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Am Steuer des Streifenwagens saß eine junge Polizistin.
Genau wie meine Anlageberaterin strahlte sie gleichzeitig Autorität und anteilnehmende Sorge aus. Sie wirkte ein wenig streng, aber es mußte wohl erlernte Strenge sein, die nur auf Verantwortungsgefühl beruhte und ihre Sensibilität nicht beeinträchtigte.
Es war Liebe auf den ersten Blick.
Ich blieb stehen.
Mitten auf der Straße.
Sie sah sich mit offensichtlicher Erschütterung die Fenster an. Zum erstenmal hatte ich den Eindruck, daß es manchen Frauen peinlich war, sich dort zu zeigen.
Ich stellte mich breiter hin.

Vielleicht fuhr sie mich an und machte dann Wiederbelebungsversuche mit Mund-zu-Mund-Beatmung.
Nein.
Sie hielt den Wagen an.
Ich blieb weiter stehen und sah ihr klaren Blickes in die grünen Augen. Ihre Augenfarbe harmonierte herrlich mit ihrer Uniform. Wenn ich nur lange genug stehenblieb, würde sie mich vielleicht wegen Behinderung von Fahndungsmaßnahmen oder ähnlichem verhaften und eine Leibesvisitation vornehmen.
Sie kniff die Augen zusammen.
Sie war erregt.
Gut.

Dann öffnete ihr Kollege die Tür und ich machte eilig Platz, wobei ich mein rechtes Bein deutlich nachzog, damit er bloß nicht meinte, ich hätte absichtlich den Weg blockiert.
Mit Erleichterung registrierte ich, daß er die Tür kopfschüttelnd wieder zuwarf.
Ich wechselte auf den Bürgersteig.
„Willst du mal reinkommen?“, fragte eine rauchige Frauenstimme.
Ich sah dem Streifenwagen nach. Eigentlich wäre ich lieber bei der schönen Polizistin mitgefahren, aber der Platz bei ihr war nicht mehr frei.
„Na?“, fragte die rauchige Stimme.
„Gute Idee“, sagte ich.
„Dann komm doch“, sagte die Hure.
Sie war akzeptabel. Wenn ich etwas spontane Begeisterung zeigte, war sie bestimmt auch nett zu mir und machte ihren Job ohne Zicken. Wenn ich sie allerdings zu lange hinhielt, oder jetzt sogar weiterging, um mir erst die komplette Auswahl anzusehen, verdarb ich es mir mit ihr, und sie würde nur noch mürrisch ein Minimum an Arbeitseifer aufbringen. Weiterzugehen bedeutete ein großes Risiko.
„Welche Tür?“, fragte ich.
„Links“, sagte sie.

Als ich mich wieder anzog, konnte ich meine Neugier nicht länger zügeln.
„Warum war denn vorhin ein Streifenwagen hier?“
„Ach, das ist nur, weil ein Mann hier war, der meine Freundin hauen wollte“, sagte sie.
„Wollte er nicht bezahlen?“
„Doch“, sagte sie. „Er wollte sie dafür bezahlen, daß er sie hauen darf. Ein Perverser! Und dann wurde er böse, weil er nicht kriegte, was er wollte!“
„Ist die Polizei gekommen, um den Mann unschädlich zu machen?“
„Nein“, antwortete sie. „Ich bin gekommen, um ihr zu helfen, den Kerl zu verjagen. Dann ist er gegangen. Aber aus Rache behauptet er nun, ich habe ihm seine Armbanduhr geklaut!“
Unauffällig überzeugte ich mich davon, daß meine Armbanduhr noch an ihrem Platz war. Meine Armbanduhr und meine Socken behielt ich hier grundsätzlich an.
„So eine unverschämte Lüge“, sagte ich. „Wer soll denn das glauben?“
„Er hat eine Anzeige gemacht“, nuschelte sie.
„Tja, dann muß die Polizei der Sache nachgehen“, sagte ich.
Sie schmiegte sich an mich und gurrte: „Wolfi löst mich bestimmt aus, oder?“

Ich dachte einen Moment ernsthaft darüber nach. Aber es ging nicht.
„Nein, das geht nicht“, sagte ich dann. „Ich bin im Moment voll an der Börse investiert. Ich brauche meine ganze Kohle, um mit Aktien zu zocken.“
Sie zupfte an meinem Hemdkragen herum.
„Bringt das denn was, mit Aktien zu zocken?“, fragte sie.
„Ja“, antwortete ich.
Leider brachte es in letzter Zeit nicht mehr soviel wie früher. Seit die Internet-Aktien vierstellige KGV´s erreicht und sich auf diesem Niveau etabliert hatten, gab es nicht mehr viel zu holen. Ich konnte keine wirklich bedeutenden Vermögenssteigerungen mehr erzielen. Auch die riskantesten Deals mit vollem Kapitaleinsatz brachten nach Abzug der Spesen oft nur gerade ausreichend Gewinn, um damit im Puff eine halbe Stunde Entspannung zu kaufen. Meine Anlageberaterin wirkte zunehmend besorgter, weil ich immer größere Risiken einging. Als ich daran dachte, fiel mir auch wieder die Polizistin ein.
Ich öffnete die Tür, um zu gehen.
Da stand sie.
Meine Lieblingspolizistin.

„Wir müssen noch einmal mit ihnen sprechen“, sagte sie zu der Hure, während es mir vorkam, als würde sie mir leicht zuzwinkern. Sie war wirklich so bürgerfreundlich gewesen, mit der Vernehmung zu warten, bis ich meinen Service voll ausgekostet hatte.
Einen Moment lang bedauerte ich, daß sie nicht einfach rücksichtslos ins Zimmer geplatzt war. Dann hätte sie mich nackt sehen können, mit angespanntem Ober- und Unterkörper. Die Idee, ihr auf diese Weise entgegenzutreten, erregte mich sehr und blockierte meinen Verstand völlig. Unwillkürlich fummelte ich an meinen Hemdknöpfen herum und näherte mich der Uniformträgerin, die mich verwundert ansah und ihre rechte Hand auf ihre Waffe stützte.
„Alles klar mit ihnen?“, knurrte ihr Kollege, den ich bis dahin ganz vergessen und übersehen hatte.

Sofort legte ich die Hände an die Hosennaht.
„Jawohl“, antwortete ich.
„Der Ausgang ist da drüben“, sagte er.
Ich wandte mich von seiner Kollegin ab und setzte meinen Marsch mit korrigierter Richtung fort.
Eine für mich unsichtbare Person ließ die Tür summen.
Ich sah mich noch einmal um.
Nein, die Polizistin drehte sich nicht um. Irgendwie bedauerte ich das.
Endlich ging ich wieder auf die Straße.

Draußen fühlte ich mich zutiefst ernüchtert.
Auch hier konnte man nicht jede Frau haben. Auch hier konnte man sich unglücklich verlieben. Auch hier konnte man der Frau seines Lebens begegnen, daran scheitern und sich hinterher wie der größte Loser aller Zeiten vorkommen.
Das war nicht mehr das Männer-Paradies.
Jetzt nicht mehr.
Nicht für mich.



(Fortsetzung folgt)
 
aus der Diskussion: Meine Frauen und meine Aktien
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (30.09.02 04:28:51)
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