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Der Text zur gestrigen Sendung ist nun da:


Manipulierte Kriminalstatistiken: Lug und Trug im Polizeirevier
Bericht: Gregor Popp, Georg RestleSonia Mikich:

Nächstes Thema: Steigende Kriminalitätsraten.

Das war das Wahlkampfthema im Nachbarland Frankreich. Und der Rechtsradikale Le Pen punktete sich bei den Präsidentschaftswahlen gewaltig nach oben, als er die Ängste vieler Franzosen für sich mobilisieren konnte. Steigende Kriminalitätsraten - auch hierzulande für Populisten wie Ronald Schill scharfe Wahlkampfmunition. Anfang Mai wird Bundesinnenminister Schily wie jedes Jahr die polizeiliche Kriminalstatistik veröffentlichen. Einen realistischen Überblick der Entwicklung soll sie bieten. Doch MONITOR-Recherchen belegen: Bei den Daten wird zum Teil heftig getrickst. Gregor Popp und Georg Restle fanden heraus, wie es zur wundersamen Verbrechens-Vermehrung kommt.

Polizeilicher Zugriff im Fernsehkrimi. Tatortkommissare im Einsatz. 90 Minuten dauern die TV-Ermittlungen regelmäßig, das Ergebnis steht von Anfang an fest: Einen Täter gibt es immer in der Fernsehwelt der Kriminalpolizei. Die Realität sieht anders aus. Im Polizeipräsidium von Leverkusen gibt es oft nicht einmal einen Tatverdächtigen. Und um Mord und Totschlag geht es ohnehin eher selten, Bagatelldelikte wie Diebstahl oder Betrug prägen hier den Polizeialltag. Über die Ermittlungsergebnisse wird detailliert Protokoll geführt, in sogenannten Statistik-Bögen. Diese Daten wandern dann in die bundesweite Polizeiliche Kriminalstatistik. Nächsten Monat wird Innenminister Schily die Statistik für 2001 veröffentlichen. Die Schlagzeilen stehen jetzt schon fest: Von steigender Kriminalität wird dann wieder die Rede sein - und mehr Gewalt, weniger jedoch davon, dass diese Statistik erhebliche Schwächen hat.

Dr. Peter Wetzels, Krim. Forschungsinstitut Niedersachsen: "Was die polizeiliche Kriminalstatistik generell anbelangt, ist sie kein adäquates Abbild des Kriminalitätsgeschehens, so wie unsere Bürger gerne erfahren würden, wie entwickelt sich die Kriminalität unserer Gesellschaft. Sie ist in erster Linie ein Instrument des Arbeitsnachweises der Polizei und als solcher dann auch fehleranfällig im Sinne dessen, dass die Polizei natürlich auch mit bestimmten Motiven ihren Arbeitsnachweis führen kann."Welche Motive sind das und wie zuverlässig sind die Statistiken tatsächlich? Wir treffen uns mit einem leitenden Polizeibeamten in Süddeutschland, der unerkannt bleiben will, weil er mit uns darüber reden will, auf welch` merkwürdige Weise es in seinem Polizeirevier zum Beispiel immer wieder zu einem rasanten Anstieg der Ausländerkriminalität kommt.

Stimme nachgesprochen: "Also ich beobachte, dass Fallzahlen künstlich nach oben getrieben werden und sinnlose Ermittlungen durchgeführt werden, deren einziger Sinn es ist, die Statistik nach oben zu treiben, das heißt also, mehr Statistikstriche zu machen. Das geschieht zum Beispiel damit, dass die Kollegen Plätze aufsuchen, auf denen sich Ausländer illegal aufhalten, die sie kontrollieren und der einzige Sinn ist es eben, die Fallzahlen nach oben zu treiben - und nicht um Kriminalität zu bekämpfen." Straftaten um der Statistik willen. Man mag es kaum glauben, und doch scheinen solche Praktiken in Polizeirevieren alles andere als eine Seltenheit zu sein.

Prof. Michael Walter, Krim. Forschungsinstitut Köln: "Die Möglichkeit der Manipulation ist im System der polizeilichen Kriminalstatistik selbst angelegt. Die polizeiliche Kriminalstatistik dient als Arbeitsnachweis für die einzelnen Beamten und von daher besteht natürlich die Versuchung, die Möglichkeiten zu nutzen, die hier bestehen, um das Fallaufkommen zu erhöhen, damit auch die Mittelverteilung sich günstig gestaltet."Das Fallaufkommen erhöhen. Dazu ist einzelnen Beamten offenbar jedes Mittel recht. Wir treffen uns mit einem weiteren Kriminalbeamten in der Nähe von Berlin. Auch er möchte nicht erkannt werden, weil er Angst vor Repressalien hat. Er beschreibt uns detailliert, wie aus einem einzigen Einbruchsdiebstahl - statistisch - gleich eine ganze Diebstahlserie wird.

Stimme nachgesprochen: "Mit den Statistikbögen kann sehr leicht manipuliert werden. Gerade wenn es darum geht, Fallzahlen künstlich nach oben zu drehen. Konkret sähe das so aus, dass in dem Feld für die Anzahl der gleichartigen Fälle ganz einfach höhere Zahlen eingetragen werden, als wie sie tatsächlich sind. Es wird ja auch nicht kontrolliert. Es werden keine Nachfragen zu diesen weiteren Fällen von übergeordneter Institution gehalten, so dass das so in die polizeiliche Kriminalitäts-Statistik übergeht." So einfach geht das: Aus einem einzelnen Kreditbetrug wird durch einen Eintrag im Feld für gleichartige Fälle gleich ein ganzes Dutzend. Und die Aufklärungsquote steigt gleich mit - obwohl es für diese Fälle nicht einmal Tatverdächtige gibt. Reporter: "Warum wird das in ihren Augen so gemacht" Stimme nachgesprochen: "Ja, ein großer Anreiz gerade für kleinere Dienststellen auf dem freien Land ist natürlich, dass sie auch ihre Daseinsberechtigung begründen müssen und die begründe ich eigentlich nur dadurch, dass ich auch in meinem Bereich Kriminalität habe und je mehr Kriminalität ich habe um so mehr Beamte bekomme ich; um so mehr Autos bekomme ich, und um so mehr Ausstattung und Mittel habe ich zur Verfügung."

Nach MONITOR-Recherchen gibt es solche Manipulationen bundesweit. Bei Europol, der europäischen Polizeibehörde in Den Haag, kennt man diese Praktiken und kritisiert die deutsche Kriminalstatistik auch deshalb als überholt und reformbedürftig.

Willy Bruggemann, Europol: "Man müsste die Polizeistatistik mit anderen Daten von staatlichen und privaten Stellen abgleichen, das würde helfen. In anderen Ländern werden zum Beispiel die Daten über gestohlene Autos regelmäßig mit den Daten der Kfz-Meldestellen und der Versicherungen abgeglichen. Das hilft die Qualität der Kriminalstatistik erheblich zu verbessern.

"Reporter: "Würde das auch die Möglichkeit für Manipulationen verringern?"

Willy Bruggemann, Europol: "Ja, es würde nicht nur das Risiko von Manipulationen verringern, sondern auch dabei helfen, Fehler ausschließen."

Auch Innenminister Schily wollte die Kriminalstatistik schon lange reformieren. Zum Beispiel mit Hilfe einer so genannten Verlaufsstatistik, aus der hervorgehen soll, ob ein Tatverdächtiger später auch verurteilt oder freigesprochen wurde. Doch geschehen ist bisher praktisch nichts. Wohl auch deshalb gibt man sich im Innenministerium wortkarg. Eine Antwort auf die Frage, wie weit diese Reform bisher gediehen sei, wurde uns schlichtweg verweigert. Wie viele Polizeireviere in Deutschland sich an Manipulationen beteiligen, weiß niemand. Nur soviel: Die offiziellen Statistiken sind in Zukunft mit noch größerer Vorsicht zu genießen.

Links zum Thema:
Polizeiliche Kriminalstatistik 2001: www.polizei.nrw.de/duesseldorf/aktuell/KriSta2002.pdf
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen: www.kfn.de/
Kriminologische Forschungsstelle Köln: www.uni-koeln.de/jur-fak/krimfor/
Otto Schily, Bundesinnenminister: www.bayernspd.de/schily/
 
aus der Diskussion: Meine Meinung: Stimmungsmache statt Journalismus bei Monitor
Autor (Datum des Eintrages): menacher  (26.04.02 22:22:54)
Beitrag: 53 von 56 (ID:6267749)
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