John Malone auf Europatournee Vergangene Woche reiste John Malone durch Deutschland und suchte das Gespräch mit Medienunternehmern und Politikern. Er ist Verwaltungsratsvorsitzender der Liberty Media und besitzt seit Anfang September einen Grossteil der Kabelnetze der Deutschen Telekom. Mit seinem Plädoyer für offene Standards verwickelte er sich in Widersprüche und scheuchte die deutsche Medienbranche auf. S. B. Ein Amerikaner auf Europareise: Nicht römischen Tempeln und Renaissancepalästen gilt das Augenmerk, sondern den Märkten der Zukunft. John Malone gebietet als Verwaltungsratsvorsitzender der Liberty Media Corp., die AnfangSeptember für rund 5,5 Mrd. Euro einen Grossteil der Kabelnetze der Deutschen Telekom übernommen hat, über zehn Millionen deutsche Fernsehgeräte. Anlässlich seines ersten offiziellen Besuchs in Deutschland suchte der sechzigjährigeMultimilliardär aus Denver, den die Wirtschaftszeitschrift «Business Week» zum «König des Kabels» gekrönt hat, vergangene Woche in Berlin das Gespräch mit Bundestagsabgeordneten. Er sei ein «Good Guy», stellte er sich vor, gekommen, um der deutschen Fernsehlandschaft mehr «Vielfalt und Wettbewerb» zu bescheren. Enger Zugang Der Auftritt des Amerikaners hat in Deutschland nicht überall freundschaftliche Gefühle ausgelöst. Malone, dessen Liberty Media Beteiligungen an über 100 Medienunternehmen besitzt undetwa auch mit der United Pan-Europe Communications (UPC) verbandelt ist, gebietet nicht nur über Kabelnetze in aller Welt, sondern auch über Fernsehsender und Produktionsgesellschaften. In Deutschland sehen deshalb alteingesessene Programmanbieter ihren Zugang zum Kabel bedroht. Noch bevor Malone den Vertrag mit der Deutschen Telekom unterschrieben hatte, machten ARD, ZDF und der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) ihre Bedenken öffentlich. Sie forderten einen «technologisch unfragmentierten Kabelmarkt» und beschreiben in einem 20-seitigen Papier die «technischen und betrieblichen Anforderungen an ein neues Breitband-Kabelverteilsystem in Deutschland» recht detailliert. Als wesentliche Standards für digitales, interaktives Fernsehen in Deutschland werden Digital Video Broadcasting (DVB) und die Multimedia Home Platform (MHP) genannt. Die MHP erlaubt es unabhängigen Softwareentwicklern, Applikationen zu kreieren, die in Verbindung mit Fernsehsendungen verschiedener Anstalten über Satelliten (DVB-S), terrestrischeSendeanlagen (DVB-T) und Kabel (DVB-C) verbreitet und auf der Hardware verschiedener Hersteller genutzt werden können. Noch deutlicher haben ARD und ZDF zusammen mit der Kirch-Gruppe, RTL und den Landesmedienanstalten im September die «zügige Einführung von MHP» gefordert. Nur mit einer konsequenten Unterstützung des in Europa erarbeiteten MHP-Standards könne «der medienpolitisch bedeutende Anspruch eines ‹free flow ofinformation› oder besser ‹Fernsehen ohne Grenzen› verwirklicht» werden. Sich selber verpflichten sie sich, die ersten MHP-Applikationen bis zum 1. Juli 2002 auf den Markt zu bringen und «alle interaktiven Dienstangebote in einem überschaubaren Zeitraum auf MHP zu überführen». Die Kabelnetzbetreiber werden aufgefordert, «an MHP-Empfänger gerichtete Dienste vollständig» zu übertragen. Doch von MHP hält Malone nicht sehr viel, wie er letzte Woche in Berlin darlegte. Viele Wege führen zum Ziel Bereits in den sechziger Jahren gab es beim interaktiven TV grosse Unterschiede zwischen den USA und Europa. Der alte Kontinent setzte auf staatliche Ressourcen, jenseits des Atlantiks wurde Individualität gepflegt. In Deutschland beispielsweise forderten Showmaster die Zuschauer auf, die WC-Spülung zu betätigen oderLichter einzuschalten, um so mit Hilfe von städtischen Angestellten ihre Meinung über weiteDistanzen messbar zu machen. In den USA forderten Fernsehanstalten Kinder