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Die Blenderwirtschaft
Das Testat als Null-Lektüre
Von Ulrich Siebert
 
 
8. Mai 2002 Wirtschaftsprüfer prüfen nicht die Rentabilität, sondern nur die Ordnungsmäßigkeit des Rechnungswesens. Das alles so ist, wie es ist. Plötzlich meldet das Unternehmen Insolvenz. Eine unbekannte Risikoposition in Milliardenhöhe ist aufgetaucht. Den Abnehmer, mit dem jahrelang Millionenumsätze abgewickelt wurden, den gibt es nun doch nicht. Jüngstes Beispiel: der Telematikausrüster Comroad.Keiner will ein Warnsignal erkannt haben. Auch Banken und Analysten nicht, können sie doch bequem die Ursachen ihrer Fehlentscheidung an die Wirtschaftsprüfer delegieren. Ist der Schwarze Peter dort einmal angelangt, beginnt eine juristische Wortschlacht - mitunter mit konventionellen Mitteln.Zu den effektivsten Verbalwaffen gehört ein ganzes Arsenal an Vorbehalten und Erklärungen. Letztlich werden die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und ergänzende Bestimmungen aus Gesellschaftsvertrag oder Satzung geprüft. Außerdem sind bei Vorlage des Jahresabschlusses die Geschäfte nicht selten schon drei bis sechs Monate weiter gelaufen. In dieser Zeit kann freilich viel passieren. Verkommt das Wirtschaftsprüfer-Testat zur Null-Lektüre?Das Scheuklappen-DilemmaEine aufgescheuchte Öffentlichkeit fordert die Trennung von Beratung und Prüfung. Zeitgleich aber appelliert der Chef einer der größten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Kanon seiner Kollegen, die Scheuklappen abzulegen: Eine effektive Prüfungsdienstleistung erfordere heutzutage Kenntnisse und Fähigkeiten, die über die Prüfungstätigkeit im engeren Sinne hinausgingen, heißt es in einer internen Losung. Gefragt seien insbesondere Kenntnisse, die sich auf Risiken im Unternehmen beziehen wie Finanzmanagement oder Restrukturierung. "Diese Kenntnisse und Fähigkeiten zu besitzen und anzuwenden ist für uns integraler Bestandteil einer guten Prüfungsleistung." Gesagt, getan?Hat der Prüfer wirklich Durchblick, wird er lenkend - also beratend - einwirken und dafür auch klingende Münze erhalten. Oder er macht gute Miene zum bösen Spiel. Aber auch dafür wird er bzw. die Prüfungsgesellschaft in Form der Mandatsverlängerung belohnt. Das Dilemma geht weiter: Steht doch im Bestätigungsvermerk - also der Zusammenfassung des Prüfungsergebnisses - dass der Abschlussbericht die tatsächlichen Verhältnisse der Ertrags- und Vermögenslage vermittelt. Zwar heißt "vermitteln" nicht, dass es wirklich so ist. Hat aber der wackere Prüfer über den Tellerrand geschaut und hat er tatsächlich Ungemach abseits bestehender Papiere gewittert, wird er sich dennoch im Bestätigungsvermerk sehr zurückhaltend äußern. Schließlich gibt es die Verschwiegenheitspflicht im Handelsgesetzbuch und in den Standesrichtlinien.Sagen, ohne etwas zu sagenDer Abschlussprüfer erklärt, "dass der von den gesetzlichen Vertretern (!) der Gesellschaft aufgestellte Jahres- oder Konzernabschluss ... nach seiner Beurteilung (!) unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermittelt (!)." Drei Vorbehalte auf engstem Raum. Ideale Rückzugspositionen, sollten sich einmal Aktionäre zum anschwellenden Bockgesang erheben. Allerdings erklären die Prüfer auch, "dass der Abschluss mit hinreichender Sicherheit frei von Fehlaussagen ist". Grundlage der hinreichenden Sicherheit ist freilich die eigene Auffassung und die eigene Überzeugung, mit den richtigen Methoden geprüft zu haben. Diese wiederum werden nicht selten im wissenschaftlich Diskurs kontrovers diskutiert - vor allem dann, wenn das Wesen angelsächsischer Bilanzierungspraxis in deutsche Unternehmen diffundieren soll.Die RückversichererWissenslücken sind menschlich und damit auch bei Abschlussprüfern und ihren Gehilfen. Man darf daher auch nicht zu viel erwarten. Schließlich sind WP-Gesellschaften selbst Gewinn-Maximierer. Und an kleineren Mandaten wie beispielsweise bei Unternehmen am Neuen Markt lassen sich hervorragend Jungakademiker ohne höhere WP-Weihen ausbilden. Trainee on the Job. Sicherlich trainieren so manch waghalsigen Geschäftsmodelle der verblassenden New Economy und deren Bilanzierungspraxis ganz besonders. Sollte trotz des eingesetzten, immer besonders erfahrenen Prüfungsleiters etwas schief gehen, trägt sowieso der Vorstand die Verantwortung oder das faule Papier war eben nicht in der Stichprobe, mit der die Rechtmäßigkeit der Buchführung überprüft worden ist.Keineswegs böse Zungen warnten schon vor Jahren, dass die Wirtschaftsprüfung sich zunehmend zum Rückversicherer profilierungssüchtiger Manager entwickelt. Vorstände könnten das Testat als eine Art Versicherungsschein für ihre Abenteuer nutzen. Die Ehrenberufler bekommen dazu einen internationalen Fundus dehnungsfreudiger Rechtsgrundlagen auf den Tisch und dürfen fürstliche, als Prüfung deklarierte Beraterhonorare liquidieren.
 
aus der Diskussion: DER KPMG SKANDAL + + + FAKTENSAMMLUNG + + +
Autor (Datum des Eintrages): THECANADIEN  (14.05.02 16:02:26)
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