheint. Im Verdacht stehen in erster Linie Komponenten der Batterie, aber auch das Lade- und Entladesystem. Das wird die Arbeit von Boeing und seinen Zulieferern nicht vereinfachen. Alles scheint auf umfangreiche und die Grundlagen der verwendeten Technik berührende Untersuchungen hinzudeuten. Selbst das chemische Verhalten des Elektrolyten bei wechselnden Drücken dürfte nur unzureichend bekannt sein. Es würde mich jedenfalls nicht überrascen, wenn eingehende Untersuchungen seitens unabhängiger Experten gefordert werden. Bis zur endgültigen Lösung könnten also leicht Monate vergehen, da stimme ich mit Calcolatore überein.

Meine Meinung zu dem Handling des Problems unterscheidet sich aber ein wenig von der o.g. Einschätzung. Die Behörden werden alles tun, um den Schaden für Boeing so gering wie möglich zu halten. Notfalls wird dies nach einigen ausführlichen und positiv verlaufenden Bodentests zur Aufhebung des Flugverbots führen. Wahrscheinlich unter der Auflage, die Batterien häufiger zu warten bzw. durch neue zu wechseln. Oder man reduziert die Ladespannung bei gleichzeitiger Verringerung des Entladeniveaus. Die nutzbare Kapazität des Akkus würde dadurch zwar verringert, die Gefahr des thermischen Durchgehens aber auch.

Was den Aktienkurs von Boeing angeht, und um den dreht es sich hier ja eigentlich, muss man bewundernswerte Stabilität konstatieren. Gelassenheit der Anleger, Sturheit gar? Vielleicht auch nur Kurspflege, gespeist aus einer prall gefüllten Portokasse des Unternehmens, das zur negativen Presse nicht auch noch rote Vorzeichen am Aktienkurs sehen möchte. Eine Weile mag die Marke von 75 USD zu halten sein, aber sollte der flügellahme Dreamliner längere Zeit am Boden bleiben, ohne verbindlichen Zeitplan für eine Wiederaufnahme des Flugbetriebs, so dürfte die von Boeing gestartete Imagekampagne samt Kursstütze rasch an Wirkung einbüßen. Kippt die Stimmung eines großen Teils der Anleger, dann könnte es auch beim Aktienkurs von Boeing zu einem "thermischen Durchgehen" kommen.

Der Markt wird Boeing für die Problemlösung vielleicht ein paar Wochen zugestehen. Aber auch ein paar Monate? Wohl kaum. Die Frage ist, wo der Wendepunkt in dieser Entwicklung liegt. Denn daran wäre eine entsprechende Short-Spekulation festzumachen. Oder man setzt darauf, daß es angesichts der gravierenden technischen Probleme unweigerlich zum Kurssturz kommen wird und daran weder die Kurspflege noch die Protektion durch die Aufsichtsbehörden etwas ändern werden.

Ein Spiel "David gegen Goliath", bei dem dem Riesen plötzlich die Puste ausgehen könnte.
 
aus der Diskussion: Boeing short: gutes Chance - Risiko Verhaeltnis
Autor (Datum des Eintrages): dives  (25.01.13 23:38:25)
Beitrag: 3 von 645 (ID:44067351)
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