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Von Börsenspielern und Spekulanten

André Kostolany war der Altmeister der Börse. Die WELT druckt vorab Auszüge aus seinem letzten Buch "Die Kunst, über Geld nachzudenken": die Erfahrungen aus 80 Jahren als Investor an der Börse
Von André Kostolany
Nicht jeder verdient nach meiner Definition den Titel Spekulant, und längst nicht alle Börsenteilnehmer sind Spekulanten.(...)
Eine Gruppe, die bestimmt nie ausstirbt, sondern zu meinem Leidwesen immer größer wird, sind die so genannten Börsenspieler. Ich habe sie so getauft, weil sie nach meiner Definition die Bezeichnung Spekulant nicht verdienen, auch wenn sie im allgemeinen Sprachgebrauch und von den Journalisten so bezeichnet werden. Der Börsenspieler versucht, bereits kleinste Kursbewegungen zu nutzen. Er kauft ein Papier bei 101, um es bei 103 bereits wieder zu verkaufen. Dann kauft er das nächste Papier zu 90, um es bei 91,50 zu verkaufen etc.
Der Börsianer, der auf kurze Zeit spielt, wird akrobatische Kunststücke vollführen, um jedes Mal zwischen Kauf und Verkauf einen Gewinn einzustreichen. Er kann kurzfristig Erfolg haben. Wenn er nur auf steigende Kurse spekuliert und der Aktienmarkt sich in einer allgemeinen Hausse befindet, ist die Chance entsprechend größer, steigende Kurse zu erwischen. Aber es kommt sehr selten vor, dass man die Schwankungen zwischen Kauf und Verkauf im richtigen Moment abpasst. A la longue wird der Spieler spätestens dann, wenn es mit den Kursen seitwärts oder abwärts geht, Pleite machen. Er ist ein Hasardeur und hat keinerlei Überlegung und Strategie. Er benimmt sich wie ein Roulettespieler, der von Tisch zu Tisch läuft. Ich weiß, dass mir jeder Börsenspieler hier widersprechen wird. Sie haben natürlich Charts und Computerprogramme, die ihnen sagen, wann sie kaufen und verkaufen müssen. Doch jeder Computer ist so schlau wie sein Programmierer. Ich habe in meinen fast 80 Jahren Börsenerfahrung jedenfalls keinen Börsenspieler kennen gelernt, der langfristig Erfolg gehabt hätte.
Die Banken und Broker haben alles daran gesetzt, aus ihren Kunden Börsenspieler zu machen. Unverfroren und ohne Scham werben ihre Discount-Brokerage-Ableger für das so genannte Daytrading. Über das Internet hat nun auch jeder Privatspekulant die Möglichkeit, in "Echtzeit" und "Intraday" zu handeln. Viele unerfahrene Privatanleger, die durch die Telekom-Emission für die Aktienanlage gewonnen wurden, werden nun zum Börsenspiel verleitet. Das halte ich für unverantwortlich und moralisch fragwürdig. Ich konnte lesen, dass es hier zu Lande mittlerweile wie in den USA Händlerräume gibt, wo sich diese Daytrader einen Arbeitsplatz mieten können. Eine Friseurin, die dort zitiert wurde, hatte ihren Job aufgegeben, weil sie hier viel mehr verdienen könne als in ihrem Beruf. Wie der kleine Moritz sich das vorstellt, hätten die Wiener gesagt.
Diese naiven Anleger glauben, sie hätten nun die gleichen Chancen im schnellen Geschäft des ständigen Kaufens und Verkaufens wie die großen Institutionen, die aus den Börsen längst ein Spielkasino gemacht haben - nicht nur aus dem Aktienmarkt, sondern auch aus den Devisen-, Rohstoff- und Anleihemärkten. Mit monströsen Gehältern kaufen sie Absolventen von Havard, St. Gallen oder der London School of Economics ein, damit sie anschließend mit Hunderten Millionen Dollar in Anleihen, Aktien oder Devisen herumzocken. Speziell am Devisenmarkt herrscht ein perverses Spiel. Über eine Billion Dollar werden in 24 Stunden um den Globus bewegt. Maximal drei Prozent dieses Umsatzes dient der Abwicklung oder Absicherung von Im- und Exportgeschäften. Der Rest ist Spiel.(...)
Am Ende muss ich jedoch auch eine Lanze für die Börsenspieler brechen. So sehr ich sie verabscheue, so sehr brauche ich sie auch. Sie sind lebensnotwendig für eine funktionierende Börse. Und wenn sie nicht existieren würden, so müsste man sie erfinden. je mehr Spieler, desto größer und liquider der Markt, und desto besser werden Erschütterungen, sowohl bei Hausse- als auch bei Baissebewegungen, abgefangen und gedämpft. Bei jedem Kursrückgang von einer Fraktion melden sich neue Käufer, und dadurch schützen sie den Markt vor einem brutalen Rückgang. Bei jeder Kurssteigerung von einer Fraktion melden sich neue Verkäufer und wirken dadurch auch bei Haussebewegungen bremsend. Sie sind wie die Zylinder in einem Motor. Je mehr es gibt, desto runder läuft der Motor. Nur durch die Börsenspieler ist es garantiert, dass man an jedem Börsentag seine Positionen auflösen kann, ohne dabei die Kurse bereits nach unten zu drücken. Die Millionen Spieler haben also ihre Berechtigung, denn gäbe es nur Anleger, die Aktien kaufen, um sie über Jahrzehnte zu halten, wäre der Markt völlig illiquide.
Der Anleger ist das Gegenteil des Spielers. Er kauft Aktien und hält sie über Jahrzehnte als Altersvorsorge oder Aussteuer für die Kinder oder Enkel. Die Kurse schaut er sich nicht einmal an. Sie interessieren ihn nicht. Selbst stärkere Einbrüche sitzt er aus. Das Kapital, das er langfristig in Aktien angelegt wissen will, bleibt in Aktien investiert. Er unternimmt überhaupt keinen Versuch, in Schwächephasen den Aktienanteil seiner Anlagen zu reduzieren.
Der Anleger setzt auf eine breite Palette erstklassiger Aktien, verteilt über alle Branchen und über mehrere Länder. Er unternimmt keinen Versuch, spezielle Zukunftsbranchen zu erwischen und überzugewichten. Viele Anleger orientieren sich bei der Auswahl ihrer Papiere am Aktienindex ihres Landes oder mehrerer Länder. Aus diesem Grund sind die Indexfonds immer beliebter geworden und haben in den letzten Jahren Milliarden Dollar gesammelt. Für den Anleger ist es die bequemste Methode, in eine breite Palette von Standardaktien, die so genannten Blue Chips zu investieren.
Die größten Anleger sind heute die amerikanischen und englischen Pensionskassen. Die Geldmengen, die sie verwalten, sind so immens, dass sie gezwungen sind, die Papiere lange zu halten, da sie ihre Positionen nicht auflösen könnten, ohne dabei die Kurse unter Druck zu setzen. Das ist das große Glück für die Pensionäre. Würden die Verwalter die Gelder umschichten können, wäre ihre Performance sicher nicht so gut.
Und in noch einem anderen Punkt ist der Anleger das genaue Gegenteil des Börsenspielers. Während der Spieler auf lange Sicht immer verliert, gehört der Anleger, egal wann er in die Börse einsteigt, langfristig zu den Gewinnern. Zumindest war dies in der Vergangenheit immer so, denn Aktien haben in ihrer Gesamtheit nach einem Krach immer wieder neue Rekordkurse erreicht.
Ich gebe zu, der Anleger kann mit einem kleinen Betrag nicht in kurzer Zeit zum Millionär werden. Langfristig aber kann er zu einem großen Vermögen kommen. Warren Buffet, der wohl berühmteste Anleger der Welt, wurde durch Anlage zum zweitreichsten Mann Amerikas. Trotzdem glauben die meisten Börsianer, das große Geld sei nur zu machen, wenn man ständig kauft und verkauft.
Ich selbst gehöre seit einigen Jahren auch in das Lager der Anleger. Zum Spekulieren fühle ich mich heute zu alt. Außerdem war ich ständig von einem Vortrag und Interview zum nächsten unterwegs und mit meiner Kolumne und meinen Büchern so beschäftigt, dass mir keine Zeit mehr blieb, mich ständig um meine Engagements zu kümmern. Ich besitze heute über 500 verschiedene Aktien, von denen ich seit Jahren keine einzige verkauft habe. Ich kaufe nur noch dazu.
Wenn ich ehrlich bin, würde ich jedem Leser raten, sich in das Lager der Anleger zu schlagen. Sie erzielen im Durchschnitt die beste Performance aller Börsenteilnehmer, denn auch von den Spekulanten gehört nur eine Minderheit zu den Gewinnern.(...)
Man könnte sagen, der Spekulant befindet sich irgendwo zwischen dem Spieler und dem Anleger.(...)
Der Spekulant auf weite Sicht verfolgt verschiedene Grundelemente: Geld- und Kreditpolitik, Zinssatz, wirtschaftliche Expansion, internationale Lage, Handelsbilanzen, Geschäftsberichte und so weiter und lässt sich von den sekundären Tagesnachrichten nicht beeinflussen. Er baut eine intellektuelle Konstruktion und Strategie auf, die er mit den täglichen Ereignissen abgleicht. Mit einem Wort, er hat Ideen, richtige oder falsche, aber Ideen. Das ist der entscheidende Unterschied zum Spieler.
Im Gegensatz zum Finanzier, der zweifellos auch seine Strategie verfolgt und Ideen hat, bleibt der Spekulant passiver Teilnehmer. Er verursacht keine Kursbewegungen, sondern versucht nur, von solchen zu profitieren.(...)
Dennoch lebt er gefährlich und muss sich daran gewöhnen, wie ein Krokodil mit offenen Augen zu schlafen. Die Spekulation ist eine gefährliche Seefahrt zwischen Vermögen und Pleite. Man braucht ein seetüchtiges Boot und einen geschickten Steuermann. Was verstehe ich unter einem seetüchtigen Boot? - Geld und Geduld sowie Nerven. Und wer ist der geschickte Steuermann? - Derjenige, der die Erfahrung hat und souverän denkt. Balzac schrieb in seinem Traktat über das "Elegante Leben", es gäbe drei Arten von Menschen; Menschen, die arbeiten, Menschen, die denken, und Menschen, die nichts tun. Der richtige Spekulant ist derjenige, der denkt. Viele glauben allerdings, es sei jener, der nicht arbeitet.(...)
Der Beruf des Spekulanten lässt sich auf keiner Schule erlernen. Sein Handwerkszeug ist Erfahrung, Erfahrung, und nochmals Erfahrung. Ich würde meine 80-jährige Erfahrung nicht gegen mein Körpergewicht in Gold eintauschen, was bei mir ohnehin nicht mehr besonders viel wäre.
Dabei habe ich die größte Erfahrung mit verlustreichen Geschäften gewonnen. Deshalb sage ich auch, ein Börsenspekulant, der in seinem Leben nicht wenigstens zwei Mal pleite war, ist dieser Bezeichnung nicht würdig. Die Börsen sind wie ein dunkler Raum, aber gewiss wird sich jener, der sich seit Jahrzehnten in diesem Zimmer aufhält, besser zurechtfinden als einer, der erst vor kurzem eingetreten ist.
Verlust und Gewinn sind ein unzertrennliches Paar und begleiten einen Börsianer sein Leben lang. Ein erfolgreicher Spekulant gewinnt in 100 Fällen 51 Mal und in 49 Fällen verliert er. Von der Differenz muss er leben.
Morgen die Fortsetzung des Vorabdrucks im Finanzteil: Von Aktien und Anleihen
Vom Börsenbroker zum Medienstar
Hätte jemals jemand in Deutschland den Titel "Mr. Aktie" verdient, dann André Kostolany, der im vergangenen September im Alter von 93 Jahren starb: Der Finanzberater, Journalist, Schriftsteller und Spekulant kämpfte Zeit seines Lebens für die Geldanlage in Unternehmenspapieren.
Dabei wollte der Ungar, der am 9. Februar 1906 in Budapest geboren wurde, eigentlich Pianist werden. Doch sein Vater schickte ihn 1924 nach Paris, um bei einem Börsenmakler in die Lehre zu gehen. Dieser Beruf ließ André Kostolany nicht mehr los. 1941 musste der Kosmopolit vor den Nazis in die USA fliehen, kehrte aber 1948 nach Europa zurück. Hier wurde der charmante Börsenplauderer berühmt, war Gast in unzähligen Talk-Shows, umjubelter Referent, tausendfacher Kolumnist und 1998 sogar Hauptfigur in einer Autowerbung.
Mit seinem 13. Buch "Die Kunst über Geld nachzudenken" wendet sich André Kostolany noch einmal an ein Millionenpublikum von Kleinanlegern, gibt Einblicke in sein bewegtes Leben und die große Schule der Spekulation.
 
aus der Diskussion: Börsenguru`s
Autor (Datum des Eintrages): Bischoff  (14.02.00 00:52:58)
Beitrag: 10 von 150 (ID:464277)
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