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Spekulanten brauchen Handwerkszeug

Investoren leben von Information - Wie und wo Anleger an die entscheidenden Nachrichten kommen, beschreibt André Kostolany im heutigen WELT-Vorabdruck
Von André Kostolany
Oft werde ich gefragt, woher ich meine Informationen und meine Ideen nehme. Ich suche sie nicht, ich finde sie. Meine Antwort ist einfach, und ich fürchte, der Leser wird sogar darüber lächeln. Ich finde meine Informationen überall, ich erhalte sie von allen Arten von Menschen, von Taschendieben, Vorstandsvorsitzenden, sogar Ministern oder Callgirls, das heißt von jedermann - außer von Bankiers, Brokern, Analysten und Volkswirten. Letztere sehen nicht über ihre Nasenspitze hinaus, oder wie man auch sagt, sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Oft hatte ich große Erfolge, wenn ich das Gegenteil von dem tat, was sie empfahlen. . . .
Die Tagesnachrichten entnehme ich diversen Zeitungen. . . . Beim Zeitungslesen muss der Spekulant die Routine entwickeln, die für ihn wichtigsten Nachrichten sofort zu bemerken. Und vor allem muss er die versteckten Nachrichten finden, die zwischen den Zeilen stehen. Die Schlagzeilen, Unternehmensberichte, Gewinnzahlen, Gewinnschätzungen und Statistiken, die jeder liest und die jedem zugänglich sind, nehme ich zur Kenntnis, doch sie interessieren mich nicht besonders. Sie sind bereits in den Kursen enthalten und damit - wie die Kurse selbst - Vergangenheit. Mein Motto lautet: Was an der Börse jeder weiß, macht mich nicht mehr heiß. Zwischen den Zeilen aber kann man die Nachrichten finden, die die Kurse von morgen sind. Manchmal verrät ein kurzer Nebensatz in einem langen Artikel viel mehr als der Artikel selbst. . . .
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Nachrichten sind das Handwerkszeug des Spekulanten. Doch er muss die Nachrichten nicht nur kennen, er muss sie vorausahnen und auch wissen, welche Nachrichten für die Börse wichtig und welche unwichtig sind. Bei den wichtigen muss er wiederum wissen, ob sie gut oder schlecht sind, und vor allem, wie das Publikum, sprich die Börse, auf die Nachrichten reagieren wird.
Börsenneulingen kommt die Reaktion der Kurse auf gewisse Nachrichten und Ereignisse vollkommen irrational und unlogisch vor. Die Börse reagiert oft wie ein Betrunkener. Auf gute Nachrichten hin weint sie und wegen schlechter Nachrichten lacht sie. Ich nenne es das Phänomen des Fait accompli - der vollendeten Tatsache. Die Börsenlogik ist eben nicht mit der Alltagslogik vergleichbar.
Spekulation bezieht sich stets auf ein ungewisses, in der Zukunft liegendes Ereignis, das impliziert bereits das Wort. Trifft das Ereignis ein, wird es zur Tatsache, und auf Tatsachen braucht man nicht mehr zu spekulieren. Das bedeutet: Die Börse antizipiert die zukünftigen Ereignisse. Wird bei einem Unternehmen für das erste Quartal eine Gewinnsteigerung erwartet, dann wird der Kurs der Aktie langsam nach oben klettern. Je stärker das Publikum mit der Gewinnsteigerung rechnet, desto schneller steigt der Kurs. Alle wollen so klug sein und schon vor der Bekanntgabe einsteigen. Wird der Gewinn am Stichtag X dann gemeldet und liegt er so hoch, wie allgemein erwartet, geht der Kurs im gleichen Moment zurück. Das erwartete Ereignis ist eingetroffen und zum Fait accompli geworden. Da bereits alle vor der Veröffentlichung gekauft haben, mangelt es an weiteren Käufern. Einige nehmen ihre Gewinne mit, was auf den Kurs drückt. Erst wenn eine erneute Spekulation, zum Beispiel auf eine weitere Gewinnsteigerung im zweiten Quartal, aufflammt, kann der Kurs wieder steigen. Fällt der Gewinn für das erste Quartal aber niedriger aus als erwartet, dann wird der Kurs eine Sekunde nach der Bekanntgabe abstürzen. Es ist in diesem Fall vollkommen egal, ob der Gewinn gegenüber dem Vorquartal stark gestiegen ist und vielleicht sogar ein Rekordergebnis darstellt. Es zählt allein die vorherige Erwartung, die nicht erfüllt wurde.
Umgekehrt funktioniert es natürlich genauso. Erwarten die Börsianer bei einem Unternehmen einen Gewinneinbruch, werden sie bereits zuvor verkaufen, und der Kurs wird bis zu dessen Veröffentlichung fallen. Am Tag der Bekanntgabe haben dann bereits alle verkauft, und so beginnt der Kurs durch einzelne Käufe wieder langsam zu steigen. Fällt der Gewinneinbruch nicht so stark aus, wie vorhergesehen, wird die Tendenz sich im Moment der Bekanntgabe drehen und der Aktienkurs explodiert. . . .
