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Hallo,


jetzt kommt endlich wieder ein neues Kapitel. Gestern war ich anderweitig beschäftigt. Ich nahm ich an einem Blitzschachturnier teil.




Fortsetzung:


„Du hast Aktien?“, fragte sie nachdenklich.
Sie sah mich an, wie es nur Frauen können. Frauen sind komplizierter als wir. Wenn Frauen Autos wären, besäßen sie wie teure Geländewagen zwei Schalthebel für sechs normale Vorwärtsgänge, zuschaltbaren Allradantrieb und mehr. Wir Männer sind eher wie eine „Boss Hoss“, d.h. wie das in Einzelfertigung hergestellte amerikanische Motorrad mit V8-Motor, das dank seiner ausreichend großen Kraft nur einen einzigen Gang benötigt.
Sie wirkte gleichzeitig interessiert und gelangweilt, zugeneigt und trotzig, teilnehmend und abgestoßen, zickig und nett. Ihre Gefühle schienen sich gegenseitig aufzuwiegen.
Das faszinierte mich, aber so kam ich nicht vorwärts. Ich beschloß, ehrlicher zu sein.

„Also gut“, sagte ich, „vorhin war ich auf so einer Poetry-Party, also auf einer dieser neumodischen Veranstaltungen, bei denen jeder Nachwuchsautor seine Memoiren vorlesen darf, und da erzählte jemand von Kartenabreißerin im Kino, die wie ein Filmstar aussieht.“
Sie sah mich ruhig an.
„Die Geschichte spielte in diesem Kino und die Frau hieß wie du.“
„Ja?“
„Jawohl. Er beschrieb sie als Doppelgängerin irgendeiner berühmten Schauspielerin, und als ich hier entlangging, fiel mir das sofort wieder ein, denn wenn ich jemals einer Frau begegnet bin, die wie ein Filmstar aussieht, dann bist du das.“
Sie senkte leicht den Kopf und lächelte leise. Plötzlich war wieder diese Ähnlichkeit mit Mona Lisa da. Jede andere Frau hätte entweder gekichert oder wieherndes Gelächter angesondert. Aber Justine war offensichtlich eine feine Frau und Bewunderung gewohnt.
„Naja, den Rest von der Story fand ich beim Zuhören weniger prall. Es kam mir wie die Schilderung eines Wunschtraums vor.“
„Wie ging die Geschichte denn weiter?", erkundigte sie sich.
Sie sah mir in die Augen.

Ich kostete diese Gunst voll aus, indem ich mich nachdenklich am Kinn kratzte und erst spät und langsam mit wohlabgewogenen Worten antwortete.
Ich erkannte in ihrem Blick aufkommende Ungeduld.
„Ja, also, da war eigentlich dann nicht mehr viel“, sagte ich. „Der Held der Story, die übrigens in der Ich-Form erzählt war, wie das bei Geschichten von Anfängern ja meistens der Fall ist, so daß das, wie ich mal gehört habe, für Lektoren schon beinahe ein Indikator dafür ist, daß es sich um einen Dilettanten, äh, Idealisten handelt, und sie dann, weil sie sowieso viel zu viel zu tun haben, und bei deutschen Verlagen jedes Jahr ungähr 300000 Manuskripte eingehen, wobei zum Beispiel der Bertelsmann-Verlag...“
Sie sah sich ein wenig um und verlagerte ihr Gewicht vom linken auf das rechte Bein und umgekehrt.
Vielleicht faßte ich mich doch besser kurz, auch wenn das wohl sehr anti-intellektuell wirken würde.
„Irgendwie haben die beiden sich ein bischen über die Börse unterhalten, und dann hat sie ihm seinen Platz vorgelesen, ihn reingeschickt, ihm später Eis verkauft, und sich schließlich zu ihm gesetzt, um auch den Film zu sehen.“
Sie drehte den Kopf zur Seite und sah mich schräg an.

„Die Geschichte habe ich irgendwo schon mal gehört“, sagte sie.
„Na, dann weißt du ja, daß ich nicht lüge.“
Sie zuckte mit den Schultern.
„Warum solltest du lügen?“
Ich zuckte auch mit den Schultern. Den Gesprächspartner in seinen Gesten nachzuahmen, war ein Signal der Verbundenheit, hatte ich in einem populärwissenschaflichen Buch über Psychologie gelesen. Wenn ich mich noch richtig an die Lektüre meiner Pubertät erinnerte. hieß sowas „Haltungsecho.“
„Keine Ahnung“, sagte ich, „aber du kennst mich ja kaum.“
„Stimmt“, sagte sie. „Das ist aber nicht schlimm.“
Ich beschloß, ihren letzten Satz nicht negativ auszulegen. Nur POSITIVES DENKEN brachte einen im Leben weiter.
„Ich interessiere mich auch für die Börse. Ich spekuliere sogar selbst“, sagte ich.
„Der besagte Film handelte davon, wie ein Spekulant sich ruiniert. Sowas finde ich immer ganz amüsant."

Ich ärgerte mich, daß ich mir die Geschichte so schlecht gemerkt hatte.
„Bist du jetzt nervös, weil du noch reingehen und Eis verkaufen mußt?“, fragte ich verständnisvoll.
„Nein“, sagte sie. „Es war schon jemand drinnen. Jetzt läuft längst der Hauptfilm.“
„Hast du den schon gesehen?“, fragte ich.
„Ja, den habe ich schon längst gesehen.“
Ich nickte.
„Kommst du auch noch rein?“, fragte ich.
Sie schwieg mit starrer Miene.
POSITIVES DENKEN.
„Ich meine“, fügte ich hinzu, „wenn du den Film schon kennst, ist es ja nicht so schlimm, daß du den Anfang diesmal verpaßt hast.“

Sie winkte ab.
„Ich fand den Film nicht so toll, daß ich ihn mir ein zweitesmal ansehen müßte.“
„Na, wenn er nicht so toll war, sollte ich ihn mir vielleicht auch schenken und mich lieber noch ein bischen länger mit dir unterhalten“, konterte ich.
„Oh nein“, sagte sie, „du hast doch schon bezahlt, und wenn du dir den Film jetzt nicht ansiehst, müssen wir dir das Geld zurückgeben und haben heute wieder nichts verdient. Dann ist mein Job in Gefahr. Das willst du doch nicht, oder?“
„Nee.“
„Und wenn man den Film zum erstenmal sieht, ist er total genial, wirklich. Nur wenn man die Pointen alle schon kennt, ist er etwas langweilig. Dann ist die Spannung raus. Aber ihn garnicht gesehen zu haben, ist eine Bildungslücke. Du mußt ihn dir unbedingt angucken. Also geh lieber rein, bevor du noch mehr verpaßt!“
Ohne die Lektüre zahlreicher Bücher über POSITIVES DENKEN hätte ich gefürchtet, sie wolle mich einfach loswerden, aber geschult wie ich war, freute ich mich stattdessen darüber, daß ich ihr soviele Worte wert war.
„Okay“, sagte ich, und wandte mich zum Eingang des Saals.
Dann fiel mir noch etwas ein, was ich ihr eigentlich unbedingt sagen mußte, aber als ich mich wieder umdrehte, konnte ich nicht erkennen, in welche Richtung sie verschwunden war.
Was hatte sie noch gleich gesagt?
Der Film handelte von einem Börsenmakler?




;)
 
aus der Diskussion: Meine Frauen und meine Aktien
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (16.09.02 15:10:38)
Beitrag: 113 von 758 (ID:7371322)
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