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Neuer Markt wird zum Tummelplatz für Verbrecher
Von Oliver Wihofszki

Die unablässige Reihe von Skandalen am Neuen Markt bringt Wirtschaftsprüfer, Bankanalysten, die
Deutsche Börse und sogar den Gesetzgeber in Erklärungsnot. Es stellt sich die Frage, was getan wird,
um solche Skandale in Zukunft zu verhindern.

Klaus Pollmann sah das Gewitter schon am Freitag aufziehen. "Als Ceyoniq Insolvenzantrag stellte, war mir klar: Da
kommt noch was." Am Montag bestätigten sich die Vermutungen des Oberstaatsanwalts aus Bielefeld. Aus dem Fax
schob sich eine Anzeige gegen die beiden Ceyoniq-Vorstände. Der Vorwurf: Betrug.

Bereits am Nachmittag kamen die beschuldigten Manager bei Pollmann vorbei und stellten sich freiwillig. Seither
sitzen Jürgen Brintrup und Thomas Wenzke hinter schwedischen Gardinen. Sie sollen Bilanzen manipuliert haben,
um bei Banken Kredite zu erschleichen. Wenzke hat bereits gestanden. Den beiden droht eine mehrjährige
Freiheitsstrafe. Der Traum vom Software-Millionär endet wohl hinter Gittern.

Die Betrügereien bei Ceyoniq sind leider kein Einzelfall am skandalträchtigen Neuen Markt. Auch die Unternehmen
Comroad und Phenomedia stehen unter dem dringenden Verdacht, bei ihrer Buchführung allzu kreativ vorgegangen
zu sein. Der frühere Comroad-Chef Bodo Schnabel sitzt deshalb bereits seit Ende März im Knast. Er soll fast den
kompletten Umsatz für 2001 in Höhe von 93,6 Mio. Euro mit Luftbuchungen über eine nicht existierende Firma in
Hongkong vorgetäuscht haben.

Beim Spielehersteller Phenomedia, der einst die deutschen Büros mit dem legendären Baller-Spiel "Moorhuhn"
eroberte, wurden Vorstandschef Markus Scheer und Finanzchef Björn Denhard vom Aufsichtsrat fristlos entlassen.
Grund: frisierte Bilanzen. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und die Pleite des Unternehmens sind ausgesprochen
wahrscheinlich.

Kontroll-Mechanismen versagen

Die Skandale am Neuen Markt bringen Wirtschaftsprüfer, Bankanalysten, die Deutsche Börse und sogar den
Gesetzgeber in Bedrängnis. Warum wurden die Bilanzschwindeleien nicht entdeckt? Warum wird noch immer nichts
getan, um solche Skandale in Zukunft zu verhindern?

Die Versäumnisse der Kontrollbehörden bezahlen Aktionäre und seriöse Firmen am Neuen Markt mit barer Münze:
Der Ruf ist ruiniert, Investoren scheuen das Segment, die Kurse sinken, Geld geht verloren. "Es ist schade, aber der
Neue Markt ist zu einem Tummelplatz für Verbrecher und Betrüger geworden", meint ein resignierter Händler.

Klaus Schneider von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) befürchtet schlimme Folgen, wenn nicht bald
etwas passiert: "Die Betrügereien sind nicht nur eine Katastrophe für den Neuen Markt. Sie gefährden die gesamte
Kapitalmarktkultur in Deutschland." Der Aktionärsschützer hat wenig Hoffnung, dass ein Ende der Skandale
abzusehen ist: "Wir rechnen mit weiteren Betrugsfällen. Die Bilanzsaison hat ja gerade erst angefangen."

Anleger verunsichert

Das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt von Bilanzen hat stark gelitten - und damit das Vertrauen in die
Wirtschaftsprüfer, die Geschäftsberichte von börsennotierten Unternehmen auf ihre Richtigkeit hin untersuchen.
"Offensichtlich sind die Wirtschaftsprüfer dazu nicht in der Lage", sagt SdK-Vorstand Schneider. Besonders in der
Schusslinie steht KPMG. Das renommierte Unternehmen prüfte sowohl bei Phenomedia als auch Comroad jahrelang
die Bilanzen. Ohne dass irgendetwas auffiel.

Erst als die KPMG-Prüfer die Zahlen für 2001 untersuchten, wurden sie stutzig und verweigerten das Testat. Es
besteht der Verdacht, dass die in den Vorjahren von KPMG abgenickten Abschlüsse ebenfalls fehlerhaft sind.
Sonderuntersuchungen sollen jetzt Klarheit bringen.

Auch Bankanalysten haben sich nicht mit Ruhm bekleckert. Analysten von Dresdner Kleinwort Wasserstein oder AC
Research empfahlen beispielsweise die Aktie von Phenomedia noch Ende März zum Kauf. Seither ist der Aktienkurs
von Werten um die acht Euro auf unter einen Euro eingebrochen. Die Analysten hatten sich vom vorläufigen
Jahresabschluss der Moorhuhn-Erfinder täuschen lassen. Offenbar wurde der dort angegebene Jahresumsatz von
25,7 Mio. Euro mit angeblichen Forderungen von 22,5 Mio. Euro künstlich aufgeblasen.

"Deutsche Börse viel zu passiv"

Die ehrwürdige Deutsche Börse muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie nicht reagiert. Mark Pohlmann,
Sprecher des am Neuen Markt notierten Unternehmens Sinner Schrader, fühlt sich im Stich gelassen. "Die Börse ist
viel zu passiv. Wir haben nicht das Gefühl, dass dort etwas gegen die Betrügereien getan wird."

Experten, wie der Analyst Marcus Blask von GBC Research, fordern jetzt schärfere Bilanzregeln und ein hartes
Eingreifen des Gesetzgebers: "Wirtschaftsprüfer sollten genauso wie auch Vorstände oder Aufsichtsräte
strafrechtlich verfolgt werden können. Zudem müssen die Rechtsgrundlagen für Schadensersatzforderungen
schnellstens verbessert werden." Dann, so Blasks Hoffnung, läge die Hemmschwelle für Betrügereien höher, und die
verunsicherten Aktionäre hätten bessere Chancen, bei betrügerischen Firmenpleiten wenigstens einen Teil ihres
Geldes einzuklagen.
 
aus der Diskussion: Neuer Markt wird zum Tummelplatz für Verbrecher
Autor (Datum des Eintrages): codiman  (13.05.02 16:36:41)
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