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01.07.13
EU-Beitritt
"Kroatiens Regierung mangelt es an Fachkompetenz"

Seit heute ist Kroatien das 28. EU-Mitglied. Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise, dabei hat es Investoren eigentlich viel zu bieten, sagt Kroatiens Handelskammer-Präsident Dino Dogan. Von Silke Mülherr
Ein Kreuzfahrtschiff im Hafen von Dubrovnik. Bislang setzt Kroatien vor allem auf Massentourismus
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Kroatien - Wirtschaft

Die Welt: Ist Kroatien reif für den EU-Beitritt?

Dino Dogan: Das Land ist überreif für die Europäische Union. Natürlich gibt es einige Vorbehalte gegenüber Kroatien, insbesondere in Deutschland. Es ist absolut richtig, wenn auf die Missstände hingewiesen wird. Die Sorge allerdings, Kroatien könnte der EU die letzten Haare vom Kopf fressen, ist absolut unbegründet. Das Land wird nicht zu einem weiteren Problemfall.

Die Welt: Die EU-Kommission hat Korruption als eines der Hauptprobleme in Kroatien bezeichnet und mahnt weitere Anstrengungen an. Zu Recht?

Dogan: Die Vorwürfe im Hinblick auf Korruption und Reformstau sind in meinen Augen durchaus berechtigt. Beides hemmt die wirtschaftliche Entwicklung, Kroatien hat hier dringenden Handlungsbedarf. Die Regierung muss entschlossener gegen Bestechlichkeit vorgehen. Allerdings muss ich auch sagen: Allein durch den langen, strengen Beitrittsprozess hat sich hier schon vieles verändert. Wichtig ist, dass die Regierung die Anti-Korruptionsgesetze auch umsetzt, denn Papier ist geduldig.

Die Welt: Woran fehlt es – am politischen Willen, oder ist Korruption einfach zu lukrativ?

Dogan: Das hat viel mit einer negativen Selektion von Führungskräften in Kroatien zu tun. Über Jahrzehnte hinweg sind hier nicht die richtigen Leute gefördert worden. Das hat natürlich einerseits mit der sozialistischen Vergangenheit zu tun, in der Leistung nicht belohnt wurde. Aber auch in der vergangenen 20 Jahren war die Denkweise die: Es ist wichtiger, wen man kennt als was man kann. Das gilt in allen Bereichen des täglichen Lebens, fängt in der Wirtschaft an und hört in der Kultur auf. Das führt an vielen Stellen zu inkompetenten Entscheidungsträgern, die gewissen Zuwendungen gegenüber nicht unaufgeschlossen sind. Wer es dann auf bestimmte Posten geschafft hat ohne sein eigenes Zutun, der nutzt die Vorteile auch aus.
Dino Dogan, Präsident der deutsch-kroatischen Industrie- und Handelskammer in Zagreb und Finanzvorstand der Telekom Kroatien
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Kroatien feiert seinen EU-Beitritt

Die Welt: Das macht nicht gerade Hoffnung…

Dogan: Korruption ist in meinen Augen vor allem ein Auswuchs dieser negativen Selektion von Führungskräften. Es findet aber mittlerweile ein Umdenkprozess statt, es reift eine junge, kritischere Generation heran. Wenn die erst einmal in Wirtschaft und Politik Fuß fasst, wird Kroatien wettbewerbsfähiger und weniger anfällig für Korruption.

Die Welt: Was wird sich für die Kroaten nach dem EU-Beitritt ändern?

Dogan: Der erste Juli ist ein unglaubliches wichtiges Datum für die Kroaten. Das Land wird Teil einer Gemeinschaft, derer sich Kroatien immer schon zugehörig fühlte. Das betrifft historische Fragen und Aspekte der Identifikation. Aber natürlich setzen die Menschen auch wirtschaftliche Hoffnungen in den EU-Beitritt. Die Lage hier ist schwierig, Kroatien erlebt das fünfte Rezessionsjahr in Folge. Da ist es im Hinblick auf das Investitionsklima eine große Chance, Mitglied der Europäischen Union zu werden.

Die Welt: Aber eine EU-Mitgliedschaft allein wird die wirtschaftlichen Probleme nicht lösen können. Was muss passieren?

Dino Dogan: Der wirtschaftliche Wettbewerb wird zum ersten Juli empfindlich zunehmen. Dann wird sich ganz schnell zeigen, wie kompetent die kroatische Wirtschaft ist und welche Nischen die Unternehmen finden.

Die Welt: Das Rückgrat der kroatischen Wirtschaft bilden bislang Tourismus und Landwirtschaft. Keine ausgewiesenen Wachstumsbranchen. Wo sehen Sie Potenziale?

Dogan: Kroatien hat ein gutes Ausbildungsniveau und eine überdurchschnittliche Infrastruktur zu bieten. Deshalb könnte Logistik eine Schlüsselindustrie werden. Es gibt ein hochmodernes Straßennetz, internationale Flughäfen und zwei Tiefseehäfen mit Zugang zur Adria. Kroatien könnte sich außerdem als neuer Energiestandort entwickeln: Die Bedingungen für Windkraft und Solarenergie sind ideal. Wir haben nicht nur die Küste, sondern auch eine Hochebene im dalmatinischen Hinterland, die sich hervorragend für Solarpanele eignet. Denkbar wäre auch, eine exklusivere Form des Tourismus zu etablieren.

Die Welt: Wer soll das Geld dafür in die Hand nehmen? Bislang machen Investoren einen großen Bogen um Kroatien…

Dogan: Deshalb spreche ich ja von Potenzialen. Die sind natürlich wertlos, wenn man nicht in der Lage ist, sie zu heben. Die strukturellen Rahmenbedingungen lassen noch zu wünschen übrig. Kroatien muss nicht nur die Korruption bekämpfen, es braucht dringend eine schlüssige Wirtschaftsstrategie. In der kroatischen Regierung mangelt es da einfach an einer gewissen Fachkompetenz. Auch die eigene Vermarktung im Ausland lässt zu wünschen übrig. Die Leute verbinden Kroatien mit Sonne und Cevapcici. Wenn das die einzigen Assoziationen bleiben, dann kommt das Land nicht auf die Beine. Es wäre wichtig gewesen, schon vor dem EU-Beitritt am Image zu arbeiten. Aber am Ende des Tages ist es doch wichtiger Potenziale zu haben und keine Strategie, als andersherum.

http://www.welt.de/wirtschaft/article117598412/Kroatiens-Reg…
 
aus der Diskussion: Börse Zagreb
Autor (Datum des Eintrages): Jgersauce  (02.07.13 19:30:48)
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