Fenster schließen  |  Fenster drucken

Wie versprochen geht es jetzt weiter:



Die Story von dem Blonden, der eigentlich kein richtiger Hippie, sondern wohl eher ein Softie oder Sunnyboy war, erzählte, wie er eines Abends allein ins Kino ging und auf eine Kartenabreißerin traf, die genau wie seine Lieblingsschauspielerin Sandra Bullock aussah, mit ihm ein paar Worte wechselte, ihn nett fand, und sich dann nach der Werbung zu ihm setzte, um ihm beim Film Gesellschaft zu leisten und anschließend mit ihm in ein nettes Lokal zu gehen.
Ich fand das ganze ein wenig lächerlich. Ich fragte mich, warum er sich nicht ausgedacht hatte, Sandra Bullock sei aus der Leinwand auf ihn zugekommen, um mit ihm zusammen zu sein.

Sabine kam nicht. Das fand ich noch lächerlicher. Es war genau wie mit Melanie. Erst traf man seine Traumfrau, dann wartete man viel zu lange auf das Wiedersehen, schließlich zickte sie rum und ließ einen auflaufen, und schließlich mußte man sich mit der Tatsache abfinden, daß sie einem anderen gehörte.
Die nächsten Hobby-Dichter lasen Geschichten vor, die mir rätselhaft blieben. Jeder Vortragende wurde artig beklatscht.
Klatschend trat ich den Rückzug an.
Adios, Sabine.
Sie war für mich wie ein Enzym gewesen.
Enzyme verändern alles, nur sich selbst ändern sie dabei nie.

Da ich jetzt schon in der Großstadt war und die Benzinkosten für die Fahrt noch nicht als Fehlinvestition buchen wollte, beschloß ich ins Kino zu gehen und mir irgendeinen Film anzuschauen, der in unserem Dorfkino garantiert niemals zu sehen sein würde.
Ich besorgte mir ein Kino-Programm, aber ich konnte mich für keinen Film entscheiden, denn vom Inhalt schienen sie ohne Ausnahme Müll zu sein.
Schließlich kam mir die Idee, meine Englisch-Kenntnisse endlich mal wieder aufzufrischen. Tatsächlich lief im kleinsten Kino der Stadt ein englischer Film im Original. Bis zum Beginn der Vorstellung blieb mir gerade noch genug Zeit, das Kino zu erreichen. Ich mußte mich beeilen und ich hatte keine Zeit mehr zum Nachdenken.
Leider verlief die Parkplatzsuche vor dem Kino abenteuerlich. Ich mußte mich beeilen, um den Weg vom Auto zur Kasse rechtzeitig zu schaffen.
Mit dem Ticket in der Hand und leicht schnaufend enterte ich den Gang zu den Sälen.
Und dann sah ich sie.

Ihr Lächeln war das einer Mona Lisa und alles Übrige ließ jeden realen Filmstar einschließlich der echten Sandra Bullock verblassen. „Hallo“, sagte ich.
„Guten Abend“, entgegnete sie.
Ich reichte ihr meine Karte.
Als sie den Kopf senkte, schaffte ich es, meinen Blick von ihren Augen zu lösen.
Sie stand mit dem Rücken zu einem „Toy Story“-Filmplakat.
Ich grübelte fieberhaft darüber nach, wie ich sie in ein Gespräch verwickeln konnte.
„Heißt du zufällig Justine?“, fragte ich.
„Ja“, antwortete sie.
Ihr Blick wirkte leicht überrascht. Ich war selbst überrascht. Im Gegensatz zu Sabine beantwortete Justine manche Fragen einfach mit „ja“.
„Oh“, sagte ich.
Sie war die Frau aus der Geschichte, die soeben auf der Poetry-Dings vorgelesen worden war. Ihr Name, ihr Aussehen, ihr Job, der name des Kinos... Alles paßte!
„Woher weißt du das?“, fragte sie.
Ich hätte sie am liebsten auf der Stelle abgeknutscht, und zwar nicht nur, weil sie so hübsch und nett und aufregend geheimnisvoll war, sondern weil sie mir eine Möglichkeit gab, unser Gespräch fortzusetzen, statt sie nur stamelnd anzustarren.
„Ja“, sagte ich.
„Ja?“
Sie kicherte. Es klang irgendwie lieblich und auch gleichzeitig sehr vornehm. Ich lernte soeben zum erstenmal im Leben eine echte Lady kennen.
„Das stand in meinem Horoskop“, sagte ich.

Sie betrachtete mich mit einer leichten Unsicherheit. Es widersprach allen Grundsätzen der Strategie, von der Poetry-Party zu berichten und sie so darauf hinzuweisen, daß ein anderer Mann ihr gehuldigt hatte. Der einzige Mann, an den sie jetzt denken sollte, war ich.
„Das war ein Scherz“, korrigierte ich.
„Und wie kommst du dann auf den Namen?“
„Du erinnertest mich im ersten Augenblick am Sandra Bullock in einem ihrer frühen Filme, wo sie eine Frau namens Justine spielte.“
„Nie gehört“, sagte sie.
Ich erschrak über ihr Achselzucken. Das bedeutete „Alarmstufe Rot“- ich drohte sie zu verlieren.
„Es war damals noch eine Indipendent-Produktion“, sagte ich.
„Aha“.
Sie wich demonstrativ meinem Blick aus. Nun geriet ich langsam doch in Panik. Wenn ich nicht den Eindruck auslöschte, daß ich soeben vergeblich um Blickkontakt kämpfte, hielt sie mich für einen Loser und würde denken, bereits mit mir fertig zu sein. Also tat ich, als würde ich in Wirklichkeit nicht sie, sondern das Plakat hinter ihr anglotzen und nach einer Aufschrift suchen.
Sie stutzte.

Ich starrte noch fester auf das Kino-Poster.
Endlich sah sie mir leicht in die Augen. Ich wandte alle meine Kraft auf, um nicht zu blinzeln oder zu zwinkern.
Schließlich folgte sie meiner Blickrichtung und sah sich ebenfalls das schon etwas betagte Poster an.
Jetzt mußte ich irgendetwas vorlesen, das deutlich zu erkennen war, so daß sie mir sofort glauben würde, daß ich gerade nichts anderes tat. als das Plakat zu studieren.
„PIXAR“, sagte ich in verschwörerischem Tonfall.
„Was ist damit?“, fragte sie.
„Das ist die Firma, die diesen schönen Film gemacht und damit die Zeichentricktechnik revolutioniert hat.“
„Ja und?“
Das hörte sich nun schon etwas neugierig und ungeduldig an.
Ich holte tief Luft und sagte so lässig wie möglich:
„Von denen habe ich Aktien!“

....
 
aus der Diskussion: Meine Frauen und meine Aktien
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (13.09.02 22:26:22)
Beitrag: 107 von 758 (ID:7358216)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE