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Melanie und Kalle hatten eine ansprechend eingerichtete und sehr ordentliche Wohnung, in der nichts an ihre früheren Hippie-Allüren erinnerte.
Kalle und ich setzten uns zum Schachspielen in die Küche. Er besaß eine Schach-Uhr, so daß wir „Blitzschach“ spielen konnten. Zu meiner Überraschung hatte er es wieder voll drauf. Von der Spieltechnik war zwischen uns kein großer Unterschied. Meistens gewann derjenige von uns beiden, der gerade schneller zog. Einmal geriet ich besonders ins Grübeln, während meine fünf Minuten davonrannten.
„Wie würde John Wayne jetzt sagen?“, fragte Kalle.
„Zieh, wenn du ein Mann bist!“, zitierte ich.

„Weißt du noch, wie du das mal zu mir gesagt hast?“, fragte Kalle.
Ich nickte nur, ohne den Blick von der verzwickten Situation auf dem Brett abzuwenden.
„Wie alt sind wir damals gewesen?“, fragte er.
„Vierzehn“, riet ich.
„Und weißt du auch noch, was ich geantwortet habe?“
„Du hast gesagt, du wärst noch kein Mann, aber in 24 Stunden würdest du einer sein!“
Er lachte. Ich sah vom Brett auf. Nun schüttete er sich Bier in die Kehle. Ich machte meinen Zug und schlug auf die Uhr, daß sie laut krachte.
„Willst du wissen, wer die Perle war, mit der ich damals Bumsen geübt habe?“, fragte er.
„Nee“, sagte ich. „Jetzt nicht mehr. Ich habe inzwischen selbst welche zum Üben gefunden.“
Mir fiel wieder seine damalige Erklärung ein: „Auch Bumsen muß man es erst lernen. Meistens geht es beim erstenmal daneben. Dieses Risiko will ich nicht eingehen, wenn ich mal eine Frau treffe, die für mich die absolut Richtige ist. Dann muß es klappen. Ich kenne ein Mädchen, das genauso denkt. Sie ist etwas älter als ich. Sie ist nicht mein Typ, und ich bin auch nicht ihr Typ, aber wir sind gute Bekannte und wollen uns gegenseitig was beibringen- zum Nutzen unserer späteren Partner.“
Unwillkürlich mußte ich bei dieser Erinnerung den Kopf schütteln.

„Verdammt, ich stehe im Schach!“, stellte er fest.
„Jau“, sagte ich.
„Du hast das garnicht gesagt“, reklamierte er.
„Natürlich nicht“, gab ich zu. „Dafür sind wir zu gut.“
Er sah auf die Schach-Uhr.
„Verdammt, ich muß ziehen!“, rief er.
„Jau.“
Er zog seinen König aus dem Schach und schlug krachend auf die Uhr. Ich reagierte so schnell wie möglich und schlug ungefähr genauso laut auf die Uhr.
Dann ging hinter uns die Tür auf. Melanie kam herein.
„Vertragt ihr euch noch?“, fragte sie.
„Sich zu vertragen ist doch langweilig!“, rief er. „Schach!“
„Nee, wir kämpfen noch“, sagte ich. Dann sah ich, daß Matt in drei Zügen matt war und fluchte.
„Wenn man euch so hört“, begann Melanie, „könnte man denken, ihr schlagt euch die Köpfe ein!“
„Zeit!“, brüllte ich. "Du hast verloren, du lahme Ente!"
Kalle sah auf die Uhr und gröhlte zornig: „Fucking!“
Melanie zuckte zusammen.
„Pfui“, sagte sie.

„Schach ist eben ein Männersport“, verteidigte sich Kalle.
„Jau“, sagte ich.
„Willst du kein Bier?“, fragte mich Melanie.
„Ich bin mit dem Wagen hier“, sagte ich.
„Möchtest du einen Kaffee oder Tee?“, fragte sie.
„Tee wäre prima“, sagte ich.
Kalle beobachtete sie, während ich die Figuren wieder aufbaute.
„Weißt du noch, wie wir damals in meinem Baumhaus Schach gespielt haben?“, fragte er mich.
„Baumhaus?“, fragte ich lachend. „Da waren doch nur ein paar Bretter und sonst garnichts!“
Natürlich erinnerte ich mich an die alte Eiche. Dort hatte ich zum erstenmal im Leben Klimmzüge gemacht, um Kalle zu folgen, der sich am untersten Ast stets mit einem Überschwung in die Höhe beförderte. Bis zu seinem „Baumhaus“ mußte man ungefähr zwanzig Meter weit nach oben klettern.
„Dafür konnte man von dort umso besser in den Garten von Yvonne sehen“, sagte er grinsend. „Und das wolltest du damals doch immer.“
„Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“, sagte ich.

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie scharf der damals auf Yvonne war“, sagte Kalle zu Melanie.
Sie stellte Wasser auf.
„Blödsinn“, warf ich ein.
„Der war damals ein richtiger Stubenhocker und hat sich vor Angst immer fast in die Hosen geschissen, wenn wir hochgeklettert sind“, sagte Kalle, „aber der wollte unbedingt mal Yvonne im Bikini sehen!“
„Ach was“, leugnete ich, „das wolltest die doch selbst immer sehen!“
„Und wenn schon“, sagte er. „Ich mußte mir dazu ja auch nicht in die Hosen machen. Für mich war das ein Klacks. So what?“
„Die Yvonne, die ich kenne?“, fragte Melanie mit dem Teebeutel in der Hand.
„Ich kann mich daran garnicht erinnern“, sagte ich.

„War sie damals sehr hübsch?“, erkundigte sich Melanie.
„Naja, sie sah ganz okay aus“, murmelte ich.
Kalle lachte.
Melanie goß den Tee auf.
„Das war Wolfs erste Liebe“, sagte er sichtlich amüsiert. „Er hat nur angefangen, Schach zu spielen, weil ich ihr Nachbar war und er sie von uns aus immer sehen konnte.“
Meistens hatten wir bei Kalles Eltern auf der Veranda gesessen und ich hatte fast jedes Schäfermatt, aber nie einen Auftritt von Yvonne übersehen.
„Kinderkacke“, sagte ich. „Laß uns weiterspielen!“
„Ich habe sie damals zusammengebracht“, sagte Kalle.

„Weiterspielen“, knurrte ich.
„Ich habe den Eindruck“, begann Melanie, „daß du dich garnicht mehr an Yvonne erinnern möchtest.“
Sie stellte den Tee vor mir ab. Es war mir irgendwie unmöglich, in ihrer Gegenwart zuzugeben, daß Kalle Recht hatte.
„Ich kann die Schnepfe nicht mehr leiden“, log ich.
„Ich schon“, sagte Melanie. „Das ist meine beste Freundin!“
Sie warf den Teebeutel in den Mülleimer und die Tür hinter sich zu.
Kalle sah mich unverwandt an und rülpste.
„Du benimmst dich wie ein Schwein“, sagte ich.
„Das sagt mir der Richtige“, lästerte er.
„Du bist besoffen“, sagte ich.
„Stimmt. Aber morgen bin ich wieder nüchtern, aber du bist morgen immer noch ein Depp!“

Ich machte meinen Eröffnungzug und schlug auf die Uhr.
„Weiterspielen“, knurrte ich.
Kalle horchte.
Ich hielt die Uhr an und horchte nun ebenfalls. Melanie und Kalle hatten soeben noch einmal Besuch bekommen. Ich hörte eine zweite Frauenstimme, die etwas zickig klang, also beinahe so, wie ich es einst bei Yvonne unwiderstehlich gefunden hatte.
„Wer ist das?“, fragte ich.
„Nur wiedermal ihre beknackte kleine Schwester“, murmelte er und verdrehte die Augen. Dann machte er seinen ersten Zug und setzte die Uhr erneut in Gang.
„Du bist am Zug“, mahnte er.
Ich lauschte weiter nach dieser aufreizenden Stimme im Nebenzimmer und fragte mich, wie Kalle das wohl meinte.

(Fortsetzung folgt)
 
aus der Diskussion: Meine Frauen und meine Aktien
Autor (Datum des Eintrages): Wolfsbane  (05.10.02 02:32:12)
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