auf, sich Klarsichtfolie zu kaufen, diese auf den Bildschirm zukleben und mit einem Filzstift Fernsehbilder individuell auszugestalten. Diesseits und jenseits des Atlantiks haben sich die Techniken für interaktives Fernsehen in jüngster Vergangenheit stark verändert. Nicht mehr WC-Spülung, Lichtschalter oder Klarsichtfolie, sondern die Computertechnik soll es den Zuschauern ermöglichen, den Programmablauf zu beeinflussen. Eine Zeit lang sah es so aus, als seien amerikanische Fernsehzuschauer den Europäern auf dem Weg ins Nirwana des digitalen,interaktiven «High Definition TV» (HDTV) voraus. US-Firmen machten sich daran, De-facto- Standards zu schaffen, während in Europa der Versuch, alle Interessen auszubalancieren, zu endlosen Diskussionen in Komitees und Kommissionen führte. Die europäischen Bemühungen um einen herstellerunabhängigen Standard für das Digital-TV werden seit 1993 durch das DVB- Konsortium koordiniert, einen Zusammenschluss von rund 300 Firmen und Organisationen. Noch 1997 konnte die «New York Times» von einer «Schlacht» berichten, die bezüglich Digitalfernsehen zwischen den USA und Europa ausgefochten werde. Handelsdelegationen beider Parteien reisten um die Welt, um in China, Südkorea, Brasilien oder Australien potenzielle Kunden für ihre jeweiligen Standards zu gewinnen. Als zwei Jahre später ein Journalist des «Tages-Anzeigers» glaubte feststellen zu müssen, dass die Europäer «international das fernsehtechnische Schlusslicht» bildeten, weil sie sich «einen Teufel um das Thema HDTV» scherten, war der Durchbruch von DVB jedoch schon absehbar. Mittlerweile gibt es selbst in den USA Stimmen, die fordern, das vom Advanced Television Systems Committee (ATSC) in den achtziger und neunziger Jahren für die terrestrische Verbreitung von HDTV-Programmen geschaffene Funkverfahren (Vestigial Sideband, 8-VSB) sei unbrauchbar und durch die entsprechende DVB-Technik (Coded Orthogonal Frequency Division Multiplexing, COFDM) zu ersetzen. Während sich das ATSC mit zum Teil offenbar unfairen Tests zu beweisen versucht, dass seine Techniken gegenüber DVB-T zu bestehen vermögen, und sich unter dem Namen DTV Application Software Environment (DASE) bemüht, etwas mit MHP Vergleichbares zu schaffen, muss es auch noch um die Aufmerksamkeit der amerikanischen Konsortien für digitales Satelliten- oderKabel-TV ringen. Unter dem Dach des amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) bemühte sich das ATSC diesen Sommer um Verständnis bei den Cable Television Laboratories, der Forschungsanstalt der amerikanischen Kabelnetzbetreiber, die 1988 auf Initiative von John Malone gegründet worden war. Doch die Vertreter der Cablelabs waren nicht zu Kompromissen bereit. Europäer in den USA Vergangene Woche gaben die Cablelabs bekannt, dass sie sich für den europäischen MHP-Standard entschieden haben. Für den ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen bedeutet dieser Entscheid den «endgültigen Durchbruch von MHP». MHP ist kein eigenständiges Betriebssystem, sondern eine Programmierschnittstelle, die Zugang zu einer virtuellen Maschine - einer Java Virtual Machine - ermöglicht. MHP verträgt sich mit verschiedensten Betriebssystemen und trifft keine Annahmen über die Hardwareausstattung einer Set-Top-Box oder eines Fernsehgeräts. Mit Ausnahme von Microsoft haben alle wichtigen Anbieter von Betriebssystemen für Set-Top-Boxen der MHP ihre Unterstützung zugesagt. Ende August stellten an der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin verschiedene Hersteller TV-Geräte oder Zusatzgeräte für Fernseher vor, die für den MHP-Standard vorbereitet sind. Das erste kommerziell verfügbare MHP-kompatible Gerät dürfte der Fernseher KD-32NS100 von Sony sein, der dieser Tage in die Läden kommt. DVB wurde schon mit GSM verglichen, dem in Europa entwickelten