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US-Schriftsteller Kurt Vonnegut über den Irrsinn des US-Präsidenten, Krieg als Volks-Unterhaltung und irritierte Marsmenschen

80 Jahre alt wird er am 11. November, was man ihm wahrlich ansieht. Zerfurcht das Gesicht, zerzaust die Haare, zerzaust auch der Strickpullover: So sitzt Kurt Vonnegut im Atelier gegenüber seiner New Yorker Wohnung. Ein wenig kokettiert er mit der Rolle des Alten, der den Jungen nichts mehr zu sagen hat. Aber wenn man ihn schon mal fragt, gibt er Antwort, nuschelnd zwar, aber ausgiebig. Und er lacht viel - am liebsten über seine eigenen Witze. Um ihn herum hängen Fotos, die seine Frau von ihm gemacht hat - Stationen seines Lebens, Phasen eines Verlebens. Berühmt wurde Vonnegut 1969 mit seinem Bestseller Schlachthof 5. Seither gilt er als prominentester Exponent einer Science Fiction und Zeitgeschichte verbindenden Literatur in den USA. Seine Satire Galapagos, in der sich die Menschen nach einer Virusepidemie in robbenähnliche Wesen verwandeln, gilt als Klassiker, der Roman Breakfast of Champions wurde 1999 von Alan Rudolph verfilmt, mit Bruce Willis und Nick Nolte in den Hauptrollen; zuletzt erschien Suche Traum, biete mich (Hanser Verlag, München 2001), eine Sammlung illustrer Kurzgeschichten, die er um das Jahr 1950 für diverse Zeitungen und Magazine verfasste. Vonnegut, als Sohn eines deutschstämmigen Architekten und einer Bierbrauerstochter in Indianapolis geboren, erlebte die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 als Kriegsgefangener in einem Schlachthaus. Nach dem Krieg verdingte er sich unter anderem als Polizeireporter und PR-Mann, seit 1950 als freier Schriftsteller. Er unterrichtete Literatur und Creative Writing an den Universitäten von Iowa, Harvard und New York City. Seit Jahren lebt der Schriftsteller zurückgezogen mit seiner zweiten Frau an der Upper East Side Manhattans. Dann das: 11. September, Krieg, George W. Bush. Kurt Vonnegut, einst lautstarker Kritiker amerikanischen Großmachtgehabes, mischt sich wieder ein. Das Interview führte Jochen Förster.

Glückwunsch zum Jubiläum, Mr. Vonnegut. Wie geht es Ihnen?

Ganz okay. Ich verdiene es nicht zu leben, aber ich tue es. Ich habe nie erwartet, meine Generation zu Grabe zu tragen, aber so ist es: Die meisten meiner Freunde sind tot. Das ist der Nachteil am Altsein. Außerdem kann ich nicht mehr vernünftig einparken. Das nervt.

In jüngster Zeit wirken Sie sehr aktiv, vor allem im Engagement gegen George W. Bushs "War on Terror". Warum auf einmal?

Ich bin nicht gegen Anti-Terror-Maßnahmen. Ich bin gegen den Irak-Krieg und gegen die Mentalität, die dahinter steht. George W. Bush steht für eine Politik, die Entertainment in den Vordergrund stellt. Frieden dagegen ist ziemlich langweilig.

Bush führt Krieg gegen Saddam, um sein Volk zu unterhalten?

Aber ja, das ist sein Job. Aufmerksamkeit zu erzeugen, um jeden Preis Tatkraft zu demonstrieren. Das Fernsehen ist da sehr kooperativ. Natürlich gab es in und um die Twin Towers viele Tragödien, ich will das Leiden nicht schmälern und schon gar nicht die Barbarei der Terroristen entschuldigen. Seltsam ist aber, wie es den Menschen fern von New York ergeht. Unsere Nation ist ein einziger Mitesser. Wir erholen uns seit mehr als einem Jahr von dem, was wir im Fernsehen gesehen haben. Sogar die Menschen in San Diego erholen sich. Wovon? Ich vermute, die meisten erholen sich vom Entertainment.

Sie haben den 11. September 2001 in New York erlebt. Haben Sie kein Verständnis für die Wut, die viele Amerikaner zur Unterstützung des Kriegs gegen den Terror treibt?

Natürlich sind die Leute erschrocken, zornig, aufgebracht und so weiter, aber das rechtfertigt noch nichts. Bei Bush und seinen Anhängern haben wir es dagegen mit fortgeschrittenen Fällen geistigen Irrsinns zu tun. Diese Leute sind komplett verrückt geworden.

Lassen Sie uns über New York reden. Sie selbst leben hier seit mehr als 30 Jahren. Wie hat sich die Stadt seit den Anschlägen verändert?

Ich habe New York noch nie so am Boden erlebt. Wir haben erfahren, wie zerbrechlich unsere Wirtschaftsordnung ist, mit dem Aktienmarkt als ihrem Kern. Alle unsere High Tech-Wunder, unser moderner Geheimdienst, unsere Biowaffen, unsere Weltraumabwehr und der ganze Quatsch haben sich als unnütz erwiesen. Wir sind aus einem Traum erwacht. Bedauerlich, dass sich der Ärger über die geschlossene Börse als am dauerhaftesten erwies.

Die Angst vor Anschlägen ist auch dauerhaft - zuletzt durch die Mord-Serie des "Sniper" rund um Washington. Auf einmal waren auch die Leute auf dem Land, in den Kleinstädten bedroht. Busfahrer. Kinder. Jeder.

Das war schon immer so. In Amerika hat so ziemlich jeder Waffen. Wissen Sie, dies hier ist ein großes Land, es gibt hier Menschen so ziemlich jeder Rasse oder Nationalität. Ich bin auch Amerikaner, aber ich fühle mich nicht bedroht. Worum es geht, sind nicht die schrecklichen Morde, sondern die Antworten, die unsere Politiker darauf geben. Der Beitrag Amerikas zum Weltfrieden wird dabei zu hoch eingeschätzt: Wir haben das Maschinengewehr erfunden, die Atombombe und die Wasserstoffbombe. Und wir sind bis heute die einzige Nation, die verrückt genug war, eine Atombombe über einer Stadt voller Zivilisten abzuwerfen.

Sie gehören zu denen, die den 11. September scheinbar vorhergesehen haben. In Ihrem 1990 erschienen Buch Hokus Pokus beschrieben Sie den Zusammenbruch der Weltordnung im Jahr 2001. In Ihrem jüngsten Roman Zeitbeben, 1997 veröffentlicht, erlebt New York eine fundamentale Krise - ebenfalls 2001.

Ich stelle immer wieder fest, dass die Zeitläufe beständiger sind, als wir denken. Es gibt ständig Ballungspunkte auf der Zeitachse der Welt, nur eben in immer kürzeren Abständen. Neue Technologien können heute von jedem, auch von den verblendetsten Hirnen benutzt werden. Katastrophen sind damit programmiert.

Nehmen wir die üblichen Verdächtigen wie Susan Sontag, Noam Chomsky oder Gore Vidal einmal aus, haben Amerikas Intellektuelle nach dem 11. September zumeist geschwiegen oder sich - bislang eher unüblich - auf die Seite der Republikaner geschlagen. Warum?

Weil wir nicht länger daran glauben, dass wir irgendwohin gelangen. Wir sind ganz offenbar dabei, unseren Planeten zu töten. Wir sind scheußlich, aber es ist uns egal, wir haben ja das Fernsehen, das uns netterweise sagt, was wir als Nächstes zu tun haben. Und Kritik an der Regierungspolitik hat es in den nationalen Sendern zuletzt nie gegeben, stattdessen wurden wir Zeugen einer geistigen Einheitsfront, die in der Geschichte unseres Landes einmalig ist. Die Technologie macht es möglich, dass die Amerikaner heute die Nachrichten aus einem Medium beziehen, das mental gleichgeschaltet ist.

Was ist mit den Demokraten in den großen Sendern?

Unter Entscheidern und Werbeträgern gibt es davon nicht viele.

Machte das einen Unterschied?

Nein. Es ist längst nicht mehr nötig, unliebsame Journalisten aus dem Verkehr zu ziehen - sie werden einfach ausgelagert. Es gibt sie ja, meist in unabhängigen Zeitungen wie The Nation, nur die liest kaum jemand. Die Zeitungen haben gegenüber dem Fernsehen in Amerika mittlerweile einen verschwindend geringen Einfluss. Der Kuwait-Krieg und die Operation Desert Storm haben da große Vorarbeit geleistet. Wir sind heute die letzte industrialisierte Nation mit Todesstrafe, eben weil sie unheimlich unterhaltsam ist.

Sie selbst haben in den vergangenen Jahren den Mund gehalten.

Mich hat niemand gefragt, schon seit Jahren nicht. Ich finde das in Ordnung so. Die Leute waren so stolz und froh, da wollte ich nicht stören.

Nun aber doch. Vor wenigen Wochen lancierten Sie unter dem Titel "Not In Our Name", kurz Nion, einen Aufruf gegen Bushs Politik - mit Susan Sarandon, Laurie Anderson, Brian Eno, Oliver Stone, Terry Gilliam und vielen anderen Prominenten.

Wir wollten zeigen, dass nicht jeder in Amerika die Erstschlag-Politik unserer Regierung akzeptiert.

Sind Sie gegen den Irak-Krieg, weil er keinen Erfolg verspricht, oder verdammen Sie ihn moralisch?

Wir müssen sehr wohl zurückschlagen und alles Nötige tun, uns zu verteidigen. Aber nicht so. Das Motiv für diesen Krieg - der Irak stehe hinter dem internationalen Terrorismus - ist ein Märchen.

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen unsere Spionage verbessern. Die arbeitet schlecht. Also macht Bush Krieg, weil er nicht weiß, was das bedeutet. George W. Bush ist ein mittelmäßiger Geist, ein Millionär, der Cowboy spielt. Er sucht Rache und hält etwa die Taliban-Kämpfer für Untermenschen. Krieg aber bedeutet, dass Leute zurückschlagen, das habe ich als Soldat im Zweiten Weltkrieg erlebt, das wissen wir aus Vietnam. The Nation titelte neulich mit der Frage: "Macht dieser Krieg Sie sicherer?" Das bringt es auf den Punkt.

Hielten Sie einen Krieg gegen Irak für gerechtfertigt, wenn erwiesen wäre, dass der Irak Atomwaffen besitzt?

Nein.

Warum?

Weil er sie einsetzen würde. Noch mal: Die Bedrohung durch Saddam ist ein Märchen, das uns Bush erzählt. Vom Geschichtenerzählen verstehe ich was.

Ist die unter Linken sehr populäre Idee, beim Irak-Konflikt gehe es in Wahrheit nur um Öl, nicht auch so ein Märchen?

Zu sagen, es geht nur um Öl, ist vereinfachend. Es geht auch darum. Vor allem aber um die Popularität des Präsidenten mit den Mitteln der Unterhaltung.

Eine weitere Kritik von Nion richtet sich gegen die schleichende Erosion der Bürgerrechte in den USA. Sie vergleichen die Situation bereits mit Senator McCarthys Hexenjagd Anfang der 50er Jahre. Das klingt abstrus.

Keineswegs. In den Verfassungszusätzen der USA steht geschrieben, dass Sie nicht einfach jemanden einsperren dürfen - ohne ihm zu erzählen, warum. Die Regierung aber ergreift die Gunst der Stunde und rechtfertigt willkürliche Festnahmen mit der Terror-Gefahr, die über uns schwebt. McCarthy hat es ähnlich gemacht, nur damals hieß die Gefahr Kommunismus. Es ist für Menschen, die in Amerika leben, heutzutage nicht lustig, wie Araber auszusehen.

Ist die Kultur der Rache auf dem Vormarsch?

Die bei weitem am leichtesten zu schreibende Geschichte - eine, die immer gefällt - handelt von einem Typen, der außer sich ist, weil irgendein Hurensohn seinem Bruder in den Rücken geschossen hat. Wie endet die Geschichte? Er kriegt den Saukerl für einen Silberdollar im Saloon und knallt ihn ab. Das ist die Normalität. Die beiden radikalsten Gedanken, die den Menschen eingefallen sind, lauten demgegenüber e = mc2, also Energie gleich Materie, und "Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern". Doch was für ein Mann wärst du, Amerikaner oder nicht, wenn jemand dich zu Tode beleidigte und du nicht im Quadrat springen würdest. Man erwartet es von dir. Es ist zum Verrücktwerden. Ariel Scharon bezieht sich in letzter Zeit gern auf den Kodex des Hammurapi - dabei war dieser humanistisch gemeint. Hammurapi, König der Babylonier, prägte vor mehr als 3000 Jahren den Satz "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Was er meinte, war genau das, so viel und nicht mehr. Töte nicht die Familie des anderen, brenne sein Haus nicht nieder. Aber Rache ist rasch, und George Bush, schlichter Geist der er ist, wird uns alle rächen. Schließlich ist er im Showgeschäft.

Zurzeit ist er der populärste Präsident seit John F. Kennedy. Was hätte er tun sollen - nichts?

Doch, aber er hätte Hammurapi ernst nehmen sollen. Ich halte eine harte, auch militärische Antwort auf die Anschläge nach wie vor für richtig und unausweichlich - aber mit Augenmaß. Stattdessen spielt sich unser Präsident nun zum Rächer aller Gerechten auf und jagt sie nun alle. Er wird den Irak angreifen. Er will sie alle ausrotten.

In Ihrem Roman Breakfast of Champions heißt es, die US-Hegemonie in der Welt gründe vor allem darauf, Dinge aus Flugzeugen zu schmeißen.

Außenpolitik gründet zu einem Gutteil aus der Existenz von Kamikaze-Menschen. Ich habe Ende der 40er Jahre ein Kriegs-Computerspiel erfunden, das hieß "Get the Kaiser" und spielte im Ersten Weltkrieg. Vielleicht sollte ich demnächst ein "Get Bin Laden"-Spiel entwerfen.

Sie haben einmal geschrieben, Ihr Land kenne nur zwei Schimpfworte: Fuck und Kommunismus. Kommt der Islam nun hinzu?

Wie Sie vielleicht bemerkt haben, kann ich mein Land nicht besonders gut leiden, doch von einer Ächtung des Islam kann keine Rede sein. Wir sind eine tolerante Nation, aber eben vergesslich und ein bisschen einfach gestrickt. Wir vergessen zum Beispiel immer mehr, wie viel unser Sozialstaat heute dem Sozialismus verdankt, in Europa mehr noch als bei uns. Als der Zweite Weltkrieg vorbei war und die Nazis besiegt waren, sagten die Deutschen zu uns: "Nun müsst ihr den Sozialismus bekämpfen." Wir sagten: "Nein, wir werden ein wenig werden wie sie, sie ein wenig wie wir." Und genau so kam es.

Derzeit ist Deutschland unter den westlichen Nationen die einzige, die sich strikt gegen einen Irak-Krieg stellt.

Weil die Deutschen wissen, was Krieg ist, dass man ihn verlieren kann. Wie ein Schachspiel - mit schrecklicheren Folgen.

In deutschen Medien war von einer Ächtung Deutschlands durch die Amerikaner die Rede.

Das ist Quatsch. Es gab ein paar Verstimmungen auf Regierungsebene, aber meinem Eindruck nach ist der Respekt vor der deutschen Entscheidung in der Öffentlichkeit relativ hoch. Niemand hasst die Deutschen dafür.

Sie selbst haben deutsche Vorfahren.

Mein Urgroßvater Clemens Vonnegut kam aus Deutschland nach Indianapolis. Leider ist mein Deutsch mies. Vor Jahren habe ich Dresden wieder besucht, und es hat mich unangenehm berührt: die vielen geschlossenen Fabriken, die Depression, die Luxusgeschäfte, die Skinheads. Wir werden uns wahrscheinlich nie von zwei Weltkriegen erholen.

Was fehlt dem Westen aus Ihrer Sicht - etwa Ideologien?

Nun ja, ein bisschen schon. Als ich mit dem Schreiben begann, war viel Hoffnung auf der Welt, man glaubte an ein Ende aller Kriege und die heilsame Wirkung des Zusammenwachsens der Welt. Heute ist die Zukunft der Menschheit eindeutig begrenzt. Die Menschen haben sich damit abgefunden, sie scheren sich längst um andere Dinge. Das ist ein bisschen peinlich, aber wahr.

Immerhin haben Sie Ihrem Volk drei große Leidenschaften bescheinigt: für Waffen, Aktien und Abzeichen.

Ja, und neuerdings für Krieg im Fernsehen. Vielleicht wissen Sie es nicht, aber neulich hielt sich ein Anthropologen-Team vom Mars zu Studienzwecken in den USA auf. Letzte Woche sind sie nach Hause geflogen, weil ihnen die Welt zu heiß wurde. Vor dem Abflug sagte ein Sprecher: "Da sind zwei Dinge in den USA, die wir Marsianer nie kapieren werden. Erstens: Was ist dran an diesen Blow Jobs? Und zweitens: Warum schauen Sie anderen so gern beim Sterben zu?"

Ihren Ruhm verdanken Sie der Verbindung vom zeithistorischem Erzählen und Science Fiction zu einer ironischen, höchst fantasievollen Sozialkritik.

So bin ich nun mal. Ich schreibe nicht so, weil ich diesen Stil für besonders zeitgemäß halte, aber ich habe eine Zeit ausprobiert, um ihn zu finden. Das Problem für einen Schriftsteller ist doch heute: All die alten Bücher gibt es noch immer. Es sind so viele, so gute, es werden immer mehr, in vielen Bereichen kann man es nicht besser machen. Wenn mich junge Leute heute fragen: "Was soll ich lesen?", antworte ich meistens: "Probier`s mit Candide von Voltaire.

Rückblickend können Sie sich rühmen, das Wort Motherfucker in der Literatur eingeführt zu haben.

Schlachthof 5 wurde daraufhin in einigen Dörfern verbrannt. Neulich habe ich gehört, seit es das Wort gebe, sei die Anzahl der Jungs, die von Sex mit ihren Müttern träumen, sprunghaft gestiegen.

Was halten Sie für Ihr bestes Buch?

Das Flaggschiff meiner kleinen Flotte ist vermutlich Cat`s cradle, es bedeutet viel für viele Menschen. Religion spielt darin eine große Rolle. Humanismus, die Genese des Freidenkertums in der amerikanischen Geschichte. Ich bin seit langem Ehrenvorsitzender des amerikanischen Humanistenverbandes.

Sind Sie noch immer Sozialist?

Ja natürlich, ich glaube an ökonomische Gerechtigkeit. Für mich ist dieser Glaube keinesfalls diskreditiert.

Woher nehmen Sie den?

Aus Momenten des Glücks. Vor Jahren nahm mich mein finnischer Verleger einmal mit auf eine Jagdhütte nördlich des Polarkreises. Auf den Sträuchern um die Hütte herum wuchsen Blaubeeren, die haben wir gegessen. Niemand außer uns war da, die Luft war klar, frischer Schnee war gefallen. Es war magisch, so schön, wie das Leben manchmal nur sein kann.

Wird man mit dem Alter pessimistischer?

Nein. Schon meine Vorfahren waren Skeptiker. Ich bin nur mehr enttäuscht. Das Leben tut manchmal ziemlich weh. Schauen Sie auf die 37000 Obdachlosen in New York. Oder auf die vielen Schriftsteller, die besser waren als ich und doch scheiterten.

Schreiben Sie immer noch?

Ich schreibe täglich, aber nicht besonders gut. Ich konkurriere mit mir selbst und komme nicht mehr gegen mich an. Aber das ist normal. Wenn Autoren älter werden, lässt ihre Schaffenskraft nach - Hemingway schrieb zum Schluss ziemlichen Mist. Sehen Sie, ich war über 50 Jahre lang Autor, jetzt denke ich: Bitte, ich habe getan, was ich tun konnte, kann ich jetzt nach Hause gehen? Ich will zurück ins Holz von Indiana, wo ich einst herkam. Ich bin in diesem Land längst verjährt. Und ich bin müde.

Wie stellen Sie sich den Tod vor?

Man schläft einfach ein. Keine schlechte Vorstellung, ich schlafe gern. Schlafen ist wunderbar. Leben dagegen ist ziemlich ungemütlich.

Das Gespräch im Magazin der Frankfurter Rundschau
 
aus der Diskussion: US-Wahl: Die Dumpfbacken haben gewonnen
Autor (Datum des Eintrages): Stormy  (25.11.02 20:51:59)
Beitrag: 105 von 176 (ID:7938921)
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