Fenster schließen  |  Fenster drucken

Der Gesetzesvorschlag zum Delisting ist ja noch größerer Murks als ich gedacht hatte. Im Grunde ist ja keine Lösung fast noch besser als die angedachte. Das ist schon irre. Ich habe mich gestern per e-mail bei den Münchener Bundestagsabgeordneten sowie dem Finanzausschuss inklusive Stellvertretern beschwert.

Es sollten sich andere Interessiert auch bei ihren Volksvertretern beschweren. Vorlagetexte gibt es einige, aus denen man was zusammenbauen kann. Ich habe mir einen eigenen Text gebastelt.

Am 31.08.2015 legte die Große Koalition einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf "zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie ‐ Änderungsrichtlinie“ ‐ BT ‐ Drucksachen 18/5010, 18/5272 – vor. Bereits am 07.09. 2015 fand die öffentliche Anhörung im Finanzausschuss des Bundestages statt. Die Resonanz war ziemlich verheerend, da mit den angedachten Regelungen zum regulären Delisting das Ziel einer Regelung – mehr Anlegerschutz – völlig aus den Augen verloren wurde. Wenn diese Mogelpackung Gesetz werden würde, dann könnte man gleich alles beim Alten belassen. Tatsächlich wird die jetzige ungeregelte Lage auch noch verschlimmert, Dazu muss bei einer Übernahme nur mit einem Delisting gedroht werden.

2002 war der BGH in der sog. „Macrotron“-Entscheidung davon ausgegangen, dass das reguläre Delisting sowohl eines Hauptversammlungsbeschlusses als auch eines (in einem Spruchverfahren überprüfbaren) Pflichtangebots der AG oder des Hauptaktionärs an die Minderheitsaktionäre bedürfe. Denn das Delisting bedeute eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit der Aktien und damit einen Eingriff in das Aktieneigentum (Urteil vom 25. 11. 2002 - II ZR 133/01). Beispiele von negativen Kursreaktionen infolge von Delistings gab es zuhauf. Die neue Regelung war pragmatisch, führte nicht zu einer nennenswerten Verzögerung des Rückzugs von der Börse, denn die erforderliche Beschlussmehrheit in der Hauptversammlung war meist gesichert. Ein Spruchverfahren konnte erst nach dem erfolgten Delisting eingeleitet werden. Die Regelung schütze somit die Interessen der Minderheitsaktionäre, die ihre Aktien zu einem angemessenen Preis veräußern. Ein betroffener Anleger konnte die Angemessenheit in einem Spruchverfahren überprüfen lassen. Delistings waren in den Jahren 2002 bis 2013 selten, ca. 1 Fall pro Jahr. Das Thema war also recht unbedeutend und sinnvoll gelöst.

Im Jahr 2013 vollzog der BGH dann eine Kehrtwende und hat mit dem sogenannten FRoSTA-Beschluss seine Rechtsprechung geändert (BGH, Beschl. v. 08.10.2013, Az. II ZB 26/12). Das bedeutete, dass kein Hauptversammlungsbeschluss mehr nötig war und dass kein Übernahmeangebot mehr unterbreitet werden musste. Der BGH begründete seine Kehrtwende unter anderem mit einer empirischen Studie des Deutschen Aktieninstituts (DAI). Ein Börsenruckzug war demnach selten und ein Kursrückgang nach Ankündigung des Börsenrückzugs konnte angeblich nicht nachgewiesen werden. Damit sollte es den Anlegern möglich sein, ihre Aktien in einer angemessenen Zeit über die Börse zu verkaufen.

Die Studie hat allerdings einen völlig offensichtlichen Fehler, der dem BGH auch vorgetragen wurde. Sie beobachtet das Verhalten in der Vergangenheit, allerdings das nur den Zeitraum, als die Macrotron-Entscheidung für die Durchführung eines Delistings noch maßgebend war. Die Aktionäre hatten einen Anspruch auf Abfindung, der zu dem Ertragswert auch die Höhe des Börsenkurses umfasste, nebst gerichtlichem Rechtsschutz hatte. Bei Wegfall dieser Absicherung waren somit ganz andere Ergebnisse zu erwarten. Die Kurse fielen wieder nach Ankündigung eines Delistings wie es schon vor der Macrotron-Entscheidung der Fall. Die Gründe sind klar. Die wenigsten Anleger sind bereit, Aktien zu halten, die nicht mehr handelbar sind. Die Regularien bei Aktienfonds sehen zumeist vor, dass nur ein kleiner Teil des Fondsvernögens in nicht börsennotierten Wertpapieren angelegt sein darf. Die Fonds müssen in der Regel also sogar verkaufen. Das weiß natürlich ein potentieller Käufer, der versuchen wird dies auszunutzen.

Da Mehrheitsaktionäre Minderheitsaktionäre stark unter Druck setzen konnten, war auch zu erwarten, dass die neue Regelung ausgenutzt wird. Seit dem Schwenk des BGH vor 2 Jahren dürften ca. 50 Börsenrückzuge durchgeführt worden sein, für die die geplante gesetzliche Regelung eh zu spät kommt.

Von einem Delisting werden in Zukunft fast immer Unternehmen betroffen sein, die bereits einen Mehrheitsaktionär haben bzw. bei denen ein erfolgreiches Übernahmeangebot erfolgt ist. Letzteres heißt aber nur, dass danach der Bieter mindestens 30 % der Anteile hält. Der Gesetzesvorschlag erhöht das Drohpotential eines Hauptaktionärs, der daran interessiert sein wird, die Rendite zu maximieren. Ein Delisting wird ein Schritt zu einem Squeeze Out sein. Folglich wird ein Hauptaktionär auf dein Delisting hinwirken, insbesondere dann, wenn er den Minderheitsaktionären kein angemessenes Kaufangebot machen muss. Laut den Vorschlägen der Koalition müsste lediglich ein Mindestpreis gezahlt werden, der sich an den Börsenkursen orientiert. Ein Delisting ist unwichtig für die Unternehmenspolitik. Damit kann der Hauptaktionär auf einen für ihn möglichst günstigen Zeitpunkt für ein Delisting hinwirken, d.h., er wird versuchen, einen möglichst geringen Mindestpreis anbieten zu müssen. Zudem können die Aktienkurse im Vorfeld eines Delistings vom Hauptaktionär maßgeblich beeinflusst werden. Die Folge wird sein, dass Fonds und andere Aktionäre aus pragmatischen Gründen andienen werden, auch wenn sie das Angebot für unangemessen halten werden. Die Alternative ist ja, dass es nach dem Delisting praktisch unmöglich sein wird, einen Käufer zu einem angemessenen Preis zu finden. Damit sind auch die Auswirkungen auf Übernahmeangebote ersichtlich. Es könnten in Zukunft Übernahmen gelingen, obwohl fast alle Aktionäre das Angebot für unangemessen halten und damit prinzipiell ablehnen sollten. Das wird im Vorschlag der Koalition völlig übersehen.

Anleger, die ein Übernahmeangebot nicht annehmen, sind auch schutzbedürftig. Nach einem Delisting ist der Anlegerschutz de facto aufgehoben. Es gelten dann z.B. weder die Regelungen aus dem Wertpapierhandelsgesetz noch aus dem Wertpapierübernahmegesetz. Es ist reichlich grotesk, dass Bieter diese Regeln außer Kraft setzen können sollen, in dem ein Mindestpreis geboten wird. Wenn der Bieter zu diesem Preis kaufen will, so ist ihm ein Kauf über die Börse zuzumuten. Dann wird zumindest der Anlegerschutz nicht ausgehebelt.

Im Wertpapierübernahmegesetz wird schon an einer Stelle erklärt, wann ein Übernahmepreis angemessen sein könnte. Es handelt sich um die Regelung zum übernahmerechtlichen Squeeze Out in §39a. Wenn „genügend“ Aktionäre das Angebot angenommen haben, dann gilt das Angebot als angemessen. Mit Vermutungen ist das so eine Sache. Ob die richtig oder falsch sind, ergibt zumeist eine Prüfung, die hier gar nicht vorgesehen ist. Es gibt hier durchaus berechtigte Zweifel, ob diese Regelung einen Anleger schützt. Jedenfalls werden dem Bieter zu diesem Preis auch die Aktien übertragen, für die das Angebot nicht angenommen wurde. Von einem Börsenrückzug im Sinne des Delisting sind die Anleger dann nicht mehr betroffen.

Im Grunde will die Bundesregierung diese Regelung mit dem Gesetzentwurf weiter ausdehnen und zwar in dem Sinn, dass ein Übernahmepreis schon angemessen ist, wenn die Übernahme erfolgreich ist. Auf diesen „angemessenen“ Preis zielt die Ausnahmeregelung der Bundesregierung für das Delisting, welches einem Übernahmeangebot folgt, ab. Eine Übernahme ist aber unter Umständen schon dann erfolgreich, wenn der Bieter mit den angedienten Aktien die Kontrollmehrheit von 30 % erreicht. Dazu reicht im Extremfall der Erwerb einer einzigen Aktie. So kann ganz sicher nicht die Angemessenheit eines Angebots angenommen werden. Das wäre völlig absurd. § 3 (2) Aktiengesetz wäre wie folgt zu ergänzen: „Stellt das Unternehmen einen Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung, so gelten §§ 191 ff. UmwG sinngemäß.“

Wenn der Anlegerschutz wieder auf das Niveau vor der Macrotron-Entscheidung, die sich über 10 Jahre bewährt hatte, gebracht werden soll, so wäre das ziemlich einfach machbar. § 3 (2) Aktiengesetz wäre wie folgt zu ergänzen: „Stellt das Unternehmen einen Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung, so gelten §§ 191 ff. UmwG sinngemäß.“ Das sind keine komplizierten Änderungen, man muss sie nur wollen.

Es dürfte jetzt schon zahlreiche Anleger geben, die börsennotierte Aktien gekauft haben, die sie praktisch nicht mehr veräußern können, da sie an keiner Börse mehr gehandelt werden. Der durchschnittliche Anleger bekommt ein Delisting doch nur dann mit, wenn er alle Meldungen des Unternehmens verfolgt. Das ist nicht die Regel. Er wird zudem weder vom Unternehmen noch von der depotführenden Bank benachrichtigt. Viele Anleger dürften ein Delisting erst nach dem Vollzug bemerken, z.B. beim Lesen des Depotauszugs am Jahresende, wo dann der Kurs 0 auftaucht, oder bei einem angedachten Verkauf, der dann gar nicht möglich ist. Auf diese Anleger haben es unseriöse Anbieter abgesehen, die Kaufangebote im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlichen, die von den Banken an die Depotinhaber weitergeleitet werden müssen. Dabei wird so gut wie immer erheblich weniger als der letzte Börsenkurs geboten. Es wird genügend Aktionäre geben, die solche Angebote annehmen, da sie anderweitig keine Käufer finden. So von allen Seiten hereingelegt, dürften die jegliches Interesse an weiteren Wertpapierkäufen verloren haben.

Bitte wirken Sie auf eine gesetzliche Lösung beim Delisting hin, die tatsächlich den Anlegerschutz stärkt. Der jetzige Vorschlag der Bundesregierung löst das Problem überhaupt nicht. Mit der Ausnahmeregelung wird auch noch das völlige Gegenteil des angedachten Ziels bewirkt.

Mit freundlichen Grüßen

 
aus der Diskussion: ABFINDUNGSPHANTASIE BEI NEBENWERTEN !?
Autor (Datum des Eintrages): Kalchas  (17.09.15 15:45:45)
Beitrag: 3,631 von 5,556 (ID:50646111)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE