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Von Silberhemden und Putschisten: Nazis und Neonazis in den Vereinigten Staaten

Von Milzbrand bis Antisemitismus: Amerikas Neonazis
Jüngste Hinweise zum modus operandi bei der Versendung der tödlichen Milzbrandbriefe, die in den Vereinigten Staaten nach wie vor Angst und Schrecken verbreiten, legen den Verdacht nahe, daß die Absender dieser Briefe Zugang zu Einrichtungen des amerikanischen Biowaffen-Forschungsprogramms hatten. Sollten tatsächlich Regierungsangestellte verantwortlich sein, etwa Forscher, die sich dann zur Erfindung des Drittmittel-Beschaffungsterrorismus beglückwünschen könnten, wäre das ein ebenso bizarrer wie düsterer politischer Treppenwitz. "Zugang zum amerikanischen Biowaffenprogramm" läßt indes auch an eine andere Vermutung denken, die westliche Medien zeitweise nur hinter vorgehaltener Hand zu artikulieren wagten: was, wenn die Angreifer amerikanische Neonazis wären?

Wer die heutige extremistische, häufig sogar bewaffnete Rechte in den Vereinigten Staaten "Neonazis" nennt, folgt einer bequemen sprachlichen Konvention. Politisch-moralisch geht es ihm um die möglichst vollständige Diskreditierung der rassistischen "Christian Identity"-Fundamentalisten, Prediger gegen "ZOG" (das "Zionist Occupational Government", die jüdischen Besatzer, gemeint sind die Vereinten Nationen), Mitglieder von Milizen, Ku-Klux-Klan-Ritter und vergleichbarer Soziopathen. Was könnte schließlich sichtbarer stigmatisieren als der Vergleich mit Adolf Hitlers NSDAP und deren Erben?

Funktional trifft das "Neonazi"-Stigma durchaus die Rolle, die diese Leute gerne spielen würden; historisch aber irritiert das "Neo-": Kann man von einem Gebiet, das nichts den Nazis und deren europäischen Schwesterorganisationen Vergleichbares erlebt hat, sagen, es gebe dort Neonazis? In Europa ist wenig bekannt, daß während der "Großen Zeit" des Faschismus nicht allein heimatverbundene Italoamerikaner und die Angehörigen deutsch-amerikanischer Freundschaftsorganisationen, überwiegend mit Sitz in New York, profaschistische und nazifreundliche Propaganda in Umlauf brachten. Studien amerikanischer Politsoziologen und Publizisten von Morris Schonbach, Ende der fünfziger Jahre, bis Martin A. Lee, dessen soeben erschienenes Buch "The Beast Reawakens" den besten aktuellen Überblick über den weltweiten militanten Rechtsextremismus seit dem Zweiten Weltkrieg bietet, haben gezeigt, daß es durchaus einen genuin amerikanischen Faschismus gegeben hat und weiterhin gibt.

Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Engpässe der Depressionszeit und des New Deal brachten in den Vereinigten Staaten einen "bodenständigen" Rechtsextremismus hervor, der in Sachen Rassenwahn, Chauvinismus und Antisemitismus den Vergleich mit seinen europäischen Cousins nicht zu scheuen brauchte. Vor dem Hintergrund verelendeter Armeen von Wanderarbeitslosen, bankrotten Farmern und ruinierten Kleineigentümern nahm damals ein zunächst ländlicher protestantischer Fundamentalismus Gestalt an, dem schließlich Prediger- und Hetzerfiguren wie J. Frank Norris oder Gerald Winrod entwuchsen. Des letzteren "Defenders of the Christian Faith", 1925 gegründet, taten sich besonders als rabiate Antisemiten hervor.

Winrod selbst erklärte 1933, ihm sei jetzt klargeworden, daß alles Leid im Amerika der Gegenwart von den Machenschaften des "jüdischen Bolschewismus" herrühre. 1930 schuf ein gewisser Allen Zoll eine schlagkräftige Quasi-SA mit Namen "American Patriots" und erhielt dabei wortmächtige Unterstützung von der seinerzeit in Faschistenkreisen äußerst umtriebigen Chicagoer Demagogin Elizabeth Dilling, die 1934 den Klassiker sozialstaatsfeindlicher Anti-New-Deal-Literatur, "The Red Network", schrieb. Ganz wie die deutsche SA sahen auch amerikanische Faschistentruppen ihre wichtigste Aufgabe in der gewaltsamen Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften. Gruppen wie die "Industrial Defense Association" Edward Hunters oder die "Paul Reveres", die Colonel Edwin M. Haley mit Unterstützung der emsigen Mrs. Dilling gründete, nannten sich "Nationalisten" und suchten ihren Hauptfeind auf der Seite der gewerkschaftsnahen Linken.

Silberhemden und Putschisten.

Der am meisten aufsehenerregende Agitator dieser Periode war wohl der Publizist William Dudley Pelley, der in großen Mengen von Zeitschriften und Zeitungen mit Titeln wie "The Galilean", "Liberation" und "The Roll Call" sowie in seinem berühmten Buch "No More Hunger!" für ein Programm des autoritär-ständischen Staats warb, das seine im Wortsinn national-sozialistischen Züge stolz zur Schau stellte.

Pelley beließ es nicht bei Worten. Nach eigenen Angaben war es Hitlers Machtübernahme, die ihm die Idee zur Gründung einer eigenen Kampf- und Einsatztruppe eingab. Pelleys "Silberhemden" hatten zu ihren besten Zeiten angeblich 20 000 Mitglieder, verkamen aber schließlich, wie das mit rechten Sekten im Mutterland des fordistischen und nachfordistischen Kapitalismus seither glücklicherweise immer wieder geschah, zu reinen Spendensammel- und Bereicherungsmaschinen für die Organisationsleitung.

Immerhin wirkte die mögliche Massenbasis derartiger Truppen und Kabalen Mitte der dreißiger Jahre auf Zeitzeugen so beeindruckend, daß das "Current History Magazine" der "New York Times" 1933 vermuten konnte: "Das neue Amerika wird nicht sozialistisch noch kapitalistisch im alten Sinn, sondern faschistisch sein." Allerdings schien der amerikanische Faschismus trotz seiner Massenbasis die Unterstützung wirtschaftlich Mächtiger entbehren zu müssen, sosehr er sich auch durch Prügelorgien gegen Gewerkschaftsversammlungen bei den Reichen anbiederte. Nur wenige, meistens etwas verschrobene Erzkapitalisten und Wall-Street-Hasardeure, setzten auf das braune Pferd; darunter der schillernde Gerald MacGuire, der in den Dreißigern, eben von einer Europa-Reise heimgekehrt, wo ihn deutsche und italienische Faschisten beeindruckt hatten, zusammen mit einigen schwerreichen Gesinnungsgenossen dem pensionierten Major General der Marine Smedley Butler die Leitung eines putschistischen Freikorps antrug, das Amerika vor dem Sozialismus retten sollte. Butler verriet die Möchtegern-Geldgeber der amerikanischen Machtergreifung an die Kongreßabgeordneten McCormack und Dickstein; im November 1934 wurde eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt und der Spuk im Keim erstickt.

Von mit dem New Deal unzufriedenen Polizeioffizieren bis zum Flieger-As Colonel Charles Lindbergh reichte die Personalpalette derer, die von realitätsfernen Spinnern zum "amerikanischen Führer" ausersehen waren. Spätestens der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg versetzte diesen Bestrebungen, die nun alles andere als patriotisch aussahen, einen Schlag, von dem sich viele nicht mehr erholten. Das Schicksal des Wortführers der Hochmoderne in der anglophonen Lyrik, des Mussolini-Anhängers und Radiopropagandisten für die Achse, Ezra Pound, der nach dem Krieg nur durch Fürsprache prominenter Freunde und Schüler dem elektrischen Stuhl wegen Hochverrats entging, steht exemplarisch für die gesellschaftliche Marginalisierung des amerikanischen Vorkriegsfaschismus durch den Mainstream der Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre.

Religiöse Rassisten.

Leute wie der intellektuelle Faschist Francis Parker Yockey, der während der fünfziger und sechziger Jahre einen gewissen Ruhm als Autor des antisemitischen Machwerks "Imperium" genoß, mußten sich überwiegend als Einzelkämpfer durchs Meinungsgestrüpp schlagen. Während aber die offen politische Ausdrucksform rechtsextremen Ressentiments sich nach dem Krieg meistens in die sicheren Bahnen eines gleichsam sterilisierten und homogenisierten offiziellen Antikommunismus lenken ließ, der nur während der McCarthy-Zeit in den Fünfzigern und in der Anti-Studentenbewegungshysterie der sechziger Jahre gewalttätig wurde, nahm der amerikanische Faschismus unter der Hand seine liebste Verpuppungsform an: die religiöse.

Seit der Entstehung der kleinen Sekte des "Britischen Israelismus" in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts, die ihrem Namen zum Trotz keineswegs projüdisch, sondern scharf antisemitisch war, haben bizarre rassistische Wahngebilde den rechten Rand der amerikanischen Gesellschaft mit ihren ideologischen Schlagadern durchzogen. Der "Britischer Israelismus"-Abkömmling "Christian Identity" lehrt, nur weiße "Arier" seien wahre Kinder Israels, während die Juden und Schwarzen "Söhne Satans", "Kinder Kains" oder halbmenschliche Abkömmlinge von Adams Kopulation mit der Schlange Lilith seien. Rechte Terrorgruppen wie "The Order" oder die "White Aryan Resistance" vertraten und vertreten solches Zeug ebenso ernsthaft wie Himmlers SS ans ausgehöhlte Erdinnere, an den Schatz von Thule und die blonde Zukunftsrasse glaubte. Gruppen wie diese sind dabei nur die Spitze eines Eisbergs frömmelnder Breitenunterstützung für rechte Milizen und antisemitische Prediger seitens ultrakonservativer Farmer und verelendeter Weißer in Staaten wie Montana und Arizona.

Eine mehr oder weniger explizite populäre Mythologie um die Judenweltmacht ZOG und deren Instrumente CIA, FBI und FEMA (Federal Emergency Management Agency), von denen qua Entwaffnung "freier Männer" eine "neue Weltordnung" durchgesetzt und das amerikanische Volk versklavt werden soll, eint "Christian-Identity"-Fanatiker, den 1993 in Waco/Texas getöteten Davidianer-Sektenchef David Koresh, den Führer der Montana-Miliz John Trochman, den prominenten Anwalt Kirk Lyons, der Milizen berät und mit dem Ku-Klux-Klan kungelt, seinen "ersten Offizier" Louis Beam, die Moderatoren rechter Radiosender wie "Radio Free Vermont", den unlängst erschossenen paranoiden Demagogen Bill Cooper (F.A.Z. vom 17. November) und seinen berühmtesten Jünger, den exekutierten Oklahoma-Bombenleger und Massenmörder Timothy McVeigh.

Dieser rechte Rand hat oft genug Verbindungen zu rechten Kräften im Zentrum der Gesellschaft, personell wie ideologisch: Der Iran-Contra-Skandalsoldat Oliver North zum Beispiel, der im Auftrag der CIA dubiose Waffengeschäfte abwickelte und an autoritären bis rechtsradikalen Plänen hoher Regierungskreise für eine Notstandsdiktatur mit Namen "Project Democracy" beteiligt war, wird von den Milizen noch heute als Freiheitsheld verehrt, und einer der bekanntesten rechten Wahnsinnigen der Vereinigten Staaten, der wegen Steuerbetrugs verurteilte Lyndon LaRouche, der laut Enthüllungen des Journalisten Dennis King in seinem inneren Kreis verbreiten läßt, Juden und Briten (!) seien biologisch keine Menschen, war einer der lautstärksten Befürworter und auch realpolitischen Förderer von Reagans SDI-Plänen, deren modernisierte Fassung jetzt wieder diskutiert wird. Der religiöse, antisemitische und waffenfetischistische Untergrund in den Vereinigten Staaten greift offenbar periodisch nach den Sternen; administrative Maßnahmen und Verbote allein reichen gewiß nicht aus, wenn man ihm dabei in den Arm fallen will.

DIETMAR DATH

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.11.2001, Nr. 279 / Seite 47
 
aus der Diskussion: Der Wahnsinn von Amerika
Autor (Datum des Eintrages): DolbyDigital5.1  (01.12.01 12:55:04)
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