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Gastkommentar
Argumente gegen eine schnelle Wirtschaftserholung
Von Barton M. Biggs, Morgan Stanley Dean Witter



11. Nov. 2001 Was ist mir entgangen? Am Montag haben wir mit den drei unserer Ansicht nach besten Volkswirten von Wall Street gesprochen. Alle drei glaubten wie ein Mann, dass die US-Wirtschaft die Talsohle erreicht, dass fiskal- und geldpolitische Impulse sowohl die Konsum- als auch die Investitionsausgaben beleben werden und dass es zu einer V-förmigen Erholung mit wieder solide ansteigenden Gewinnen kommen wird.

Die US-amerikanischen Verbraucher sind in allerbester Verfassung. Alle drei Volkswirte erwarten im kommenden Jahr einen vorübergehenden Rückgang der Inflation in den USA und Euroland auf circa ein Prozent oder darunter, sehen jedoch kein Deflationsrisiko. Die fiskal- und geldpolitischen Impulse funktionieren, und dieser Konjunkturzyklus macht da keine Ausnahme. In anderen Worten, alles ist in Ordnung, weil die brummende US-Konjunktur die Weltwirtschaft in ein sonnendurchflutetes Reich des Wohlstands führen wird. :laugh:

Kann die Rezession schon vorbei sein?

Ich hoffe, dass sie recht haben, aber ich bin noch nicht ganz überzeugt. Kann auf den längsten und stärksten Aufschwung der Geschichte die kleinste Rezession folgen? Ist es möglich, dass nach dem größten Boom nur ein kleines Plopp und kein lautes Platzen kommt? Kann die Ausgabenblase der US-Verbraucher einfach nicht platzen? Bestehen nicht fast überall umfangreiche überschüssige Kapazitäten? Bilde ich mir das Deflationsrisiko nur ein? Hat sich die Welt seit dem 11. September nicht verändert?

Die „Operation Twist“ der vergangenen Woche hat die Märkte völlig überrascht und zeigt, dass die Behörden wirklich findig sind und noch viele Mittel in petto haben. Aber ist es klug, die Emission von 30-jährigen Schatzanweisungen auszusetzen, wenn die Inflation und die langfristigen Zinsen auf das niedrigste Niveau seit 40 Jahren gefallen sind? Meines Erachtens nicht.

Unterstützung der Verbraucherausgaben übertrieben

Eine weitere Stimulans ist jetzt genutzt worden. Ob es richtig ist, die Ausgaben zu stützen, wenn der Verbrauch bereits so angeheizt und die Sparquote so niedrig ist, ist eine andere Frage. Schumpeter Schule würde sie verneinen, und ich stimme dem zu. Es ist, als ob man dem Abhängigen - hier dem amerikanischen Verbraucher - noch einen Schuss Heroin gäbe, um ihn ohne Entzugserscheinungen über die nächsten paar Tage zu bringen. Das Problem besteht darin, dass der Abhängige letztlich zur vollen Gesundung den langen Prozess der endgültigen Entziehung und Therapie durch machen muss. Eine weitere Dosis der Droge, von der er zunächst erst einmal abhängig wurde, schiebt nur das Unvermeidliche hinaus und kann den endgültigen Entzug noch schmerzhafter machen. Kurzfristig fühlt sich der Abhängige - wie der US-Verbraucher - jedoch hervorragend und fällt in alte Verhaltensmuster zurück.

Fed-Kredite sind mittelfristig kontraproduktiv

Es geht jedoch nicht nur um die Verbraucher. Die Fed versucht, das Platzen der Blase durch weitere umfangreiche Kreditvergabe zu verhindern. Das Problem besteht darin, dass dies zwar kurzfristig funktionieren mag. Auf lange Sicht steigt jedoch die Schuldenlast, und der Anpassungsprozess wird schmerzlicher. Nach Auffassung Schumpeters kommt es auf dem Höhepunkt des Booms zu riesigen Fehlinvestitionen, weil die Unternehmer die künftige Nachfrage falsch einschätzen und weil die Banken und die Märkte in der Euphorie der Blase praktisch alles finanzieren. Damit sich die Wirtschaft wirklich erholen kann, müssen diese Fehlinvestitionen liquidiert werden. Dies ist die „kreative Zerstörung“, die schließlich zur Erholung führt. Ein erneutes Anheizen der Investitionsausgaben durch eine künstliche Senkung der langfristigen Zinsen ist für diese Schule undenkbar - und ich stimme ihren Argumenten zu.

„Jetzt drohen Stürme. Wagen Sie sich nicht zu weit hinaus.“

In der Zwischenzeit können die Liquidität und niedrigere langfristige Zinsen die Börsenrallye noch einige Zeit stützen. Meines Erachtens ist zumindest ein weiteres Testen der Tiefstände vom September zu erwarten. Einer der weltweit besten Investoren, der inzwischen vor allem sein eigenes Geld von London aus verwaltet, sagte in der vergangenen Woche zu mir: „Jetzt drohen Stürme. Wagen Sie sich nicht zu weit hinaus.“
 
aus der Diskussion: Der Wahnsinn von Amerika
Autor (Datum des Eintrages): DolbyDigital5.1  (11.11.01 19:42:43)
Beitrag: 526 von 634 (ID:4854346)
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