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SPIEGEL: In "Empty Sky", einem Ihrer neuen Songs, hadert eine Witwe mit der Tatsache, dass ihr Mann einfach in der Asche der Türme verschwand und von ihm nichts übrig blieb, was sie hätte beerdigen können. Wie wichtig, glauben Sie, ist es für die Überlebenden, die Toten zu sehen, um Abschied nehmen zu können?

Springsteen: Ich bin irisch-italienischer Abstammung, und für uns gehört das Anschauen der Toten zum Leben. Ich selbst habe meine Tanten, meine Onkel, meine Opas und Omas irgendwann aufgebahrt gesehen. Manchmal haben solche Zeremonien drei Tage gedauert. Die Leute standen herum, es wurde geredet, getrauert, gelacht, gegessen, gebetet, die Menschen gingen weg und kamen wieder. Als mein Vater starb, war es für meine Kinder sehr wichtig, seinen Leichnam noch einmal zu sehen und anzufassen. Diese Zeremonie macht es für die Überlebenden leichter, Abschied zu nehmen. Meine Kinder zum Beispiel haben meinem Vater kleine Briefe und Spielsachen mit in den Sarg gepackt.

SPIEGEL: Was Ihrer CD "The Rising" völlig fehlt, ist der Wunsch nach Rache. Dagegen mischen Sie auf dem Song "Worlds Apart" - einer Geschichte zweier Liebender, die zwei unterschiedlichen Kulturen angehören - den Beat des Rock`n`Roll mit arabischen Gesängen. Ist das - mal wieder ganz Gospel - ein Plädoyer für Versöhnung statt Konfrontation?

Springsteen: Die Suche nach dem Dialog scheint mir eine Aufgabe zu sein, die sich ein Künstler stellen sollte. Mich interessiert, wie sich die Kulturen begegnen und die ideologischen Barrieren niederreißen können. Mit dem Beharren auf Wahrheiten kommen Sie da nicht weiter. Deshalb heißt eine Zeile in "Worlds Apart": "The truth just ain`t enough / Or it`s just too much in times like this / Let`s throw the truth away / We`ll find it in this kiss."

SPIEGEL: Seit zwei Wochen sind Sie auf Ihrer ersten Tournee nach den Anschlägen. Gibt es Unterschiede zu den vorhergehenden?

Springsteen: Ja. Die Leute kommen diesmal nicht, um eine Greatest-Hits-Show zu hören, sie wollen unsere neuen Songs. Das ist schon ein ziemliches Privileg, dass mir so was mit meinen 52 Jahren noch passiert. Ich meine, die Leute haben nichts dagegen, wenn ich dazwischen eines meiner alten Stücke spiele. Vor allem aber interessiert sie das Neue.

SPIEGEL: Sie sind zwar berüchtigt dafür, dass Sie sich bei Ihren oft dreistündigen Shows bis an den Rand des Zusammenbruchs verausgaben - und gelten trotzdem als Mann, dem die Selbstzerstörungswut vieler Rockstars sehr fremd ist. Woher kommt diese Sehnsucht nach Dauer in einem schnelllebigen Geschäft?

Springsteen: Der Todeskult des Rock`n`Roll ist nicht mein Ding. Wir wollten mit unserer Musik in dieser Welt etwas erreichen. Ich habe von Anfang an unsere Arbeit als etwas Langlebiges gesehen. Die E Street Band sollte lange bestehen, und die Musik ebenso - bis ich ein alter Mann bin. Mir gefällt es, Marlon Brando zu sehen, munter und vergnügt. Dasselbe gilt für die Stones. Ich wünsche ihnen allen ein langes Leben - egal, in welche Richtungen ihre Karrieren sie führen. Ich würde auch gern einen alten James Dean sehen. Es fasziniert mich mitanzusehen, wie sich die Leute durch ihr Dasein navigieren. Natürlich gibt es da draußen und in uns Schmerz und Ärger, Hass und Gewalt. Aber es gibt auch das andere: Hoffnung, Freundschaft, Erfüllung, Liebe, Gemeinschaft. Und unsere Band versucht, einen Funken zu schlagen genau in diese Richtung.

SPIEGEL: So ehrenwert das klingt - auch Sie sind in Ihrer Karriere durch Krisen gegangen. Mitte der achtziger Jahre verkauften Sie von Ihrem Erfolgsalbum "Born in the USA" 30 Millionen Stück, heirateten eine schöne Schauspielerin, lebten in Los Angeles in einem teuren Haus mit ebenso kostspieligen Autos und versanken allmählich in der Depression. Sie hatten sich den amerikanischen Traum vom Wohlstand erfüllt. Warum haben Sie ihn nicht ausgehalten?

