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"Wir sind keine Rambos"

Tarnen, weichklopfen und ermitteln: Die führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Deutschland bauen derzeit Anti-Korruptionsabteilungen auf. Der Aufklärungsbedarf bei Wirtschaftskriminalität ist groß - und für Berufseinsteiger karrieretauglich.

Von Daniel Hagmann

Die Tür fliegt auf, zwei Männer in grauen Anzügen stürmen auf den Geschäftsführer zu, der nicht die Spur einer Ahnung hat, was jetzt auf ihn losbricht: "Guten Tag, wir sind von Ernst&Young. Der Holdingvorstand hat uns mit einer Sonderprüfung beauftragt, für die Ihre Anwesenheit nicht erforderlich ist. Sie sind beurlaubt, bitte packen Sie Ihre Sachen." So redet sonst keiner mit dem Chef. Teamleiter Frank Marzluf und sein Assistent Dirk Verwohlt strecken dem verdutzten 55-Jährigen ihre Visitenkarten entgegen: "Forensic Services". Der Herr hinter dem Schreibtisch versteht nur Bahnhof.

Die Überraschung weicht schnell dem Ärger, und die Luft reicht nun wieder, um ordentlich Wind zu machen. Doch berühren seine Beschimpfungen die Männer von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nur wie ein laues Sommerlüftchen. Sie sind die Stärkeren. Im Auftrag der ausländischen Holding sollen sie prüfen, ob der Geschäftsführer der deutschen Niederlassung bei seinen Spesenabrechnungen im großen Stil betrogen hat. Projekt "Spencer" hat begonnen.

Marzluf und Verwohlt sind weder Polizisten noch Staatsanwälte. Sie arbeiten bei Ernst&Young Forensic Services und decken Wirtschaftsdelikte in Unternehmen auf. Gegründet im Frühjahr 1999 mit zwei Personen, sind es mittlerweile 23, und am Jahresende sollen es "mindestens 30" sein, hofft der zuständige Partner Klaus Fischer. Doch nicht nur Ernst&Young hat das Potenzial entdeckt. Alle großen Prüfungshäuser bauen derzeit Spezialabteilungen mit geheimnisvollen Namen auf: Integrity Services bei KPMG, Dispute Analysis & Investigations bei PricewaterhouseCoopers, Business Fraud & Investigation Services bei Arthur Andersen und Dispute Consulting & Forensic Services bei Deloitte&Touche.

150 Mrd. Euro Schaden

Der Bedarf an Aufklärung ist groß: Fast jedes zweite Unternehmen ist von Wirtschaftskriminalität betroffen, und drei Viertel der Firmen sieht sich in Gefahr, ergab eine PwC-Studie. Den Schaden für die Wirtschaft schätzt Investigation-Chef Thomas Spemann von Arthur Andersen auf "mindestens zehn Milliarden Euro plus eine Dunkelziffer von zehn bis 30 Milliarden Euro".

Horrendere Summen setzt "Business Crime Control" an. Die gemeinnützige Organisation, die nach eigenen Angaben über Wirtschaftsverbrechen sowie deren Sozialschädlichkeit und Demokratiefeindlichkeit aufklärt, rechnet mit 150 Milliarden Euro. Ihr Vorsitzender, Professor Hans See, erklärt die Unterschiede dadurch, dass die Prüfer "nur die Kriminalität der Mitarbeiter gegen ein Unternehmen bekämpfen, nicht aber die Kriminalität der Unternehmen selbst". Er meint damit die Delikte, die der Gewinnsteigerung der Betriebe dienen. Dagegen verfolgen die Auftragsermittler nur Straftaten, die von den Unternehmen zur Überprüfung freigeben sind. See: "Kein Manager mit schmutzigen Händen lässt die Spürnasen freiwillig in seine Chefetage." Außerdem sieht er "starke Tendenzen zur Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols", weil die Unternehmen selbst entscheiden, ob sie die gegen sie gerichteten Verbrechen der Polizei melden.

Beauftragte Verschwiegenheit

Meist kommen die Täter aus dem Unternehmen, sind langjährige Mitarbeiter und sitzen sogar in der Führungsetage. Sie wissen, wo die Schlupflöcher sind. Prominente Wirtschaftsskandale sind die Luftbuchungen bei Flowtex, die Betrügereien beim Sportbodenhersteller Balsam, der Immobiliensumpf der Berliner Bankgesellschaft und das Gaunerstück des Baulöwen Schneider. Ernst&Young fand in einer Studie heraus, dass hierzulande "in 17 Prozent der Fälle der Geschäftsführer der Täter war - im Vergleich zu nur 5 Prozent international". Der Grund: mangelhafte Kontrollen.

Auch "Spencer" ist so ein Fall. Der Chef von 1.500 Mitarbeitern fühlte sich zu sicher: Familienmitglieder flogen auf Geschäftskosten nach Australien, Gartenmöbel wurden als Büroausstattung über Firmenkonten bezahlt, Mitarbeiterschulungen veranstaltete seine Freundin an exklusiven Orten und mit hohen Tagessätzen. Die Buchhaltung bemerkte das Absahnen, konnte aber selbst nicht hinter dem Rücken des Chefs ermitteln. Die Holding wollte Gewissheit und beauftragte die externen Fachleute. Sie durchschauen das Bilanzierungsdickicht und garantieren Verschwiegenheit.

Beweissicherung erhält oberste Priorität. Der Geschäftsführer bleibt keinen Augenblick mehr unbeobachtet, bis er das Firmengebäude verlassen hat. 20 Ordner mit potenziellem Belastungsmaterial werden gesammelt. In Metallkisten mit dicken Schlössern. Abgestellt in einem Konferenzraum, dessen Türschlösser ausgewechselt wurden. Hier kommen nur zwei rein: Marzluf und Verwohlt.

Drei Wochen lang durchforsten sie Belege, Verträge und sonstigen Schriftverkehr. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung. Doch hunderte von Plausibilitätsprüfungen ergeben weitere Unregelmäßigkeiten: Am selben Tag in Hamburg das Firmen-Cabrio volltanken und gleichzeitig in München zum Geschäftsessen - das stinkt. Mitarbeiter werden befragt. "Die waren alle sehr kooperativ", sagt Verwohlt, "schließlich hatten die nichts zu verbergen und wollten ihren Arbeitsplatz retten". Ansonsten gilt: Wer mauert, wird weichgeklopft. "Wir sind keine Rambos, aber wir treten den Leuten so lange auf die Füße, bis wir Klarheit und gerichtsverwertbare Informationen haben", meint Chefforensiker Fischer hemdsärmelig.

Der weiße Elefant

Auch Assistent Verwohlt haut manchmal mit der Faust auf den Tisch - wenn er weiß, dass er gerade angelogen wird. Interne Schulungen lehrten ihm das Wadenbeißen in Interviews, aber auch, wo seine Grenzen beim Ermitteln liegen. Polizeiliche Hoheitsrechte hat er keine. Er darf niemanden festnehmen, darf nicht mit Kündigung drohen. Seine Waffen sind Neugier und Jagdinstinkt. Eigenschaften, die den 29 Jahre alten Diplom-Kaufmann ins Team brachten. Das ist interdisziplinär zusammengesetzt: Betriebs- und Volkswirte, Wirtschaftsprüfer, Politologen, Juristen, Gesundheits- und Immobilienexperten, Physiker, Informatiker und ehemalige Kriminalbeamte.

Bei PwC ist der Senior Manager der Investigations-Abteilung, Steffen Salvenmoser, sogar ehemaliger Staatsanwalt. "Der weiße Elefant ist momentan der Kriminologe mit BWL-Wissen", umschreibt der Leiter von Integrity Services KMPG, Dieter John, seine Rekrutierungswünsche. Gesucht sind bei den Kölnern aber auch Bau-Ingenieure, Umweltfachleute sowie Betriebswirte mit Schwerpunkt Controlling und Rechnungswesen.

Der Kampf um die Marktführung ist inzwischen voll entbrannt: KPMG beschäftigt 45 Sonderermittler, PwC 30, Arthur Andersen 25, Ernst&Young 23 und Deloitte&Touche 6. Ausbauen wollen sie ihren Personalbestand alle, hinken die deutschen Niederlassungen doch durchweg auf diesem Gebiet hinterher. PwC London kümmert sich schon seit 15 Jahren um die Aufdeckung von Wirtschaftsdelikten in Unternehmen, KPMG schickt allein in den USA 350 Mitarbeiter in den lohnenden Markt.

Gut für die Karriere

"Für die eigene Karriere ist es besser, in einem Bereich zu arbeiten, der dicke schwarze Zahlen schreibt", meint der prädikatsexaminierte Verwohlt. Schnell merkte er, dass die Geldwäsche der anderen auch für den eigenen Aufstieg taugt. Nach seinem Projekt als studentischer Unternehmensberater bei der Deutschen Bank in Frankfurt stieg er bei Ernst&Young im Sommer 2000 in das Investment Banking ein. Als er von den Forensikern für einen Fall angefordert wurde, konnte er überzeugen und kurz darauf ganz in die Ermittlungsabteilung wechseln. Gleich am ersten Tag schob ihm sein Chef einen zweiten Stapel Visitenkarten über den Schreibtisch - wegen der Legendenbildung. Einmal ist er Dirk Verwohlt, der Assistant Forensic Services, einmal Dirk Verwohlt, der Diplom-Kaufmann. Denn manchmal müssen sich die Teams als harmlose Wirtschaftsprüfer tarnen.

Für das Projekt "Spencer" recherchieren zwei Prüfer. Nach vier Wochen liegt der Abschlussbericht vor. 30 Seiten plus 80 Seiten Anhang. Haarklein weisen sie darin manipulierte Spesenabrechnungen von über 250.000 Euro nach. Überraschend kommt zu Tage: Der Chef schloss auch millionenschwere Scheinverträge mit Freunden und Bekannten. Die Forensiker haben gute Arbeit geleistet - die sie sich gut bezahlen lassen. Tagessätze zwischen 1.200 und 3.500 Euro pro Person sind bei den großen Häusern üblich. Die Dauer der Projekte variierte bislang zwischen drei Tagen und anderthalb Jahren.

"Unternehmen geben heute eher zu, dass sie übers Ohr gehauen wurden, und sie wollen sich das nicht gefallen lassen", ist PwC-Chefermittler Salvenmoser überzeugt. So wollen sie Vorwürfe entkräften, ihre Kontrollpflicht vernachlässigt zu haben, und das Vertrauen von Banken, Kunden und Lieferanten stärken. Denn wen erst einmal der Hauch des Unseriösen umgibt, der steht schnell vor dem Aus.

Die Prüfungsgesellschaften profitieren in jedem Fall. Sie waren zuletzt selbst in Skandale wie Enron verwickelt und können nun Imagepflege betreiben. Außerdem erwarten sie beim Geschäft mit den Anti-Korruptionsabteilungen einen Boom. "Wachstumspotenziale bis zu 300 Prozent" veranschlagt Volker Barth von Deloitte&Touche für die nächsten drei Jahre. Zudem offenbaren die Betrügereien meist Sicherheitslücken, so dass sich häufig Beratungsaufträge anschließen. Allerdings bleibe es - gemessen an den Umsätzen der Wirtschafts- und Steuerprüfung - "ein Boutiquengeschäft", ist Fischer von Ernst&Young überzeugt.

Fristlose Kündigung

Dennoch wäre es trügerisch, den Wunsch der Geschädigten nach Transparenz mit dem Gang in die Öffentlichkeit gleichzusetzen. Zuallererst geht es um interne Aufklärung und Prävention: Kontrollen sollen verbessert, Mitarbeiter sensibilisiert, Leitlinien zur Unternehmensethik entwickelt werden. Viele Firmen wünschen keine Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft, weil sie negative Publicity und lange Prozesse befürchten, und weil viele nicht damit rechnen, den Schaden jemals ersetzt zu bekommen.

Allerdings werden in 90 Prozent der Fälle die Betrüger vor die Tür gesetzt. So auch im Fall "Spencer": Fristlose Kündigung für den 55-jährigen Geschäftsführer und zivilrechtliches Vorgehen auf Schadenersatz vor Gericht. Das Verfahren läuft noch.
 
aus der Diskussion: DER KPMG SKANDAL + + + FAKTENSAMMLUNG + + +
Autor (Datum des Eintrages): THECANADIEN  (29.04.02 20:32:42)
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