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PLEITEN

Aktion Reißwolf

Bei fast allen Wirtschaftsskandalen der vergangenen Jahre spielten Wirtschaftsprüfer eine unselige Rolle. Im Fall Enron haben sie sogar wichtige Akten vernichtet.

Am 12. Oktober vergangenen Jahres erhielt Michael Odom, bei Arthur Andersen der verantwortliche Mann für das Büro der Wirtschaftsprüfer in Houston, eine dringende E-Mail aus der Rechtsabteilung: "Mike, es könnte sinnvoll sein, darüber nachzudenken, das Team an unsere Dokumentations- und Aufbewahrungsrichtlinien zu erinnern."

Für Odom und seine Kollegen, die gerade über den Zahlen des texanischen Energiekonzerns Enron für das dritte Quartal saßen, war damit der Notfall eingetreten. Was sich für Außenstehende wie eine Ermahnung liest, ihren Prüfauftrag besonders gewissenhaft zu erledigen, verstanden sie als Alarmruf. Das firmeninterne "policy statement", das der E-Mail per Link beilag, legt fest, welche Unterlagen die Wirtschaftsprüfer in einer Zentralakte abzulegen haben und welche Papiere zu beseitigen seien: "Alle Arbeitspapiere und vorläufigen Versionen werden umgehend zerstört."

So begann, wenige Tage bevor die Firmenleitung von Enron die Börse mit einem Quartalsverlust schockierte, bei der Andersen-Filiale eine wohl einmalige Vernichtungsaktion. Hunderte Dokumente wurden geschreddert, Festplatten von Computern und Memos auf Diktiergeräten gelöscht - bis am 9. November eine weitere E-Mail ("Stop the shredding") die Säuberung beendete.

Die Aktion Reißwolf markiert den bisherigen Höhepunkt in einem Wirtschaftsskandal, der die Schlagzeilen der amerikanischen Medien beherrscht. Alles an dem Fall des Energieriesen Enron, der sich Anfang Dezember überraschend zahlungsunfähig erklären musste, sprengt den Rahmen des Üblichen: die Summe des vernichteten Anlegervermögens (70 Milliarden Dollar), die Höhe der Parteispenden (6 Millionen), die Gier des Managements, das rechtzeitig vor dem Konkurs 1,2 Milliarden Dollar an Prämien und Erlösen aus Aktienverkäufen auf die eigenen Konten schaufelte.

Vier Untersuchungsausschüsse hat allein der US-Kongress eingesetzt, um zu klären, wie ein Konzern, der vor kurzem noch zu den wertvollsten des Landes gehörte, sich binnen Wochen buchstäblich in nichts auflösen konnte. Börsenaufsicht und Justizministerium ermitteln ebenfalls, und je tiefer sie graben, desto mehr richtet sich ihr Interesse auf die Wirtschaftsprüfer, die das Energiehandelsunternehmen seit 1983 betreuten. Aus dem Fall Enron ist auch ein Fall Arthur Andersen geworden.

Denn der Schlüssel zum Aufstieg des ehemaligen Gas-Transporteurs zu einem umjubelten Branchenstar waren die scheinbar blendenden Ertragszahlen, die das Management in schöner Regelmäßigkeit verkündete. Inzwischen weiß man, dass sie nur möglich waren, weil Enron anfallende Milliardenverluste in eigens gegründeten Partnerfirmen versteckte. Und es waren eben die Prüfer von Arthur Andersen, die Quartal für Quartal die Richtigkeit der Erfolgsmeldungen testierten.

Noch ist nicht ganz klar, inwieweit Andersen von den Enron-Vorständen selber über die wahre Finanzlage getäuscht wurde - was Andersen-Chef Joseph Berardino nun behauptet. Oder ob die Wirtschaftsprüfer mit ihren Bilanztestaten Gefälligkeitsdienste leisteten - worauf die Aktenvernichtung hinweist. In jedem Fall ist das Versagen einer der größten Wirtschaftsprüfungsfirmen der Welt eine Riesenblamage für die gesamte Branche.

Beherrscht wird das Geschäft mit dem Prüfen und Testieren von Bilanzen von fünf Konzernen mit einem Gesamtumsatz von rund 65 Milliarden Dollar. Auf deren Seriosität und Unbestechlichkeit, auf die Richtigkeit ihrer Stempel und Unterschriften in den Geschäftsberichten verlassen sich weltweit Banken, wenn sie Kredite vergeben, und Anleger, wenn sie Aktien kaufen.

Bei nahezu allen großen Wirtschaftsskandalen der jüngeren Zeit spielten die Prüfer eine unselige Rolle, auch in Deutschland. Ob die Bankgesellschaft Berlin plötzlich nur noch mit Milliardenhilfen des Landes vor der Pleite zu retten war, beim Baukonzern Philipp Holzmann nahezu über Nacht ein Verlust von 1,3 Milliarden Euro auftauchte, bei der Hypo-Bank die Immobilien 1,8 Milliarden Euro zu hoch bewertet waren oder die Firmen FlowTex und Balsam ihren Umsatz durch Scheingeschäfte und Luftbuchungen in grandiose Höhen trieben - "regelmäßig merkten die Prüfer nichts und testierten alles" ("Manager Magazin").

Dabei riefen Wirtschaftpolitiker den Berufsstand einst ins Leben, um betrügerische Pleiten zu verhindern. Nachdem in der Weltwirtschaftskrise Tausende von Banken und Firmen Bankrott gegangen waren, sollten in den USA wie in Deutschland Wirtschaftsprüfer künftig für mehr Transparenz und Kontrolle sorgen. Aktiengesellschaften müssen ihre Bilanzen seitdem von einem unabhängigen Experten bestätigen lassen.

Die Prüfer werden noch heute gern als "Häkchenmacher" bezeichnet, als würden sie wie einst in einem ruhigen Kämmerchen mit ihrem Bleistift endlose Zahlenkolonnen kontrollieren und abzeichnen. Tatsächlich ist Wirtschaftsprüfung längst ein hartes Geschäft, in dem ein scharfer Verdrängungskampf herrscht. Längst auch haben sich die Prüfungsfirmen in Unternehmensberatungskonzerne verwandelt. Sie bereiten Fusionen vor, helfen bei Steuerfragen oder der Installation neuer Finanz-Software.

So erhöhen sie ihren Umsatz, aber auch die wirtschaftliche Abhängigkeit von jenen Kunden, deren Bilanzen sie kritisch prüfen sollen. Wer bei der Buchprüfung durch hartnäckige Nachfragen nervt oder sogar wegen anhaltender Differenzen das Testat einschränkt, riskiert unweigerlich, einen guten Klienten zu verlieren.

Welche Dimensionen diese Zusatzaufträge mitunter annehmen, zeigt der Fall Enron. Rund 25 Millionen Dollar kassierte Andersen im vergangenen Jahr an Gebühren für die Bilanzprüfung, 27 Millionen Dollar dagegen für so genannte andere Leistungen.

Die Prüfer stehen zudem unter wachsendem Zeitdruck. Anleger und Analysten fordern von den Konzernen, ihre Bilanzen möglichst schnell vorzulegen, nicht mehr im April oder Mai des folgenden Jahres, sondern möglichst noch im Februar. Für intensive Nachfragen bleibt oft wenig Zeit.

In Deutschland hatte es bislang kaum Konsequenzen, wenn die Kontrolleure Tricks und Täuschungsmanöver im Zahlenwerk übersahen. Das Gesetz schränkt den möglichen Schadensersatz auf knapp vier Millionen Euro ein. Anspruchsberechtigt sind zudem nur die geprüften Unternehmen selbst. Aktionäre und Gläubiger können allenfalls auf eine außergerichtliche Einigung hoffen wie beispielsweise bei der Pleite von FlowTex.

Dessen Wirtschaftsprüfer von der KPMG hatten jahrelang nicht mitbekommen, dass diese Firma mit Bohranlagen, die nur auf dem Papier existierten, Banken, Leasinggesellschaften und Anleger um rund zwei Milliarden Euro geprellt hatte. In einem außergerichtlichen Vergleich verpflichtete sich KPMG, 51 Millionen Euro zu zahlen. Doch dies ist hier zu Lande noch die Ausnahme.

Kritiker fordern bereits seit langem, Wirtschaftsprüfer sollten bei Fehlern und Versäumnissen zu höheren Schadensersatzzahlungen verurteilt werden. Zudem sollte eine Aufsichtsbehörde die Prüfer überprüfen. Bislang kontrollieren sich die Firmen nur gegenseitig. Dabei wird auch nicht die Richtigkeit eines Bilanztestats gecheckt. Die Kollegen fragen nur nach den Prüfstandards und -methoden.

Als geradezu vorbildlich galten dagegen bislang die Regeln in den USA. Dort drohen Wirtschaftsprüfern Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe. Zudem unterliegen sie der Kontrolle durch die Börsenaufsicht SEC. Der Fall Enron zeigt nun allerdings, dass auch in den USA Handlungsbedarf besteht. Die SEC schreitet erst ein, wenn ein konkreter Verdacht vorliegt. Und dann ist es meist zu spät.

An Vorschlägen, wie die Qualität der Bilanzprüfungen verbessert werden könnte, besteht kein Mangel. Prüfmandate könnten auf vier bis fünf Jahre beschränkt werden. Die Börsenaufsicht müsste personell so aufgerüstet werden, dass sie die Arbeit der Wirtschaftsprüfer routinemäßig überwachen kann. Zudem könnte man die Prüfkonzerne zwingen, ihr Beratungsgeschäft aufzugeben, um eine Interessenkollision zu vermeiden. Selbst Andersen-Vorstand Berardino mahnt nun "strengere Regeln und Strafen" an.

Vor Gericht sind bereits eine Reihe von Sammelklagen geprellter Anleger gegen Arthur Andersen anhängig. Dass die Prüfer nun allerdings selbst in finanzielle Bedrängnis geraten, wie eine Reihe von Wall-Street-Analysten spekuliert, ist fraglich. Schon zweimal hat Arthur Andersen im vergangenen Jahr Unternehmen eine ordentliche Bilanz bescheinigt, die kurz darauf Konkurs anmelden mussten. Jedes Mal erklärte sich Andersen in einem Vergleich zur Zahlung einer Millionenstrafe bereit, ohne dass dies nennenswerte Auswirkungen auf Umsatz und Aufträge gehabt hätte.

Ein Wirtschaftsprüfer der Konkurrenz spottete im Nachrichtenmagazin "Time": "Ein Vergleich in einem Betrugsfall scheint doch eher eine Empfehlung für Kunden zu sein, die bei der Bilanzkontrolle Nachsichtigkeit erwarten."
 
aus der Diskussion: DER KPMG SKANDAL + + + FAKTENSAMMLUNG + + +
Autor (Datum des Eintrages): THECANADIEN  (29.04.02 20:18:01)
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