Fenster schließen  |  Fenster drucken

Was soll diese Panikmache?

Alle Parteien wissen doch schon längst, wie wichtig unsere ausländischen Mitbürger für die Demokratie und Gemeinwohl sind.

Ganz besonders im Wahljahr


"Basbakanimiz Schröder"

Die Parteien umwerben eingebürgerte Ausländer aufwendig wie noch nie vor einer Bundestagswahl - mit Plakaten, Broschüren und dem Einsatz ausgesuchter Vorzeige-Migranten.

Das Aufgebot erinnerte an einen Staatsbesuch oder zumindest an eine Stippvisite des Bundeskanzlers. Über dem Areal im Industriegebiet der südhessischen Kleinstadt Mörfelden-Walldorf kreiste ein Polizeihubschrauber; am Boden lotsten Security-Kräfte die Gäste durch Sicherheitsschleusen zum Ort des Geschehens.
Aydin Dogan, Multimillionär, Verleger und Konzernboss aus dem türkischen Kelkit, hatte zur Einweihung seiner Druckerei bei Shrimps-Kanapees und Rheingau-Sekt geladen. 25 Millionen Euro hat die Dogan Media Group in ihre neue deutsche Dependance investiert. In dem mit deutscher und türkischer Flagge geschmückten Druckhaus drängelte sich zwischen Frankfurter Lokalgrößen nicht nur der eine oder andere Minister aus Ankara, auch deutsche Polit-Prominenz war reichlich zugegen.
Der SPD-Kanzler hatte seinen Arbeitsminister Walter Riester geschickt, der Unionskandidat seinen bayerischen Innenminister Günther Beckstein. Für die FDP machte der Altliberale Hans-Dietrich Genscher die Honneurs, für die Grünen kam Bundeschefin Claudia Roth.
Die Feier Anfang Juli war für die Politiker, knapp drei Monate vor der Bundestagswahl, ein Muss-Termin. Schließlich ist Gastgeber Dogan Herausgeber der "Hürriyet", des türkischen Pendants von "Bild". "Hürriyet" wird hier zu Lande an jedem Bahnhofskiosk angeboten und ist das Blatt, das auch jene Türken lesen, die einen deutschen Pass haben - und am 22. September wählen dürfen.
Diese Wählergruppe kann kaum noch ein deutscher Politiker ignorieren. Die Zahl der Türken mit deutscher Staatsbürgerschaft schätzt Faruk `Sen, Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität Essen, auf 480 000 - das entspricht einem Prozent aller Wähler beim Urnengang für den Bund im Herbst 1998.
Aus diesem Reservoir wollen denn auch alle Bundestagsparteien schöpfen - von der PDS bis zur CSU. So zieht es Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberale, Grüne und Konservative derzeit zuhauf in Moscheen und islamische Vereine. Parteifunktionäre radebrechen mit muslimischen Kneipiers über den "lecker Tee", verbrüdern sich wie die Grünen-Politiker Claudia Roth und Cem Özdemir beim Fußball-Gucken oder lassen sich vom Barbier in Kreuzberg eine scharfe Rasur verpassen.
Auch "Hürriyet" kann sich kaum noch vor Politikern retten, die unbedingt zum Redaktionsbesuch kommen wollen. Den Anfang machte im Frühjahr ausgerechnet Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), der seinen Wahlkampf 1999 mit einer Unterschriftensammlung gegen den Doppelpass bestritten hatte. Dann traf Innenminister Otto Schily (SPD) am Rande einer Preisverleihung mit dem "Hürriyet"-Herausgeber zusammen, und Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber schaute sich in der Berliner "Hürriyet"-Redaktion das WM-Halbfinale Brasilien gegen Türkei an.
Hardliner der Union vergessen beim Schielen nach möglichen Wählern auch schon mal Grundsätze ihrer Ausländerpolitik. So gibt es von der CDU, die auf Dauer nur Fremde mit hinreichenden Deutschkenntnissen im Lande dulden will, Flugblätter zur Bundestagswahl auf Türkisch; FDP und SPD haben so etwas schließlich auch.
Generalstabsmäßig haben Gerhard Schröders Sozialdemokraten den Kampf um die Stimmen geplant. Bereits vor einem Jahr legte der hessische Europa-Abgeordnete Ozan Ceyhun Generalsekretär Franz Müntefering ein Wahlkampfkonzept vor. Orientieren will sich der aus der Türkei stammende Ceyhun, der 1992 eingebürgert worden war, an den machtvollen Kampagnen jüdischer Organisationen zu Präsidentschaftswahlen in den USA.
"Wir müssen deutlich machen, wir gehören in dieses Land, wir wollen dieses Land mitgestalten", sagt Ceyhun. Der quirlige 41-Jährige, erst Ende 2000 vom Realo-Grünen zum Sozialdemokraten konvertiert, sammelte prominente Türken für einen Unterstützer-Aufruf - Motto "Basbakanimiz Schröder" ("Unser Kanzler Schröder"). Mit dabei türkische Unternehmer, Gewerkschafter und Sportler.
Schröders Strategen haben offenbar die besten Chancen, die Immigranten bei sich zu integrieren. Nach einer Umfrage des Zentrums für Türkeistudien unter 1028 türkischstämmigen Migranten würden 68 Prozent SPD wählen. Die Union käme danach gerade mal auf 10 Prozent, die Grünen erhielten 15 Prozent.
Zum einen fühlten sich die Neu-Deutschen bei den Genossen deswegen besser aufgehoben, weil es die SPD-geführte Bundesregierung war, die die Einbürgerung erheblich erleichtert hat. Zum anderen machten gerade viele Türken ihre ersten politischen Erfahrungen in Deutschland am Arbeitsplatz, in Betriebsräten und bei SPDnahen Gewerkschaften, so die Analyse.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz warnt dennoch vor Euphorie bei Rot-Grün. Viele ihrer Landsleute hegten, würden sie in der Türkei wählen, Sympathie für konservative Parteien: "Das Potenzial für die Union unter den Migranten ist ganz schön groß." Bei der Umfrage des Essener Instituts bekannten sich denn auch mehr als die Hälfte aller Befragten - trotz der Wahl-Präferenz - zu einer eher konservativ-liberalen Grundeinstellung.
Doch die Truppe von Kanzlerkandidat Stoiber tut sich schwer mit dieser Zielgruppe. Ausgesuchte Vorzeige-Immigranten in der Union sind vor allem damit beschäftigt, Ignoranz und Ängste abzubauen. So gibt Bülent Arslan, CDU-Landesvorständler aus Nordrhein-Westfalen, Parteifreunden Nachhilfe in Migranten-Werbung. Seit Mitte Mai begleitet er jede Woche einen CDU-Bundestagskandidaten zum Freitagsgebet in eine Moschee in dessen Wahlkreis, "damit unsere Leute diese wichtige Wählergruppe kennen lernen".
Auch Helmut Brandt, CDU-Bundestagskandidat aus Alsdorf bei Aachen, war bis zu seinem Freitagstermin noch nie in einem muslimischen Gotteshaus. Im Vorzimmer der Alsdorfer Moschee, ein Glas Tee in der Hand, lobt er, dass "Türken mehr Spaß daran haben, Kinder in die Welt zu setzen, als Deutsche". Viele "ordentliche, vernünftige ausländische Geschäftsleute" habe er schon kennen gelernt, assistiert ein Wahlkampfhelfer. Der Imam lächelt höflich.
Für solche Verständnis-Visiten hat das Berliner FDP-Bundesvorstandsmitglied Mehmet Daimagüler nur Hohn und Spott übrig. Der gelernte Jurist ist sicher, "Ali Normalverbraucher" werde "solche rein wahltaktischen Manöver durchschauen".
Das Geheimnis der FDP-Strategie beim Werben um die eingebürgerten Ausländer bestehe darin, dass es keine Strategie gebe, sagt Daimagüler. Die Neu-Deutschen sollen nicht mit speziellen Migranten-Themen gelockt werden, sondern mit jahrzehntelang bewährten - weil nie erfüllten - FDP-Parolen: niedriger Spitzensteuersatz und besseres Bildungssystem.
"Echt liberale Eigeninitiative" fordert Daimagüler von den Türken in Deutschland und findet sie etwa bei Yüksel Akay, dem 35-jährigen Besitzer eines türkischen Supermarkts in der Berliner Oranienstraße. Weil der Geschäftsmann für seine Tochter keinen Platz in einem zweisprachigen Kindergarten bekam, will er nun selbst einen gründen. Der FDP-Mann verspricht, eine Bildungsexpertin seiner Partei vorbeizuschicken.
Ob Leute wie Daimagüler in der Politik wirklich Einfluss bekommen, ist mehr als fraglich. Im Bundestag und in den Länderparlamenten sind die Vorzeige-Migranten eine kleine Minderheit - und das wird wohl so bleiben. Mit einem Platz im Berliner Parlament kann nach dem Verzicht des smarten Grünen Özdemir vom vergangenen Freitag nur mehr eine einzige "Neu-Inländerin" rechnen: die Kölner Psychologin Lale Akgün. Die Leiterin des nordrhein-westfälischen Landeszentrums für Zuwanderung ergatterte den sicheren Platz zehn auf der Landesliste der Sozialdemokraten. Multi-Kulti Özdemir wird dem nächsten Bundestag nun nicht mehr angehören, nachdem seine finanzielle Verbindung zu dem Frankfurter PR-Agenten und CDU-Funktionär Moritz Hunzinger aufgeflogen ist.
CDU-Landesvorständler Arslan scheiterte mit seiner Bewerbung um den Wahlkreis Hagen-Ennepe-Ruhr. Die Parteibasis rebellierte offen gegen den Muslim. Ihm blieb Platz 45 auf der Landesliste - so viele Stimmen von Migranten kann Arslan kaum werben, dass er damit noch eine echte Chance hat. Bei der Bundestagswahl 1998 war nach Platz 34 Schluss.

ANDREA STUPPE, ANDREAS WASSERMANN






Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,207929,00.html


Dr. H.Lecter
 
aus der Diskussion: Türkisch, bald 2. Amtssprache?
Autor (Datum des Eintrages): Dr.Hannibal_Lecter  (30.08.02 17:04:49)
Beitrag: 27 von 171 (ID:7249297)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE