Fenster schließen  |  Fenster drucken

Japan: Bereits 7 Pleiten in der Versicherungsbranche

Wohin zu hohe Renditeversprechen von Lebensversicherern führen könnte, zeigte sich in jüngster
Vergangenheit in Japan. Dort gingen seit 1997 sieben Konzerne Pleite, weil sie ihren Kunden
höhere Renditen versprochen hatten, als sie tatsächlich erwirtschaften konnten. Die
Ausschüttungen an Versicherte betragen zum Teil noch 5,5% und mehr für ältere Policen,
während die Kapitalerträge z.B. beim Marktführer Nippon Life mit 2,27% nur noch die Hälfte
dessen abdecken. Die Branche kann nur noch zu Lasten der Versicherten gegensteuern. Bei
Nippon Life, Dai-Ichi-Life, Sumitomo Life, Meiji Life, Yasuda Life und Mitsui Life wurde die
vertraglich garantierte Verzinsung im Juni 2001 von 1,5% auf 0,75% gesenkt.
Die Problematik geht in Japan jedoch längst über die Frage der Verzinsung von Sparguthaben
hinaus. Die Konkurse der Versicherungsgesellschaften wurden zwar durch den japanischen Staat
aufgefangen, dennoch ergeben sich bereits für die gesamte Volkswirtschaft negative
Auswirkungen.
Durch die staatlich gedeckten Luftbuchungen wird die Problematik lediglich umverteilt und eine
rasche und gründliche Bereinigung des Problems durch die Mechanismen des Finanzmarktes
verhindert. Die Krise der Lebensversicherungen trägt dazu bei, dass Japan auch im Jahr 12 nach
dem Ende der Aktien- und Immobilienblase noch immer unter Sachwertdeflation und
schrumpfender Wirtschaft leidet.
Strauchelnde Versicherer weltweit: Ist Deutschland sicher?
Sind ähnliche Fälle auch in Deutschland denkbar oder wahrscheinlich? Eine Detailanalyse
gestaltet sich aufgrund der Komplexität der Materie und der Vielfalt der involvierten
Unternehmen schwierig.
Deutsche Versicherer konnten ihre stillen Reserven lange Zeit wie Staatsgeheimnisse schützen.
Die Höhe der Reserven wird zwar mittlerweile veröffentlicht und gerne dazu eingesetzt, um das
Interesse von Anlegern und Aktienanalysten auf sich zu ziehen, andere Teile von
Versicherungsbilanzen sind für Außenstehende jedoch unverändert schwer zu beurteilen.
Die schwierige Informationslage sollte gleichwohl nicht davon abhalten, Tendenzen und Indizien
zu überprüfen. Fragen kommen insbesondere auch im Zusammenhang mit der Überwachung von
Versicherungsgesellschaften in Europa auf. Der Einbruch des Kartenhauses bei Equitable wurde
in einem 286 Seiten starken Bericht der britischen Regierung untersucht. In dem Bericht, dessen
Details nicht veröffentlicht wurden, kamen die Experten zu dem Ergebnis, dass die finanzielle
Schieflage von Equitable möglich war, ohne dass die Versicherung gegen
Regulierungsbestimmungen verstoßen hatte.
Entsprechend ist die Diskussion über die Sicherheit von Lebensversicherungen in England bereits
in vollem Gange. Nach dem Equitable-Desaster gibt es bei der Analyse des britischen
Versicherungssektors keine Tabus mehr. Die britische Finanzaufsichtsbehörde FSA hat in einem
unter Verschluss gehaltenen Bericht 200 der 900 britischen Lebensversicherer auf eine Risikoliste
gesetzt. Die Rating-Agentur Fitch berichtete darauf hin, dass innerhalb der Versicherungsbranche
vielfach die Meinung herrscht, dass die vorgeschriebene Kapitalausstattung britischer
Lebensversicherer schon heute unzureichend sei und radikal reformiert werden müsse.
Sind Verwerfungen, wie sie im EU-Land Großbritannien entstanden, auch in Deutschland
möglich? Im Vergleich zu Versicherungen anderer europäischer Länder sind die deutschen

Versicherungen im Branchendurchschnitt noch überdurchschnittlich gut mit Eigenkapital
ausgestattet. Die deutsche Versicherungsbranche profitierte jahrzehntelang von einem gegen
ausländische Konkurrenz abgeschottenen Markt und entsprechend hohen Margen. Der deutsche
Versicherungssektor ist mit 138 Milliarden Euro Prämieneinnahmen der größte Europas.
Die Tatsache, dass per 2001 in Deutschland 706 Versicherungen registriert waren, zeigt, dass es
den meisten Gesellschaften bislang gut genug ging, um sich dem andernorts anzutreffenden
Konzentrationstendenzen zu entziehen. Die Eigenkapitalbasis reichte bei den meisten
Versicherern bislang aus, um die sich bietenden Expansionsmöglichkeiten im Alleingang zu
finanzieren.
Es gibt weitere Besonderheiten, die einen Vergleich der Entwicklung in Großbritannien mit der
Situation in Deutschland erschweren. So dürfen britische Versicherungen bis zu 100% ihrer
Anlagegelder in Aktien investieren. In Deutschland
ist der Aktienanteil im Versicherungsportefeuille
gesetzlich auf maximal 30% begrenzt.
Die Studien der WestLB und der
Consultinggesellschaft Tillinghast-Towers Perrin
(siehe oben) deuten aber dennoch auf beachtliche
Risiken in der deutschen Versicherungslandschaft
hin. Innerhalb der Versicherungsbranche gibt es
große Unterschiede in Art und Qualität der
Finanzsituation. Alles hängt von einer Betrachtung
des Einzelfalls ab. Dabei kam es bereits zu negativen
Auffälligkeiten.
Aus heutiger Sicht ist das deutsche
Versicherungsgewerbe noch dazu in der Lage,
etwaige Schieflagen bei einzelnen Anbietern
branchenintern aufzufangen. Die
öffentlichkeitsscheue Branche dürfte im Ernstfall
versuchen, gemeinsam mit der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungen hinter den Kulissen eine
Lösung zu finden. Auswege könnten in der
Übertragung des Kundenbestands oder einer
kompletten Übernahme liegen.
Branchensolidarität ist nicht unbeschränkt
belastbar
Ob sich aber für jeden in Schieflage geratenen
Versicherer eine realisierbare brancheninterne Lösung finden lässt, ist indes fraglich. So hat sich
auch für die Hannoversche Lebens bislang kein Käufer gefunden, obwohl das Unternehmen
Merrill Lynch mit der Suche nach einem starken Partner beauftragt hatte. Die Hannoversche
Leben ist als Gegenseitigkeitsverein organisiert, hat also keine Aktionäre und gehört den Kunden.
Selbst Verhandlungen mit dem langjährigen britischen Partner Standard Life blieben erfolglos.
Eine derartige Kapitalstrukur kann eine Auffangslösung schwierig gestalten oder auf
Unternehmen ähnlicher Rechtsform beschränken.

Beispiel: Hannoversche Leben

Die Hannoversche Leben in guten
Börsenzeiten zeitnah stille Reserven
an die Versicherten weitergegeben.
Auf diese Weise ließen sich die
Ergebnisse für die Versicherten
aufpolieren und neue Kunden
gewinnen. Gleichzeitig führte die
Strategie jedoch dazu, dass die
Versicherung schon im Jahr 2000
einen Großteil ihrer Reserven
aufgezehrt hatte.
Die Hannoveraner hatten 2000 als
Tabellenletzte bei der Nettorendite
abgeschlossen und musste
Wertpapierhändlern zufolge sogar
Aktienzwangsverkäufe durchführen.
Den Berichten zufolge hatte die
Gesellschaft in engster Abstimmung
mit der Versicherungsaufsicht Aktien
verkauft, um wenigstens noch die
garantierte Mindestverzinsung von
3,25% erreichen.


Auch die seit mehreren Jahren zu beobachtende Auflösung der „Deutschland AG“ spricht dafür,
dass Auffanglösungen für Versicherungen nicht immer so glatt gehen müssten, wie dies in der
Vergangenheit zu erwarten war. Der Verkauf der Beteiligungen an der Allianz durch Münchner
Rück und Deutsche Bank spricht auch dafür, dass innerhalb der Finanzbranche die Beteiligungen
eher ab- als aufgebaut werden. Deutsche Finanzunternehmen stehen heute mehr denn je im
Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen. Würde eine Rettungsaktion zu stark auf die eigenen
Mittel und die Eigenkapitalrendite drücken, könnte die Solidarität unter deutschen
Finanzunternehmen schnell bröckeln. Dies um so mehr, als Versicherer durch den Absturz der
Aktienmärkte nicht mehr auf die reichlichen stillen Reserven zurückgreifen können und die
Kosten einer Rettungsaktion tendenziell aus operativen Erträgen erbracht werden müssten.
Das Entstehen einer solcher Situation bei einzelnen Versicherern dürfte eine reine Frage der Zeit
sein. Durch die jüngsten Kursverluste an den internationalen Aktienmärkten befinden sich
deutsche Lebensversicherer jetzt in der Doppelschere sinkender Aktienkurse und niedriger Zinsen
– mit dem möglichen Effekt einer erheblichen Beschleunigung der Negativentwicklung.
Staatsanleihen: Sicher, aber zu wenig rentabel, um die Renditeerwartungen der
Versicherten zu erfüllen
Die deutschen Versicherer haben rund zwei Drittel ihrer Mittel in Produkte investiert, deren
Erträge an Zinsen gekoppelt sind. Seit Januar 2000 fiel die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen
von 5,6 auf 5%. Bleibt die Zinswende aus, wird die Problematik der Renditeversprechungen von
7 bis 8% nur noch dringender. Die Lage wird besonders kritisch für jene Rentenpapiere, die in der
Hochzinsphase zwischen 1990 und 1992 aufgelegt wurden und jetzt fällig werden. Seinerzeit lag
das Zinsniveau bei 8 bis 9%. Die Versicherer müssen die freiwerdenden Mittel zu deutlich
schlechteren Konditionen neu anlegen.
Bei ihrer Strategie sind die Versicherer teilweise auch Sklaven einer von unrealistischen
Erwartungen geprägten Öffentlichkeit: Nur die wenigsten Sparer können zwischen nominalem
und realem Zins unterscheiden und boykottieren selbst in Zeiten niedriger Inflation
Finanzprodukte mit niedriger nominaler Verzinsung. Angetrieben durch langjährige
Investmentstatistiken aus den letzten zwei Jahrzehnten erwartet das Gros der Versicherten
Erträge, die im eingetrübten Kapitalmarktumfeld nicht mehr bzw. nur noch unter Inkaufnahme
höherer Risiken zu erwarten sind.
Die Versicherer müssen hohe Zinseinnahmen erzielen, andernfalls wandert der Kunde zu einem
Konkurrenten mit höherem Zinsversprechen. Die vertrackte Situation ist dazu geeignete, deutsche
Versicherer dazu zu verleiten, kurzfristige Zinsmaximierung vor langfristige Kapitalsicherung zu
setzen.

Der Ausweg: Unternehmensanleihen - höhere Zinsen, jedoch auch viel riskanter
Um der Zinsfalle zu entkommen, haben Versicherer in den letzten Jahren verstärkt in
Unternehmensanleihen investiert. Staatsanleihen würden als Ausweichmöglichkeit eine zu
niedrige Rendite bieten, nicht zuletzt da die Zinsen für Staatsanleihen in Ländern wie Italien
durch die Einführung des Euro deutlich gesunken sind. Selbst bei guter Bonität des Emittenten
können Unternehmensanleihen 0,5 bis 1% Prozentpunkt mehr bringen als vergleichbare
Staatsanleihen.
Die Pleiten von SwissAir und Enron haben jedoch gezeigt, dass auch sogenannte
Qualitätsanleihen praktisch über Nacht wertlos werden können. Bei SwissAir standen

