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@ hasenbrot

Die multikulturelle Gesellschaft ist also gescheitert, liest man allerorten. Von Gewalt ist die Rede, vom wachsenden Fundamentalismus türkischer Einwanderer, von fanatisierten und brutalen türkischen Kids wird erzählt. Ganze Straßenzüge deutscher Metropolen werden angeblich bereits von bis an die Zähne bewaffneten türkischen Jugendgangs beherrscht.

Und nun? Ausländer raus, scheint die implizierte Alternative. Und weil es sich für einen seriösen Politiker oder Herausgeber wie Rudolf Augstein nicht schickt, "Türken raus" zu rufen, überläßt man diese Schlußfolgerung der Phantasie des Lesers.

Doch diese Alternative existiert nicht. Deutschland ist ein Einwanderungsland, und die Frage ist lediglich, wie gut oder schlecht wir damit umgehen. Und da nutzt die Hetze gegen Türken und andere Einwanderer nichts. Einer seriösen Überprüfung halten solche Berichte sowieso nicht stand.

Natürlich gibt es Tendenzen innerhalb der türkischen Gemeinde zur Rückbesinnung auf die Religion. Aber nicht jeder gläubige Moslem ist gleich eine Gefahr für die Demokratie. Moslem gleich Fundamentalist - diese Gleichung existiert nur in den Köpfen jener, die Feindbilder als Orientierungshilfen in der politischen Diskussion benötigen. Wir hier in Deutschland sollten uns langsam an den Gedanken gewöhnen, daß deutsche Moslems ebenso selbstverständlicher Bestandteil der Gesellschaft sind wie deutsche Katholiken, Protestanten oder Juden. Die Religionsfreiheit unseres Grundgesetzes normiert diese Freiheit für alle gleichermaßen, nicht nur für Christen. Ebenso klar ist aber, daß religiöser Fundamentalismus, der die durch unsere Verfassung normierte Werteordnung ablehnt, keinen Einfluß in Staat und Gesellschaft gewinnen darf.

Natürlich gibt es türkische Jugendgangs, so wie es deutsche und italienische auch gibt. Aber daraus zu schließen, 600 000 türkischstämmige Jugendliche hätten sich aus der Gesellschaft verabschiedet, ist absurd. Es gibt eben auch Zigtausende türkischer Jugendlicher, die wie ihre deutschen Altersgenossen eine Berufsausbildung absolvieren. Der Anteil türkischer Schüler in den Gymnasien ist zwar immer noch unterdurchschnittlich, die Zahlen gehen jedoch seit Jahren stetig nach oben, genauso wie die Zahlen türkischer Studenten. Die Zahl türkischer Schulabsolventen hat sich seit 1980 verdreifacht. 17 000 türkische Studierende bereiten sich an deutschen Universitäten auf ihre Examina vor. 40 000 türkische Selbständige schaffen fast 200 000 Arbeitsplätze, für Deutsche wie für Türken.

Die Integration ist nicht gescheitert. Aber sie wird scheitern, wenn plötzlich alle behaupten, sie sei gescheitert. Niemand bestreitet die Existenz von Problemen. Einwanderung vollzieht sich eben nicht als ein großes multikulturelles Straßenfest.

Seit Ewigkeiten wird über die Reform des Einwanderungsgesetzes diskutiert. Was wir brauchen, ist nicht nur eine Änderung der Rechtslage, sondern auch eine Veränderung in den Köpfen. Läßt sich in den USA ein Einwanderer einbürgern, so empfinden die Menschen dies als normal. In Deutschland wird jeder Neubürger mit Mißtrauen beobachtet, es sei denn, es handelt sich um einen Torjäger.

Deutschland ist ein Einwanderungsland und braucht deshalb entsprechende gesetzliche Regelungen. Das öffentliche Getöse der vergangenen Monate um das Thema Einwanderungsgesetz griff aber zu kurz. Ein solches Gesetz soll ja nicht nur die Einwanderung steuern, sondern auch Maßnahmen zur besseren Eingliederung der künftigen Neudeutschen sicherstellen. Die Integrationsprobleme von heute sind die Versäumnisse der sechziger und siebziger Jahre.
 
aus der Diskussion: Moscheen - Inflation
Autor (Datum des Eintrages): eloy1  (30.03.02 15:50:37)
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