Springsteen: Das kreative Leben ist etwas Organisches. Es ist nicht so, dass man es festhalten kann. Es entwickelt sich, ob man will oder nicht. Es ist, als ob man die ganze Zeit durch Nebel wandert. Ab und zu lichtet er sich, und dann zieht er wieder dicht zu, und man ist sich nicht sicher, ob er sich noch mal hebt. Man ist dauernd auf der Suche nach einer Stimme, die zu einem passt.



SPIEGEL: Mit Soloplatten wie "The Ghost of Tom Joad" hatten Sie sich in den vergangenen Jahren weg vom Rock`n`Roll und hin zur Folkmusik gewandt, kommerziell gesehen war dies eher ein Fiasko. War das der Grund, dass Sie Ende der neunziger Jahre wieder mit Ihren Jungs, der E Street Band, auf Rock-Tournee gingen?

Springsteen: Ich hatte ein paar gute Songs geschrieben, und dann dachte ich einfach: Die E Street Band und ich waren lange genug getrennt. Einige der Jungs zählen schließlich zu meinen besten Freunden.

SPIEGEL: Am Anfang Ihrer Karriere haben Sie einmal voller Idealismus gesagt: "Eine Rock`n`Roll-Band besteht, so lange der Typ auf der Bühne ins Publikum schaut und denkt: Da unten bin ich. Und der Typ aus dem Publikum hinaufschaut und denkt: Der Mensch auf der Bühne, das bin ich." Haben Sie nach vielen Millionen Dollar und 30 Jahren Rockruhm immer noch das Gefühl, einer von denen da unten zu sein?

Springsteen: In einem tieferen Sinn ganz sicher. Das ist der Rock des Rock`n`Rollers, so wie ich ihn verstehe. Die Grenzen überschreiten, eine Verbindung herstellen. Zeit, Alter, Mode - alles beiseite schieben und den Leuten etwas von einem selbst tief drinnen präsentieren, von dem sie am Ende sagen: Wir teilen uns eine Welt.

SPIEGEL: Sie sind einer der erfolgreichsten Musiker in der Geschichte des Pop. Wo sehen Sie selbst Ihren Platz in der Ruhmeshalle des Rock`n`Roll?

Springsteen: Ich halte es da mit dem Baseball-Spieler Reggie Jackson, der, als er in die Baseball Hall of Fame aufgenommen wurde, sagte: "Mein Name muss nicht ganz oben auf der Liste stehen. Aber es ist gut zu wissen, dass an dem Tag, an dem der ganze Zettel vorgelesen wird, auch mein Name irgendwann drankommt."

SPIEGEL: Sie wollten also nie Elvis sein?

Springsteen: Natürlich wollte ich das. Solche Träume bringen einen erst mal dazu, eine Gitarre in die Hand zu nehmen. Aber wenn Sie es mit diesem Beruf ernst meinen und etwas von Ihrer eigenen Identität verstehen lernen, dann merken Sie, dass Sie Ihren eigenen Weg suchen müssen. Ich tat es als Arbeiter. Kein großer Sänger, kein großer Gitarrist, aber ich habe es mir beigebracht, ebenso wie ich mir durch harte Arbeit beigebracht habe, Songs zu schreiben und meiner Wahrnehmung von der Welt zu trauen. Aber eigentlich ist all das nichts Besonderes. Ich bin nur ein weiteres Glied in einer langen Kette. Keine schlechte Art, meine Zeit zu verbringen hier auf dieser Erde, aber wenn ich einmal nicht mehr bin, wird ein anderer meinen Job tun. So wie ihn einer getan hat, bevor ich daherkam. That`s fine with me.

SPIEGEL: Könnte es sein, dass Ihre Fans Sie gerade wegen dieser Bescheidenheit seit Jahrzehnten liebevoll "The Boss" nennen?

Springsteen: Ich habe mich nie um diesen Titel gestritten. Gut, mit der Zeit habe ich gelernt, ihn zu akzeptieren. Aber wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre mir Mr. Springsteen lieber. Oder einfach: der Typ aus New Jersey.

SPIEGEL: Mr. Springsteen, wir danken Ihnen für dieses Gespräch
 
aus der Diskussion: The Rising - Bruce Springsteen
Autor (Datum des Eintrages): Heizkessel  (22.08.02 09:54:45)
Beitrag: 7 von 13 (ID:7180520)
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