Anleiheninhaber mit Papieren im Nominalwert von 4 Mrd Franken (2,77 Mrd Euro) im Feuer.
Dabei hatten führende Rating-Agenturen der Airline noch zu Jahresanfang 2001 eine gute Bonität
bescheinigt.
SwissAir ist in Europa kein Einzelfall mehr. Auch die Anleihen der früheren Highflyer am Neuen
Markt, Brokat und Carrier 1, sind durch einen Konkurs praktisch wertlos geworden. Die Bonds
hatten verlockende Zinskupons von 11,5 und 13,25% geboten.
Trotz des Desasters bei der SwissAir ist das Interesse an Unternehmensanleihen unverändert
groß. Die Financial Times ortete bereits die größten Käufer im Markt: Nicht mehr Portfolio-
Investoren, sondern europäische Versicherungen sind die größten Investoren im Markt für
Unternehmensanleihen.
Das Timing für den Erwerb von Unternehmensanleihen könnte sich bei den Versicherungen aber
als überaus ungeschickt erweisen. Die Nachfrage nach Unternehmensanleihen ist auch ein
Zeichen des Vertrauens der Käufer in einen baldigen Konjunkturaufschwung. Bleibt dieser
jedoch aus, können selbst hochwertige Unternehmensanleihen zu Risikopapieren werden.
Die Zeichen mehren sich, dass jene Versicherer, die zuletzt in großem Umfang in
Unternehmensanleihen investiert haben, mit ihren verstärkten Anleiheninvestments in die nächste
Falle gelaufen sind. Die Rating-Agentur Moody’s teilte Anfang 2002 mit, dass sich die
Kreditwürdigkeit westeuropäischer Unternehmen im Jahr 2001 in einem “nie da gewesenen”
Ausmaß verschlechtert hat und sich weiter verschlechtern werde. Der Senkung von 123 Ratings
stand die Erhöhung von lediglich 16 Ratings gegenüber.
Bedenklich: Extrem hoher Anteil von Anleihen aus dem Telekommunikationsbereich
Hinzu kommt, dass die Struktur des europäischen Marktes für Unternehmensanleihen bedenklich
einseitig ist. Rund 70% der europäischen Unternehmensanleihen stammen aus dem Telekom-
oder Medienbereich – beides derzeit alles andere als Inseln der Sicherheit.
Selbst bei Anleihen von Branchengrößen wie Deutsche Telekom und France Telecom müssen
mittlerweile Fragen nach der Bonität gestellt werden. Die beiden ehemaligen Staatskonzerne sind
mit 62 bzw. 60 Milliarden Euro verschuldet und bei bisherigen Versuchen zur Reduzierung der
Schulden gescheitert. Während die Deutsche Telekom sich am Verkauf von Assets versucht,
liefert sich France Telecom Grabenkämpfe mit der deutschen Mobilcom, an der die Franzosen
eine rasant im Wert gesunkene Beteiligung halten.
Das Risiko der europäischen Telekom-Schulden gewinnt im Kontext der amerikanischen
Branchenzahlen eine beängstigende Note. Die amerikanische Wirtschaft hat 525 Mrd US$
Telekom-Schulden geschultert, umgerechnet rund 5% des amerikanischen Bruttosozialprodukts.
Die rekordhohen Investitionen der amerikanischen Telekom-Branche müssen aus heutiger Sicht
jedoch zum großen Teil als verfehlt eingestuft werden. Selbst während Spitzenzeiten sind die
Kapazitäten amerikanischer Glasfaserbetreiber nur zur Hälfte ausgelastet. Im Durchschnitt liegt
die Ausnutzung des amerikanischen Glasfasernetzes sogar nur bei 5% der Kapazität.
Weil es nicht Quartale, sondern Jahre braucht, bis die Kapazität jemals ausgelastet und rentabel
sein wird, sind weitere Großausfälle im amerikanischen Telekombereich vorprogrammiert. Die
Insolvenz von WorldCom lieferte bereits einen Rekord: Nur ein Jahr nach der Emission einer
11,9 Mrd US$ Anleihe ist diese durch die Finanzprobleme der Gesellschaft kräftig im Wert
gefallen.