Natürlich kann es auch nach einer Zinserhöhung durch die Notenbank zu einer typischen Reaktion im Sinne des Fait accompli kommen. Es passiert sogar sehr oft. Wurde eine Zinserhöhung auf Grund der Wirtschaftsdaten allgemein erwartet, wird die Börse nach erfolgtem Zinsschritt zunächst steigen, vor allem dann, wenn das Publikum davon ausgeht, dass zunächst kein weiterer Zinsschritt ansteht. Doch die Zinsanhebung wirkt sich zukünftig auf das Geldmengenwachstum, also auf den so wichtigen Faktor Geld aus. Viele Börsenspieler lassen sich mit der Bemerkung täuschen, die Zinserhöhung sei schon in den Kursen eskomptiert. Das stimmt aber überhaupt nicht. Ein hoher Zinssatz und die folgende Geldknappheit sind ein hartes Faktum, unabhängig davon, ob die Börse darauf zunächst positiv oder negativ reagiert. . . .
Wenn ich in ein Restaurant gehe, bestelle ich justament nicht das, was mir der Wirt empfiehlt, denn das will er loswerden. So verhält es sich auch mit 90 Prozent der Börsentipps und Empfehlungen. Nur selten sind sie der gut gemeinte Rat. In den meisten Fällen handelt es sich um Promotion und Werbung einer Bank oder eines Syndikates für ein bestimmtes Papier, das sie beim Publikum abladen wollen. Es werden rosige Analysen geschrieben und über die Medien und durch Mundpropaganda verbreitet. Geschickt werden Nachrichten gestreut. Dann wird der Kurs in die Höhe manipuliert, denn nichts ist einfacher, als dem Publikum Aktien zu verkaufen, die bereits gestiegen sind. Die Käufe treiben den Kurs weiter und weiter nach oben. Haben alle Zittrigen das Papier gekauft, wird irgendwann auffallen, dass die rosigen Analysen doch nichts als heiße Luft waren, und der Zusammenbruch ist unausweichlich.
Dieses Schmierenschauspiel ist am Neuen Markt in Deutschland an der Tagesordnung. Er ist kein Spielkasino, das sind die anderen Börsen, er ist eine Spielhölle mit gezinkten Karten. Selbst ernannte Börsengurus drängen dem Fernsehpublikum und den Lesern ihres Börsenbriefes marktenge Werte geradezu auf, die sie zuvor selbst gekauft haben. Das ist nichts anderes als moderne Wegelagerei. Diese Manipulationen sind für einen, der die Börse gut kennt, leicht zu durchschauen, aber nicht für einen Laien. Jeder kann manipulieren, auch Herr Egbert Prior, dessen Laufbahn ich schon seit Jahren beobachte. Er ist ein netter und kluger Bursche, was mich aber nicht daran hindern kann, die Wahrheit über sein Handeln zu enthüllen. Es liegt mir fern, Kritik an den Unternehmen zu üben, deren Aktien auf dem Neuen Markt gehandelt werden. Institutionelle Neugründungen für Wagniskapital können für die Wirtschaft durchaus günstig sein. Aber was hier vorgeht, zeigt, wie die Dinge aus dem Ruder laufen können. Doch noch mal: Meine Strafpredigt gilt nur dem Handel mit diesen Aktien - er ist genauso kriminell, wie es kriminell wäre, zum Beispiel Daimler-Chrysler - oder IBM-Aktien durch Manipulationen auf das Zehnfache zu treiben. Leider schweigt das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen in Frankfurt zu all dem. Entweder schlafen die Herren, oder sie haben keine Ahnung, was Börsenmanipulationen sind. In Amerika, England oder Frankreich wäre so etwas nicht möglich Da hätten längst Watch-Dogs die Bö(r)sewichter gestellt. . . .
Wie muss sich der Spekulant in einem Börsenzyklus verhalten, um erfolgreich zu sein? Die Beantwortung dieser Frage fällt nach der Schilderung der großen Booms und anschließenden Crashs nicht schwer. Er muss natürlich zu den Hartgesottenen gehören und antizyklisch handeln.
In der dritten, das heißt in der Übertreibungsphase der Abwärtsbewegung sollte er kaufen und auch nicht erschrecken, wenn die Preise weiter zurückgehen. Denn wie die alten Börsianer schon an der Budapester Getreidebörse sagten: "Wer den Weizen nicht hat, wenn er zurückgeht, hat ihn auch nicht, wenn er steigt." In der ersten Phase der Aufwärtsbewegung sollte er weiter kaufen, denn der Tiefpunkt ist überwunden. In der zweiten Phase sollte er eigentlich nur Zuschauer sein, nur passiv mit der Bewegung gehen und sich seelisch darauf vorbereiten, in der dritten Phase, bei der allgemeinen Euphorie, aus dem Markt auszusteigen. . . .
Crashguru war ich weiß Gott nie. Doch der Titel Börsenguru wurde mir von den Journalisten auch oft zugedacht, obwohl ich nie Tipps gab. Ich akzeptiere den Titel auch nicht, da ein Guru unfehlbar ist, was ich ganz sicher nicht bin. Unfehlbar war nur der Börsentipp des weltberühmten Wunderrabbiners von Fürth: Auf die Frage einer kleinen Gruppe von Frankfurter Börsianern, was man jetzt an der Börse tun solle, antwortete er: "Kaufet nicht verkaufet!" Die Börsianer mussten nur noch das Komma setzten. Entweder hieß es: "Kaufet nicht, verkaufet!", oder es hieß: "Kaufet, nicht verkaufet!"
 
aus der Diskussion: Börsenguru`s
Autor (Datum des Eintrages): Bischoff  (19.02.00 10:56:54)
Beitrag: 13 von 150 (ID:487628)
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