Mobilfunkstandard, der mittlerweile als Weltstandard gilt und die Grundlage darstellt, auf der europäische Mobilfunkfirmen weltweite Bedeutung erlangen konnten. Doch im Unterschied zum GSM-Standard, der zumindest auf dem europäischen Markt von staatlich gestützten Telefongesellschaften per Dekretdurchgesetzt werden konnte, hängt der Markterfolg von DVB von der freiwilligen Einsicht aller Marktteilnehmer ab, dass offene Standards allen nützen. Der Weg zu dieser Einsicht ist mitunter lang. In Deutschland versuchte die Kirch-Gruppe jahrelang ein proprietäres System in den Markt zu drücken, um so die Kunden ihrer Pay-TV-Angebote daran zu hindern, auch andere Digital-TV- Sender zu nutzen. Erst vor wenigen Monaten konnten sich die Verantwortlichen bei der Kirch- Gruppe dazu entschliessen, MHP-Applikationen auf ihrer D-Box eine Heimat zu bieten. Alles ist offen «Wir wollen einen wahrhaft offenen Standard», sagte John Malone vergangene Woche inBerlin. Warum aber nicht MHP? «MHP ist proprietär.» Vorbehalte hat Malone vor allem gegen Java. Er sei sehr besorgt, dass er sich mit der Plattform für Set-Top-Boxen Probleme mit dem geistigen Eigentum anderer Firmen einkaufe und später mit hohen Lizenzgebühren zur Kasse gebeten werde. Dieser Einwand erstaunt. Viele derin der Computerbranche oder in der Unterhaltungselektronikindustrie relevanten Standards integrieren geistiges Eigentum einzelner Firmen. Esist eine wichtige Aufgabe von Standardisierungsgremien, in solchen Fällen sicherzustellen, dass jeder Interessierte das entsprechende geistige Eigentum ohne langwierige Verhandlungen, diskriminierungsfrei und unter fairen Bedingungen lizenzieren kann. Der Seitenhieb gegen Sun erstaunt umso mehr, als sich Malone vor knapp drei Jahren den Medien noch als begeisterter Java-Jünger präsentierte. Als Chef der Kabel-TV-Unternehmen Tele- Communications Inc. (TCI) hatte Malone damals eine Java-Lizenz gelöst, um auf dieser Basis Set- Top-Boxen für interaktives Fernsehen zu entwickeln. «Wir sind erfreut, dass wir mit Java arbeiten können, um eine Softwareumgebung für TV-Applikationen zu entwickeln, die neuartige Funktionen in einer nicht proprietären Weise zur Verfügung stellen», liess sich Malone damals in einer Medienmitteilung zitieren, die Sun anlässlich der Consumer Electronics Show in Las Vegas verteilte. Was Sun damals weniger freute, war, dass Malone wenige Tage später ein Abkommen auch mit Microsoft schloss und Windows CE als Betriebssystem für Set-Top-Boxen lizenzierte. «Dieses Abkommen befähigt die Kabelindustrie, neuartige interaktive Inhalte und Dienstleistungen anbieten zu können», liess sich Malone damals in einer Medienmitteilung zitieren, die Microsoft ebenfalls noch während der Consumer Electronics Show in Las Vegas unter die Leute brachte. Welche Set-Top-Box möchte also Malone in die deutschen Wohnzimmer stellen? In einem Interview mit dem «Spiegel» versprach Malone im September seinen deutschen Kunden «eine Art internetfähige Hochgeschwindigkeits-Multimediamaschine». «Wir werden vermutlich die Set-Top-Box nutzen, die sich in den USA als Standard durchgesetzt hat.» Welchen Standard meint Malone? MHP, das letzte Woche von den Cablelabs adaptiert wurde? Eine E-Mail-Anfrage bei der deutschen Niederlassung wirft mehr Fragen auf, als dass sie beantwortet: «MHP ist ein sehr gutes Betriebssystem für Set-Top-Boxen. Wir begrüssen einen gemeinsamen, offenen Standard. In unserer Startphase werden wir auch einen Decoder mit offenem Standard einsetzen. DiesesGerät wird MHP-kompatibel sein und kann entsprechend aufgerüstet werden. MHP werden wir anfangs jedoch nicht einsetzen.» 23. November 2001 Aus NZZ Online mfG Serang |
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Autor (Datum des Eintrages): | Serang (23.11.01 08:18:20) |
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