WorldCom ist nicht der einzige traurige Negativrekord. Die Telekom-Branche hatte im Jahr 2000
weltweit einen negativen freien Cashflow von 60 Mrd US$. Noch nie zuvor in der
Wirtschaftsgeschichte hatte einen Branche in einem einzigen Jahr einen derart hohen Verlust
geschrieben. Die Zahlen für 2001 dürften noch dramatischer ausfallen und notiert nur noch mit
einem Bruchteil des Nominalwerts - Totalverlust nicht ausgeschlossen.
Die Risiken aus einem Kredit-Crash der amerikanischen Telekom-Branche sind enorm. Zum
Vergleich hatte die Savings & Loan Krise in den achtziger Jahren nur 175 Mrd US$ bzw. 3% des
amerikanischen Bruttosozialprodukts verschlungen.
Insofern wundert es nicht,
dass Standard & Poor’s für
das Jahr 2001 erstmals in der
Geschichte mehr als 200
Pleiten von
Anleihenemittenten
verzeichnete. Insgesamt ist
ein Volumen von 115,4 Mrd
US$ insolvent geworden. Der
bisherige Rekord von 42,3
Mrd US$ aus dem Jahr 2000
wurde um annähernd das
Dreifache übertroffen.
Schuld ist nicht nur die schwache Wirtschaft, sondern auch eine strukturelle Veränderung der
amerikanischen Bilanzen. 1982 lag die Verschuldung amerikanischer Unternehmen (exklusive
Finanzbranche) bei ca. 32% des Bruttosozialprodukts. Für das Jahr 2001 lag die Vergleichszahl
bei 47,4%. Die amerikanische Wirtschaft ist mit der höchsten jemals erreichten Schuldenlast in
die Rezession eingetreten. Selbst während der Rezession 1990/91 hatte die
Unternehmensverschuldung nur bei 42,6% des Bruttosozialprodukts gelegen. Die Last der
Zinszahlungen in Prozent der Unternehmensgewinne hat fast den Rekordstand der letzten 40
Jahre erreicht. Dabei liegen die Zinsen heute (noch) extrem niedrig.
Ein anhaltender Ausfall amerikanischer Telekom-Schulden würde unweigerlich auch in Europa
zu einer Vertrauenskrise und zu einem Abzug von Geldern aus dem Sektor führen. Die tickende
Zeitbombe amerikanischer Anleihen aus dem Telekom-Bereich und anderen Problembranchen
könnte europäische Versicherer sogar stärker treffen als bislang angenommen. Durch den
ausufernden Derivatemarkt können Ausläufer der Strukturverwerfungen Amerikas selbst jene
Versicherer treffen, die nicht unbedingt die entsprechenden Anleihen im Depot haben.
Kreditderivate: Wenn Versicherer im Kreditgeschäft schlauer als Banker sein wollen
Ursache hierfür sind “Kreditderivate”: Künstlich geschaffene Finanzinstrumente, durch die
Risiken aus Krediten und Anleihen auf einen neuen Besitzer übertragen werden können. Mit den
künstlichen Finanzinstrumenten können Banken die Kreditrisiken neu verpacken und an
Investoren weiterreichen. Der Käufer solcher Derivate bekommt für die Übernahme der Risiken
ein Entgelt. Derivate auf Kredite sind einer der am schnellsten wachsenden Finanzmärkte. Nach

einer Schätzung der Bank of England ist das Volumen ausstehender Kreditderivate zwischen
1995 und heute von 400 Mrd US$ auf 2 Billionen US$ explodiert.
Wie schon in den Fällen Enron oder Metallgesellschaft kann es im komplexen Geschäft mit
Derivaten zu Fällen kommen, in denen Marktteilnehmer mehr Risiken auf sich nehmen, als sie
sich bewusst sind oder leisten können. Selbst vermeintlich professionelle Anleger können von
den Tücken dieses Geschäfts überrascht werden.
Durch Kreditderivate ist es zu einer in der Öffentlichkeit bislang wenig beachteten
Risikoverschiebung von Banken auf Versicherungen gekommen. Der Fachbegriff, der den
meisten Sprengstoff enthält, lautet “regulatorische Arbitrage”.
Banken unterliegen bei der Kreditvergabe strengen Auflagen und müssen Kreditrisiken durch
vergleichsweise hohe Kapitalreserven ausgleichen. Bei Versicherungen sind die Anforderungen
wesentlich geringer. Anders ausgedrückt: Versicherungen können bei gleicher Kapitalausstattung
größere Kreditrisiken als Banken schultern. Weil Versicherungen somit weniger Kapitalkosten
tragen müssen, können sie auch solche Kreditrisiken
unterschreiben, die für Banken bereits nicht mehr
lukrativ genug sind. Die Ausnutzung dieser Differenz
wird als “regulatorische Arbitrage” bezeichnet.
Die Zahlen sind beängstigend: Rund ein Fünftel des
globalen Kreditderivatevolumens von 2 Billionen
US$ entfällt bereits auf Versicherungen.
Umgerechnet haben Versicherungen Kreditrisiken im
Volumen von 300 bis 400 Mrd US$ in Form von
Derivaten in den Büchern.
Pauschale Beurteilungen sind in derartig vielfältigen
Märkten mit ihrer großen Zahl an Marktteilnehmer
schwierig. Dennoch lassen sich Tendenzen
feststellen. Von entscheidender Bedeutung ist die
Grundfrage, ob Versicherungen Kredite genau so gut
beurteilen können wie Banken.
Überspitzt formuliert: Wenn eine amerikanische Bank die Kreditrisiken eines Engagements in
Amerika in Derivate verpackt und an die Investmentabteilung einer europäischen Versicherung
verkauft – wer hat dann wohl den besseren Einblick in die Risiken des Geschäfts? Die Tatsache,
dass Banken das Kreditgeschäft seit jeher betreiben, Versicherungen dagegen erst jüngst verstärkt
in diesen Markt eingetreten sind, spricht Bände.
Auch Howard Davies, Leiter der britischen Finanzaufsichtsbehörde FSA, beobachtet die
Entwicklung kritisch. Am von ihm überwachten Finanzplatz London ist rund 50% des weltweiten
Kreditderivategeschäfts konzentriert. Davies warf die kritische Frage auf, ob der Risikotransfer
von Banken auf Versicherungen in erster Linie durch Unterschiede in den Kapitalanforderungen
ausgelöst wird. Das Ausfallrisiko eines Kredits verändere sich schließlich nicht, nur weil es aus
der Bilanz einer Bank in die Bilanz einer Versicherung verschoben wird.
Die Grundproblematik der auf der Hand liegenden asymetrischen Informationsverteilung
zwischen Banken und Versicherungen wurde von David Hendler, Experte beim
Researchunternehmen CreditSight, auf den Punkt gebracht: “Die Leute denken, es sei ein

Verzockt mit Derivaten

American Express Financial
Advisors, eine für Finanzplanung
sowie Spar- und Versicherungsprodukte
zuständige Tochtergesellschaft
von American Express,
musste im Jahr 2001 Abschreibungen
auf Kreditderivate vornehmen und
dabei einen Verlust von 1 Mrd US$
verbuchen. American Express-
Chairman Kenneth Chenault gab zu,
dass seine Mitarbeiter die Risiken
dieser Investments “nicht in vollen
Umfang verstanden hatten”.


einfacher Weg, Geld zu verdienen, aber viele dieser Spieler, wie z.B. einige Versicherungen,
haben nicht die notwendigen Werkzeuge, um die Risiken zu quantifizieren, da es noch keine
allgemein anerkannte Methode gibt.”
Im Kontext des Gesagten wundert es nicht, dass einige Versicherungen bei Großpleiten wie
Enron, K-Mart und der britischen Railtrack bereits hohe Verluste verbuchen mussten, während
amerikanische Banken trotz der rekordhohen Zahl der Pleiten bislang weitgehend unbeschadet
geblieben sind.
Ein bei derartigen Transaktionen häufig verwandtes Instrument sind sogenannte kollateralisierte
Schuldverschreibungen (collateralized debt obligations, “CDOs”): Neu verpackte
Kreditportefeuilles von Banken, für deren Übernahme Investoren eine über dem Niveau von
Staatsanleihen liegende Verzinsung erhalten. Finanzmarkt-Aufseher Davies brachte die Bedenken
der Aufsichtsbehörden auf den Punkt, als er einen ungenannt gebliebenen Investmentbanker
zitierte: CDOs sind “heute das giftigste Element der Finanzmärkte”. In zahlreichen CDOs waren
auch Kreditrisiken des Enron-Konzerns enthalten.
Das amerikanische Branchenfachblatt “The Banker” nannte in seiner Mai-Ausgabe denn auch,
wer besonders wichtige Käufer für überdurchschnittlich riskante Tranchen des CDO-Marktes
sind: Deutsche und japanische Lebensversicherungen, die mit diesen Instrumenten versuchen, die
Performance ihrer Investments aufzubessern.


..............................................


Fortsetzung folgt:
 
aus der Diskussion: Ich spare mir ein Haus:
Autor (Datum des Eintrages): Harry_Schotter  (20.07.02 12:58:03)
Beitrag: 28 von 29 (ID:6932835)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE