Fenster schließen  |  Fenster drucken

Hier der Text aus der SZ:

Schwitzender Engel mit Flammenschwert

Er war der „Boss“, nun spricht er die Feuerwehr heilig: Bruce Springsteen besingt auf seinem neuen Album den 11. September und dessen Helden

Bruce Springsteen singt über den 11. September – was für eine großartige Idee! „The Rising“ heißt das neue Werk, und es enthält 15 Songs, die in nur acht Wochen nach dem Anschlag entstanden sind. Nie war Amerika so tief verwundet, nie hatte es den Mann nötiger, der wie kein anderer Ängste, Leid und Zweifel seines Landes zu absorbieren und als chartfähiges Mantra aufnehmen kann. Seit Jahrzehnten souffliert Springsteen den kleinen Menschen ihre Träume: den Jungs, die am Asbury Park abhängen und von der großen Flatter träumen – „It’s a town full of losers, but I’m pulling out of here to win“ („Thunderroad“;) – den enttäuschten „Jersey Girls“, die in ihren dunklen Häusern auf den Mann warten, den arbeitslosen Stahlkochern, die jede Hausse verpassen. Selbst in ihrem Scheitern, ja, gerade durch ihr Scheitern, so verspricht ihnen der „Boss“, werden auch sie des amerikanischen Traums teilhaftig. Als am 11. September die Feuerwehrleute und Angestellten, die Helden des Alltags, zu Helden der Nation wurden, wer hätte besser ihr Los besingen können als er? Die Trümmer schwelten noch auf Ground Zero, so erzählt Springsteen gerne, als er in Sea Bright an der Küste New Jerseys vom Parkplatz fuhr, und ein Fan neben ihm hielt, das Autofenster herunterkurbelte und rief: „Wir brauchen Dich!“. „The Rising“ ist Springsteens Dienst an der Nation, es könnte seine größte Stunde werden.

Springsteen und der 11. September – was für eine schreckliche Idee! Reicht es nicht, dass Neil Young („Let’s roll“;) und Paul McCartney („Freedom“;) der Tragödie hinterher schrieben? Muss nun auch noch ausgerechnet der penetrant authentische Mr. Good Guy, der noch Kleinstadtmief als Eau de Toilette besingt und dessen Schweißflecken stets wirken wie vom Makeup-Artist appliziert, der seit „Born in the USA“ als patriotische Wunderwaffe gilt, obwohl damals alles nur ein Missverständnis war und der Song die Abrechnung eines Vietnam-Veterans war, muss nun also ausgerechnet Bruce Springsteen das amerikanische Ego fördern, wo sich das Land ohnehin in einem nationalistischen Taumel befindet? Kein Zweifel: „The Rising“ droht noch vor der ersten Aufnahme der pathetische Overkill.

Das Album ist nichts von beiden, nicht der Triumph und nicht das Desaster, und etwas Schlimmeres kann man über ein Werk mit diesem Thema und diesen Erwartungen wohl nicht sagen. Zum ersten Mal seit 1984 hat Springsteen ein komplettes Album mit der „E-Street-Band“ aufgenommen, wenn man in den vergangenen Jahren auch gelegentlich gemeinsam auftrat. Nun fehlt es „The Rising“ nicht an Pathos. In fast allen Liedern geht es um Trauer, Opfer und die Hoffnung auf Rückkehr, und über allem wölbt sich der Himmel, erst schwarz und blutig („Blood moon rising in a sky of black dust“;), dann entsetzlich leer („Empty Sky“;). „The Rising“ beschreibt noch einmal die vertraute Ikonographie, die Geschichte des Feuerwehrmanns, den der Alarm aus dem Haus treibt („The Rising“;), des Angestellten, der sich nach der Katastrophe in der Lokalzeitung findet („The Nothing Man“;), der Ehefrau, die auf ihren Mann wartet („You’re missing“;), des Soldaten, der sich in einem fernen Land in eine Einheimische verliebt („Worlds apart“;). Das Lied „My City of Ruins“ entstand übrigens vor dem Anschlag: Eine Prophezeiung.

Doch Springsteen, der einst für geradezu dylaneske Wortkaskaden bekannt wurde, der in den späteren, stark reduzierten Texten Bilder fand, die in wenigen Wörtern ein ganzes Milieu aufscheinen ließen, kommt diesmal über eine Handvoll Metaphern nicht hinaus: Der lange Tag, das leere Bett, die Träne im Staub, das war’s. Es gibt nur Opfer, keine Schuldigen in „The Rising“, aber die Hoffnung auf Erlösung. Der Katholik Springsteen, der mit Werken wie „Nebraska“ oder zuletzt „The Ghost of Tom Joad“ die finstere Realität anprangerte, verheißt Trost und Transzendenz allein durch Gott.

Mit keinem Wort erwähnt Springsteen die wahren Ereignisse, und zusammen mit den litaneihaften Refrains („Your kiss, your kiss, your touch, your touch, your heart, your heart“;) verwandelt dies die Songs in zeitlose Gleichnisse, in Parabeln der Pflichterfüllung und des Opfermutes. „Wearin’ the cross of my calling“, singt der Feuerwehrmann im Titelsong, „ich trage das Kreuz meiner Berufung“. Spätestens bei „Into the Fire“ ist die Stilisierung der Retter zu nationalen Märtyrern unübersehbar: Der Aufstieg des Feuerwehrmannes ins lodernde World Trade Center wird zum Purgatorium.

Dabei klingt die Musik dazu nach allem Möglichen, nur nicht nach dem unbeschwerten Primitivismus der E- Street-Band. Gewiss, Lieder wie „Mary’s Place“ lassen ahnen, dass sie aus der Feder desselben Mannes stammen, der einst mit „Badlands“ die Stadien beben ließ, „Paradise“, das Lied eines Selbstmordattentäters, ist eine ferne Erinnerung an die stille Intensität von Meisterstücken wie „Streets of Philadelphia“. Das Album liefert die simplen Melodien, die anspruchslosen Rhythmen, den Dur-Optimismus, und das in einem Maße, dass man meint, Springsteen habe für die alten Lieder nur neue Texte geschrieben, ein Epigone seiner selbst.

Doch während Clarence Clemons Saxophon fast völlig verstummt ist, und Roy Bittans Keybords zugunsten der Gitarren in den Hintergrund gedrängt ist, streute „Pearl Jam“-Produzent Brendan O’Brien jede Menge Cello-Passagen und Gospel ein und engagierte für „Worlds Apart“ gar eine Qawwali-Gruppe, ein Ensemble islamischer Gesänge: Springsteen, der ungehobelte working class hero, als weichgespülter Ethno-Barde. Er habe die Stimme des Rock wieder finden wollen, hat Springsteen über „The Rising“ gesagt. Dem Album merkt man das nicht an. Aber am 7. August startet ja die Welttournee.

SONJA ZEKRI
 
aus der Diskussion: The Rising - Bruce Springsteen
Autor (Datum des Eintrages): shut  (30.07.02 14:50:40)
Beitrag: 4 von 13 (ID:7001184)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE