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P O L I T I K



Big Oil regiert

Unbeirrt vom Enron-Skandal spielt George W. Bush Monopoly in der Energiepolitik

Von Thomas Fischermann



Bob Stempel findet es seit dem 11. September deutlich schwieriger, die Umwelt zu retten. Der ehemalige Chef des Automobilriesen General Motors ist heute der Chairman einer kleinen Firma namens Energy Conversion Devices (ECD), die Brennstoffzellen für umweltfreundliche Autos der Zukunft entwickelt. Zu seinen Präsentationen über die "Wasserstoffwirtschaft" trug Stempel früher immer eine Arbeitsprobe mit sich herum, eine kleine Platte von der Größe einer CD - unscheinbar, aber voll geladen mit Wasserstoff. "Seit ich damit jetzt mehrfach am Flughafen von den Sicherheitskräften gestoppt wurde, lasse ich die zu Hause", sagt Stempel.

Richtig schlimm ist das aber nicht: Der Mann braucht nämlich nicht mehr ganz so viel Überzeugungskraft wie früher. Firmen wie ECD gelten neuerdings sogar als Vorhut im Krieg gegen den Terrorismus. Zwei Drittel der Weltölreserven lagern schließlich ausgerechnet im Nahen Osten - was die öldurstige Supermacht Amerika verletzlich macht. Um die Abhängigkeit von der politisch instabilen Region zu lockern, verkündete US-Energieminister Spencer Abraham bei der Detroiter Automesse sein neuestes Energiesparprogramm: das Freedom Car - ein Vehikel, das von Wasserstoff und Brennstoffzellen angetrieben wird und ganz ohne Benzin auskommt. Technik, wie Stempel sie mitentwickelt.

Die Sache hat allerdings zwei Haken. Erstens will die Bush-Regierung offensichtlich keinen Druck auf die Unternehmen ausüben, schneller zu forschen und zu entwickeln; dem Energiesparprogramm fehlt ein verbindlicher Zeitplan. Und zweitens glaubt nicht einmal Bob Stempel, dass Zellenfahrzeuge in den kommenden zehn Jahren in großer Zahl auf der Straße fahren werden.

"Das Freedom Car verbessert im kommenden Jahrzehnt gar nichts", beschwert sich Steven Nadel, Chef des American Council for an Energy Efficient Economy in Washington. Zumal die Regierung dafür ein anderes Programm aus der Clinton-Ära namens Partnership for a New Generation of Vehicles gestrichen hat. Das sollte herkömmliche Benzinautos sparsamer machen, sehr bald schon.

Für die amerikanischen Klimaschützer passt die Erfahrung mit dem Freedom Car bestens ins Bild. Die Bush-Regierung bekenne sich zwar in Sonntagsreden zum Energiesparen und zur sauberen Luft - aber wenn es hart auf hart komme, gebe sie den Interessen von Big Business den Vorzug. Die einflussreiche Umweltorganisation Natural Resources Defense Council (NRDC) wittert bereits einen "heimlichen Angriff der Bush-Administration" auf die amerikanischen Umweltgesetze.

Heimlich? Tatsächlich macht US-Präsident George W. Bush keinen Hehl aus seiner Geringschätzung des Umweltschutzes. So setzte er dem Kyoto-Protokoll zum Klimaschutz sein wenig hilfreiches Global Climate Change Program entgegen. Der amerikanische Treibhausgasausstoß darf danach steigen wie bisher.

Um den stromhungrigen Amerikanern mehr Elektrizität zu verschaffen, erklärte die Bush-Administration frühzeitig, dass sie im ganzen Land mindestens 1300, vielleicht aber auch 1900 neue Kraftwerke bauen lassen wolle. Mit Zuschüssen fördert die Regierung inzwischen die besonders schmutzigen Kohlekraftwerke, will womöglich im großen Stil die Atomenergie wiederbeleben und ist wild entschlossen, trotz Sicherheitsbedenken und Terrorgefahr, eine Endlagerstätte für Nuklearmüll durchzupauken. Gleichzeitig versucht die Administration, den Clean Air Act aufzuweichen, der ältere Kraftwerke bei jedem Um- oder Ausbau zu mehr Umweltschutz verpflichtet. Ende Februar trat deshalb der Aufsichtschef der Umweltbehörde EPA, Eric Schaeffer, unter Protest zurück. "Wir kämpfen hier gegen ein Weißes Haus an, das entschlossen zu sein scheint, unsere Regeln zu schwächen", erklärte er.

Zu allem Übel hat Bush junior ein altes Projekt früherer republikanischer Präsidenten neu entdeckt. Er will in einem gigantischen Naturschutzgebiet in Alaska nach Öl bohren lassen - obwohl viele Geologen und selbst einige Ölindustrielle skeptisch sind. Sie hegen nicht nur an der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens Zweifel, sondern auch an der Ergiebigkeit der Ölvorkommen. Die prominenten demokratischen Senatoren Joe Lieberman und John Kerry haben bereits erklärt, dass sie die Wildnis Alaskas bis zum Umfallen verteidigen wollen.

