Fenster schließen  |  Fenster drucken

Für die "Melanie"-Fans gibt es jetzt ein Wiedersehen:



Ich fühlte, daß ich in einer Sackgasse gelandet war. Meine Traumfrau Justine haßte mich, oder würde mich jedenfalls nie drauf lassen, und auch die geschulten Kräfte in der verbotenen Straße konnten mich nicht mehr trösten. Obendrein ging es mit meinem 5-Jahres-Plan, der mich durch Aktienspekulationen zum Millionär machen sollte, nicht weiter. Ich war noch keine dreißig, aber schon am Ende.
Wenn ich über meine Vergangenheit und verpaßte Chancen nachdachte, kam es mir vor, als hätte ich nur verbrannte Erde hinterlassen. Aber zumindest in dieser Hinsicht irrte ich.
Eines Abends klingelte das Telefon.

Ich hatte schon lange keinen Anruf mehr erhalten. Laura meldete sich nicht mehr, seit ich ihr von meiner Anlageberaterin erzählt hatte. Meine Eltern riefen nicht mehr an, seit ich auf die Frage „Wie geht es dir?“ grundsätzlich immer sofort ausführlich die Aktien in meinem Depot und auf meiner Watchlist analysierte.
Einen Moment lang dachte ich, daß der Wecker klingelte.
Dann ging ich ran.
„Hallo“, sagte ich.
„Hier ist Kalle!“
„Kalle?“

Der Kerl kam mir irgendwie beunruhigend vertraut vor, aber das mußte eine Erinnerung aus einem früheren Leben sein.
„Klar, dein Kumpel Kalle! Soviele Kumpel hast du doch nicht, oder?“
„Seitdem ich Aktientipps verteile, nicht mehr“, antwortete ich ganz ehrlich.
„Hahaha“, machte er. „Dich hat die Seuche also auch erwischt. Ja, das ist wirklich eine Epidemie. Ich bin auch schon ganz ballaballa. Deswegen braucht sich keiner zu schämen.“
„Was hälst du von Satelliten-Telefonie?“, fragte ich. „Der Hype um Internet-Aktien neigt sich dem Ende zu. Die Analysten bei den Banken brauchen eine neue Branche, bei der sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen können, um die Privat-Anleger zu verblöden und auszunehmen. Ich dachte erst, daß die Biotechnologie ein Comeback erlebt, oder daß bald alle auf Brennstoffzellen-Technologie setzen, aber jetzt scheint es mir am wahrscheinlichsten, daß die Satelliten-Telefonie zur nächsten Anlegerfalle wird. Die Kunst ist, rechtzeitig dabei zu sein und rechtzeitig auszusteigen.“
„Eigentlich wollte ich Schach spielen“, unterbrach mich Kalle.
„Schach spielen?“
„Ja, wie früher. Seit ich einen Computer habe, spiele ich oft gegen Helmut.“
„Helmut?“
„Kennst du nicht das Schachprogramm Helmut?“
„Sicher doch“, sagte ich. „Mich wundert nur, daß Du das hast.“
„Soso. Ich habe es aber. Neulich war ich mal wieder im Schachklub. Vielleicht spiele ich bald wieder in der Mannschaft.“
Ich wollte ihm absagen, denn ich hatte keine Zeit, weil ich immer die Börsen-Indizes und die Aktienkurse beobachten und auf vielen mittlerweile längst untergegangenen und vergessenen Börsen-Seiten, die damals oft stündlich aktualisiert wurden, nach Ad-hocs suchen mußte. Aber dann hörte ich im Hintergrund eine weibliche Stimme.

„Morgen geht es nicht!“
Die Erkenntnis, welche Frau da rief, ließ mich vor meinen Augen einen Blitz sehen, der sich fühlbar einen Weg durch meine ganze Wirbelsäule bahnte.
„Melanie sagt, morgen abend geht es nicht“, bestellte mir Kalle.
„Morgen abend kann ich auch nicht“, sagte ich rasch, obwohl ich das eigentlich noch garnicht wissen konnte. „Wie wäre es mit heute?“
„Heute?“
„Ja, jetzt hätte ich Zeit, Kalle. Sonst müßten wir erst wieder neu telefonieren!“
„Ach du meine Güte!“, rief er. „Kann es sein, daß du pausenlos online bist? Ich habe schon seit Wochen versucht, dich zu erreichen, aber bei dir ist ständig besetzt!“
„Dann machen wir es doch jetzt klar“, sagte ich.
„Okay, heute.“
Nach dem Gespräch setzte ich mich wieder vor meinen Computer und startete „Helmut 4.1“, um zu trainieren. Wir würden bei Kalle und Melanie spielen. Vor Melanie wollte ich mich auf keinen Fall blamieren, selbst wenn sie vielleicht nicht mehr ganz so hübsch wie früher war. Trotzdem war sie immer noch Melanie.


(Fortsetzung folgt)
 
aus der Diskussion: Meine Frauen und meine Aktien
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (04.10.02 14:43:23)
Beitrag: 132 von 758 (ID:7516481)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE