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Ich habe mal ein paar Stunden Zeit investiert und mir erlaubt, die Beiträge der beiden meiner Ansicht nach wichtigsten und besten Poster in diesem Thread, Svabo und Rentford, zu exzerpieren und habe daraus eine Story gebastelt. Dabei geht die Pro-Wirecard-Argumentation auf Svabo zurück, die Contra-Wirecard-Argumentation auf Rentford. Speziell bei der Contra-Argumentation habe ich teilweise Rentfort wörtlich zitiert (ohne dies als Zitat zu kennzeichnen). Ich möchte betonen, dass der Artikel nur hier erscheint und ich keinen finanziellen Vorteil daraus ziehen möchte. Daher habe ich mir das als "Stilmittel" erlaubt. Mir geht es um die Sache und ich finde die Thematik persönlich sehr spannend. Ich hoffe, das ist o.k. für Rentford und Svabo.

Svabo danke ich besonders für seine Antworten auf meinen im Nachhinein betrachtet eher schwachen Post hinsichtlich Wire Card UK und den Geldwäschevorwurf. Meine Befürchtungen hat Svabo größtenteils entkräftet.

Rentford danke ich für die genauen Bilanzanalysen (die bestimmt viele, viele Stunden Recherchearbeit in Anspruch genommen haben) und die Idee, die ganze "Affäre" als Pokerspiel zu sehen. Meines Erachtens ist dieser Vergleich sehr passend, mehr dazu im Fazit.



Das Wirecard-Pokerspiel: Die Einsätze werden nach oben getrieben - Muss Dr. Braun aufdecken?

Liebe Trader,

in den letzten Wochen ist der verbissene Kampf zwischen Leerverkäufern und Großaktionären rund um den Bezahldienstleister Wirecard wieder neu entfacht worden. Und die Einsätze sind höher als je zuvor.

Warum ist Wirecard überhaupt wichtig? Mit einer Marktkapitalisierung von rund vier Milliarden Euro gehört das Unternehmen inzwischen zu den absoluten Dickschiffen im TecDAX und damit zu den wichtigsten börsennotierten deutschen Technologiefirmen.

Die deutsche Öffentlichkeit scheint sich einig: Die Bösen sind die Shorties, insbesondere die anonym agierenden Zatarra Research, Wirecard das arme Opfer. Ich bin davon überzeugt, dass die tatsächliche Sachlage weit komplexer ist und viele der jüngsten Veröffentlichungen in der Finanzpresse nur an der Oberfläche der Thematik kratzen. Ich habe keine Antworten, aber ich glaube, es ist höchste Zeit sich inhaltlich (operativ und bilanziell) genauer und tiefergehender mit Wirecard zu beschäftigen und neue Fragen zu stellen.

Operatives Geschäft

Die Wirecard-Bullen postulieren, dass Tausende Händler und Kunden in unzähligen Shops regelmäßig mit der Wirecard Engine arbeiten und über Wirecard-Terminals bezahlen und verstehen deshalb den immer wieder kursierenden Vorwurf der Intransparenz nicht. Immerhin hat Wirecard Kooperationen mit den beiden wichtigsten Kreditkartenfirmen weltweit, Mastercard und Visa, vorzuweisen. Das Unternehmen wächst schnell, sowohl organisch als auch über Akquisitionen und agiert äußerst profitabel (zumindest wenn man den offiziellen Gewinnausweisen glaubt). Mehrere internationale Akquisitionen sollen dabei helfen, die Marke Wirecard global zu etablieren. Die Zahlungsströme im WWW sind schließlich auch global.
Wirecard übertrifft zudem regelmäßig die Erwartungen der Analysten und Mobile Payment ist ein gigantischer Wachstumsmarkt.

Letzteres bestreiten die Bären nicht. Sie geben aber zu bedenken, dass die Umsätze in diesem Markt bisher noch relativ gering sind und die Investitionskosten im Gegenzug sehr hoch, eben wegen der guten Zukunftsaussichten sei der Markt entsprechend umkämpft. So hat beispielsweise der Versandhandelsriese Otto erst vor kurzem seinen Bezahldienst Yapital mangels kalkulierbarer Erfolgsaussichten wieder eingestellt.

Auffällig sei auch, dass die Margen der Konkurrenz im Bereich Payment Processing für Onlineshops im allgemeinen viel geringer sind als bei Wirecard. Kleinere deutsche Wettbewerber wie Novalnet, PAYONE oder Heidepay müssen im Vergleich zu Wirecard mit weniger als der Hälfte auskommen.
Bei der Zahlungsabwicklung im stationären Bereich, wo in Deutschland B+S Card Service und Concardis Marktführer sind (international ist Wordpay einer der ganz Großen), sind die Margen noch einmal deutlich kleiner.

Es wird viel darüber geschrieben, dass das mobile Bezahlen mit der Einführung von Apple Pay einen gewaltigen Schub bekommen wird. Fraglich ist allerdings, ob Wirecard davon profitieren kann. Die Kreditkarte durch das Handy zu ersetzen, ist noch kein neues Zahlsystem, denn alle Informationen fließen weiter über die etablierten Informationswege der Händler und ihrer Zahlungsabwickler. Das Wirecard Online-Zahlsystem click2pay wird vom Unternehmen selbst seit zwei Jahren zumindest öffentlich eher stiefmütterlich behandelt. Nur auf relativ wenigen Seiten kann man tatsächlich mit click2pay bezahlen, beispielsweise in Online-Spielcasinos. Auch hier ist click2pay aber nur ein Anbieter unter vielen.

Kritiker stellen vor diesem Hintergrund die Frage, mit welchen Kunden es das Unternehmen 2015 geschafft haben soll, ein Transaktionsvolumen von 45 Milliarden Euro zu generieren?

Bilanzielle Fragezeichen

Will man diese Frage seriös beantworten, kommt man nicht umhin die Bilanzen von Wirecard zu studieren, insbesondere die Einzelabschlüsse, die im Online-Bundesanzeiger öffentlich zugänglich sind.

Meiner Ansicht nach sind die Vorwürfe der Shortseller Zatarra, die momentan diskutiert werden, nicht der Kern der Problematik. Wire Card UK, die umstrittene englische Tochtergesellschaft, war selbst offenbar nie operativ tätig. Möglicherweise hat man hier von zwei Dienstleistern einfach eine Vorratsgesellschaft gründen lassen, um im Fall der Fälle schnell in Großbritannien und Nordirland aktiv werden zu können. Möglicherweise aus steuerlichen Gründen hat man sich dann aber doch für den Weg über die Wirecard UK & Ireland entschieden.
Kein so gutes Bild hinterlässt hier allerdings die Entscheidung, bei Wire Card UK ausgerechnet Fermoya Ltd. und BMIE Ltd. als Dienstleister gewählt zu haben. Diesen wird nämlich vorgeworfen hunderte von Scheinfirmen gegründet zu haben, deren einziger Zweck darin bestanden habe, den eigenen Geschäftszweck zu verschleiern.

Viel spannender finde ich aber die Übernahmen von Wirecard: Betrachtet man die Käufe der letzten Jahre in Asien insbesondere Systems@Work in 2011, PT Prima Vista und Trans Infotec in 2012 sowie PaymentLink und PT Aprisma Indonesia in 2013, so wurden für diese fünf Akquisitionen einschließlich Earn-out-Regelungen ca. 240 Mio. Euro investiert.
Der kumulierte Umsatz der Gesellschaften betrug zum Zeitpunkt der Akquisition ca. 42 Mio. Euro. Da Wirecard in den Geschäftsberichten nicht durchgängig Angaben zum EBITDA zum Akquisitionszeitpunkt genannt hat, sondern wahlweise auch das Folgejahr gewählt hat, muss man hier ungenau sein. Das EBITDA dürfte in etwa 10 Mio. Euro betragen haben, vielleicht etwas mehr. Hieraus ergibt sich ein EBITDA-Multiplikator von 24, was schon ziemlich teuer ist.

Für die indische GI Retail zahlt Wirecard nun (Akquisition am 01.03.2016 vollzogen) inklusive Earn-out-Regelungen 340 Millionen Euro bei einem EBITDA von sieben Millionen Euro für 2015 (bzw. erwartet von 15 bis 18 Millionen Euro für 2016). Der EBITDA-Multiplikator beträgt 49 und erscheint absurd hoch. Wieso um alles in der Welt kauft Wirecard für sage und schreibe 330 Millionen Euro einen indischen Reiseveranstalter, der es im Geschäftsjahr 2013/2014 auf gerade einmal 15 Millionen Euro Umsatz gebracht hat, wovon nur minimale 0,1 Millionen Euro aus Zahlungsdienstleistungen gestammt haben?
Nicht eben vertrauenerweckender wird der Kauf, wenn man weiß, dass Usman Fayaz, der Gründer von GI Retail, unerlaubte Anlagegeschäfte betrieben hat und die beiden aktuellen GI-Manager Ramu Ramasamy und Palaniyapan Ramasamy zuvor für InLott gearbeitet haben. Der Gründer von InLott, Santiago Martin, wurde wegen des Verdachts des Lotteriebetrugs und der Geldwäsche verhaftet.

Bei der indonesischen Aprisma dagegen drängte sich bei der Betrachtung der Website auf, dass es sich um ein reines Softwareunternehmen gehandelt hat. Letztendlich war es sogar so, dass keines der in Südostasien und Neuseeland erworbenen Unternehmen primär mit dem Geschäft von Wirecard, dem Payment Processing bzw. dem Acquiring & Issuing zu tun hatte. Alle waren zum Zeitpunkt der Übernahme nur mäßig profitabel, alle hatten so gut wie kein Anlagevermögen und der Umfang an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen war auch überschaubar. Eigenkapital war selbstverständlich auch so gut wie nicht vorhanden. In allen Fällen waren die aus der Erstkonsolidierung generierten immateriellen Vermögenswerte (u.a. Firmenwerte und insbesondere Kundenbeziehungen) größer als die Kaufpreise selbst. Für welche Kundenbeziehungen hat Wirecard dann soviel Geld bezahlt?

Die Kritik ist besonders dann berechtigt, wenn man betrachtet, was Wirecard aus den bisherigen Akquisitionen gemacht hat (lt. Einzelabschluss 2014): Die Akquisitionen der Jahre 2011 und 2012 verlieren Geld: Systems@Work 198.000 Euro, PT Prima Vista 1,04 Millionen Euro und Trans Infotec 473.000 Euro. PaymentLink kam 2014 auf ein positives Ergebnis von 1,15 Millionen Euro. Allein PT Aprisma Indonesia hat mit einem Ergebnis von 5,04 Millionen Euro die Erwartungen erfüllt.

Dafür liefert aber die cardSystems Middle East FZ-LLC, Dubai, die 2005 zum Konzern kam und bis 2012 ein Schattendasein gefristet hat, ab 2013 plötzlich spektakuläre Ergebnisse. 2013 waren es sage und schreibe 34,56 Millionen Euro Gewinn und 2014 dann gar 37,86 Millionen Euro. Woher kommt diese Gewinnexplosion bei einer Firma, von der wohl nur wenige Wirecard-Aktionäre zuvor gehört hatten? Waren die Vertriebsmannschaften der neuen Gesellschaften, die bisher mit dem Payment Processing nichts zu tun hatten, wirklich in der Lage, aus dem Nichts so hohe Umsätze zu generieren, die dann über Dubai abgerechnet worden sind? Und warum wurde die Zahlungsabwicklung überhaupt nach Dubai ausgelagert?

Und warum haben die im Payment Processing operativ tätigen Gesellschaften (Wirecard Technologies GmbH, Wirecard Payment Solutions Ltd., Dublin und cardSystems Middle East, Dubai) nur Forderungen aus der Zahlungsabwicklung und so gut wie keine Verbindlichkeiten aus dem gleichen Vorgang?

Weitere Fragen werden von Dan McCrum in dem Financial Times-Blog Alphaville aufgeworfen. Die (ahnungslose?) deutsche Finanzpresse wittert hier eine Verschwörung der Briten gegen ein deutsches Unternehmen. De facto sind die Beiträge dort aber sehr gründlich recherchiert und mit Dokumenten untermauert: Wieso fällt ausgerechnet eine so erfolgreiche Gesellschaft wie Wirecard Gibraltar einer Straffung der Konzernstruktur zum Opfer? Wieso wird E-Credit Plus kurz vor dem Erwerb durch Wirecard mit Verträgen aus dem Dunstkreis von Wirecard gefüttert? Auf all diese Fragen gibt es von Seiten des Unternehmens keine Antworten.

Das Verhalten der Großaktionäre und Banken

Einige Wirecard-Bullen schöpfen Hoffnung aus Stimmrechtsmitteilungen von Goldman Sachs und Credit Suisse, die von einem Überschreiten der Meldeschwellen durch diese beiden Akteure berichten. Allerdings ist es in Wirklichkeit anders, wie es auf den ersten Blick erscheint:
Fakt ist, dass Goldmann Sachs von den gemeldeten Stimmrechten von 5,43% lediglich 0,27 % Stimmrechtesanteile nach den §§ 21 bzw. 22 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) hält. Nur dieser Anteil der Stimmrechte bezieht sich auf Aktien im Eigenbesitz.
5,16% der Stimmrechte hält Goldman Sachs nach den §§ 25 und 25a WpHG. Diese Stimmrechte beziehen sich auf Finanzderivate, die das Recht beinhalten das Stimmrecht auszuüben bzw. auf Finanzderivate, die das Recht beinhalten, das Stimmrecht zukünftig ausüben zu können.

Credit Suisse hält mittelbar (höchstwahrscheinlich über ihre Fonds) 2,01 % der Aktien. Dies sind weniger als 3 % der Anteile. Somit besteht keine Meldepflicht nach § 21 WpHG. Nun verleiht die Credit Suisse 2,78 % der Anteile an Dritte. Sie hat aber selber nicht genug Aktien. Darum besorgt sie sich weitere über einen Equity Swap (0,5%). Der mittelbare Bestand und beide Transaktionen lösen nun eine Überschreitung der Schwelle von 5 % aus. Die Aktienleihe fällt unter § 25 WpHG und der Equity Swap unter § 25a WpHG. Alles zusammen ergibt dann 5,29 % der Stimmrechte.

Das heißt: Goldman Sachs und Credit Suisse sind nicht selbst bzw. nur minimal selbst in Wirecard investiert, vielmehr scheinen sie den Leerverkäufern Stücke zum Shorten zu liefern. Plakativer könnte man auch formulieren: Sie liefern die Munition für die Shorties.

Spannend ist dabei aber, dass alle Analysten bullisch für Wirecard sind, insbesondere Goldman Sachs, bei denen sich Wirecard auf der Conviction Buy-List befindet, also unter den Top-Empfehlungen. Die einzige Ausnahme ist ausgerechnet Credit Suisse: Deren Analyst Charles Brennan äußerte sich sogar dahingehend, dass die Aktie von Wirecard zu den zehn Titeln mit den schlechtesten Kursaussichten in Europa zähle.

Es existiert offensichtlich eine Nähe der Credit Suisse zum Canada Pension Plan Investment Board. Dieser wiederum hat 2,29 Prozent der ausstehenden Wirecard-Aktien leerverkauft. Der Canada Pension Plan ist ein großer öffentlicher kanadischer Pensionsfonds zur Altersvorsorge (also kein "böser" Hedgefonds). Ist Charles Brennan auf Grund dieser (lukrativen) Geschäftsbeziehung seines Arbeitgebers vielleicht der einzige Analyst, der sich tatsächlich kritisch über Wirecard äußern kann und deshalb objektiver urteilt? Viele höchst interessante Fragen, auf die es bisher keine Antworten gibt.

MEIN FAZIT: Der Fall Wirecard hat sich vom Theaterstück früherer Tage (SdK-Affäre) zu einem Pokerspiel entwickelt, und zwar zu einem ganz großen. Die Hedgefonds glauben CEO Dr. Martin Braun nicht, dass er mit seiner Wirecard einen Royal Flush auf der Hand hat, sondern dass er nur blufft. Jetzt werden die Einsätze auf beiden Seiten immer weiter nach oben getrieben. Die Hedgefonds erhöhen ihre Shortwetten und Braun hat seinerseits in den letzten beiden Jahren über seine MB Beteiligungsgesellschaft Wirecard-Aktien im Wert von rund 70 Millionen Euro erworben, manche vermuten auf Kredit. Muss Dr. Braun nun aufdecken, möglicherweise gezwungen durch Margin-Calls seiner Bank(en), wenn die Wirecard-Aktie noch weiter fallen sollte? Oder schafft es Braun, die Shorties auszusitzen, so dass diese zwangseindecken müssen und geht damit auch diese Runde (wie immer in der Vergangenheit) wieder an ihn? Man darf gespannt sein.
 
aus der Diskussion: Wirecard - Top oder Flop
Autor (Datum des Eintrages): ArminBrack  (11.03.16 16:31:38)
Beitrag: 12,762 von 166,148 (ID:51961206)
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