Tatsächlich kann die Administration in der Energie- und Klimapolitik nicht völlig frei schalten und walten. In diesen Wochen beginnen im Senat die Anhörungen über die neuen Energiegesetze - und dort haben die oppositionellen Demokraten die Mehrheit und nicht George Bushs Republikaner. Der Energieökonom Ashok Gupta von NRDC glaubt deshalb, "dass es in diesem Jahr kaum noch zu einer Einigung kommt". Ein Grund: Im Herbst stehen alle Abgeordneten und ein Drittel der Senatoren zur Wahl - und die wissen, dass sich die Mehrheit der Amerikaner gegen das Bohren in Alaska, für den Klimaschutz und gegen die Luftverschmutzung durch Kraftwerke ausspricht.

Vieles geht freilich auch ohne neue Gesetze: Umweltschützer erinnern sich mit Grausen an das Memo, das der frisch gebackene Präsident wenige Wochen nach seinem Amtsantritt an alle Amtsleiter verschickte. In ihm stand, dass noch nicht abgesegnete Amtsvorschriften zugunsten von Natur und Umwelt gestoppt und erneut geprüft werden sollten. John Graham, einflussreicher Direktor in Bushs Office of Management and Budget, wurde danach zum Erzfeind aller Klimaschützer: Der ehemalige Mitarbeiter einer industrienahen Denkfabrik maßregele die Behörden, arbeite eng mit Wirtschaftslobbyisten zusammen und stelle - ganz in ihrem Sinne - eine "Hitliste" vermeintlich unnötiger Ökorichtlinien auf, lautete der Vorwurf. Kurz und knapp: Bush kungele mit der Industrie gegen den Umweltschutz.

Dieser Verdacht der Ökofraktion erhielt kräftig Nahrung, als der texanische Energiegigant Enron zum Jahreswechsel Pleite machte und intimste Verbindungen zwischen der von einer ganzen Reihe ehemaliger Ölmanager durchsetzten Administration und einigen texanischen Ölfirmen offenbar wurden. Tatsächlich stellte sich heraus, dass der Präsident und seine Minister Enron-Chef Ken Lay wiederholt ein offenes Ohr geschenkt hatten, als es um die Neuformulierung der Energiepolitik ging; die Verbindungen zwischen Regierung und Autolobby gelten als ähnlich eng.

Skandale hin oder her: Geändert hat Bush seine Energiepolitik bisher nicht. Dabei rechnen Klimaschützer schon seit Jahren vor, dass die US-Wirtschaft nur einen Bruchteil ihrer Kohle, ihres Öls und ihres elektrischen Stroms verbrauchen würde, wenn sie damit ähnlich sparsam umginge wie andere Industrienationen. Dass sie intelligenter mit Energie umgehen können, wenn sie nur wollen, haben die Amerikaner längst bewiesen: Nach dem Ölschock von 1979 wie auch nach den Blackouts in Kalifornien gelangen ihnen blitzartig spektakuläre Sparerfolge. So wuchs nach Berechnungen des Rocky Mountain Institute das amerikanische Bruttoinlandsprodukt von 1979 bis 1985 um 16 Prozent, während der Ölverbrauch um 15 Prozent fiel.

Ausgeschöpft sind die Möglichkeiten zum Energiesparen damit bei weitem nicht. US-Kraftwerke arbeiten im internationalen Vergleich mit lausigen Wirkungsgraden, amerikanische Waschmaschinen sind besonders ineffizient, fantasielose Stadtplanung sorgt für lange Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden müssen. Gleichwohl ist es politisch schwer, das zu ändern: Höhere Steuern auf Energie zum Beispiel gelten als unpopulär und schlicht nicht durchsetzbar. Bei einer Klimadebatte im Senat Mitte März stellte ein Redner die rhetorische Frage, ob die Amerikaner denn künftig "mit Golfwägelchen durch die Gegend kutschieren sollten".

So kämpfen Advokaten des Klimaschutzes wie die Union of Concerned Scientists (UCS) einen manchmal aussichtslos erscheinenden Kampf. Immerhin argumentieren neuerdings auch sie mit der Terrorismusgefahr. Ihrem jüngsten Appell zum Energiesparen hat die UCS geschickt das Motto "Öl-Sicherheits-Maßnahmen" verpasst: "Im Jahr 2012 könnten wir fast zwei Millionen Barrel pro Tag sparen - dreimal so viel, wie wir im vergangenen Jahr aus dem Irak importiert haben."
 
aus der Diskussion: US-Wahl: Die Dumpfbacken haben gewonnen
Autor (Datum des Eintrages): elmarion  (12.04.02 11:25:03)
Beitrag: 95 von 176 (ID:6097797)
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