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Blutige Nacht im Flüchtlingslager
07.12.2002

Israels Armee tötet bei einer neuen Militäroffensive im Gazastreifen zehn Palästinenser, unter ihnen zwei UN-Mitarbeiter

Vorsichtig schlichen sich die israelischen Soldaten in den finsteren Gassen des Flüchtlingslagers Buredsch. Ihre so genannte Echtaktion in der Nacht zum Freitag sollte unbemerkt bleiben. Aber die Stromsperre hatte die Wachsamkeit der Untergrundzellen im Lager erhöht. Vor nächtlichen Razzien stellt die Armee oft den Strom ab. Urplötzlich fielen Schüsse. Ein Hubschrauber greift mit Raketen ins dreistündige Gefecht ein. Panzer schießen mit Granaten. Die echte Aktion endet mit echten Toten – zehn Palästinensern, zwei von ihnen UN-Mitarbeiter.

Fünf der Toten waren Hamas-Aktivisten, so Israels Armeesprecher. Bei den UN-Leuten handelt es sich um einen 31-jährigen Schulaufseher und einen 32-jährigen Lehrer. Unter den über 20 Verletzten sind auch Frauen und Kinder. Das „Givati“-Kommando sprengte das Haus eines lang gesuchten Anführers der „Volkswiderstandsgruppen“ im Lager. Aiman Schaschniye soll Bomben gebaut haben, die im Frühjahr Merkava-Panzer zerstörten. Palästinenserführer Arafat reagierte schockiert. „Jeden Tag gibt es ein neues Massaker“, sagte er in Ramallah.

Nachtnächtlich kommt es zu solchen Razzien. Sie führen zu Verhaftungen von mutmaßlichen Terroristen. Allein am Freitag lagen 50 konkrete Hinweise auf geplante Terroraktionen in Israel vor. Die Razzien verhindern einen beträchtlichen Teil – und stacheln neue Attentäter an. Israels Premier Ariel Scharon erklärte am Mittwoch, es gebe keine Rückbesetzung des Westjordanlandes. Schon jetzt aber befindet sich die Armee in fast allen palästinensischen Städten. Die sind zusätzlich von außen abgeriegelt. Stießen solche Razzien vor wenigen Wochen noch auf wenig Widerstand, sind die bewaffneten Zellen jetzt besser vorbereitet. Gefechte wie in Al Buredsch häufen sich. Allein in der Woche davor wurden sieben palästinensische Zivilisten in solchen Feuerwechseln getötet, darunter zwei Kinder und eine 90-jährige Frau.

Israels Verteidigungsminister Schaul Mofas sieht in Autonomiechef Jassir Arafat den Schuldigen: „Er verweigert die notwendigen Kompromisse, die sein Volk in friedliche Gefilde führen können“, erklärte er vor Sicherheitsexperten. Auch EU-Diplomaten stimmen ihm zu. Mofas will mit militärischem Druck die innere Opposition gegen Arafat in der Autonomiebehörde zu Veränderungen zwingen. Aber die Ausweitung der Kampfaktionen hat diese Opposition bislang eher geschwächt. „Arafat sieht besser aus als vor einigen Monaten“, beobachteten die EU-Diplomaten. Aber seine Position sieht international dafür um so kränklicher aus. In Gesprächen mit Diplomaten erklärte er sich sogar erneut zur Wahl eines Premiers bereit, der neben ihm die politischen Alltagsgeschäfte führen soll.

Die nächtlichen Kämpfe ziehen alltägliche Gewalt im Autonomiegebiet nach sich. So häufen sich auch Feuergefechte zwischen den Zellen der extremistischen Hamas und bewaffneten Angehörigen der Autonomiepolizei. Vordergründig geht es um die Vorherrschaft in Wohnvierteln. Der Streit um eine Graffitischmiererei an der Hauswand eines Polizeioffiziers endete tödlich. Die Hamas-Aktivisten warfen eine Handgranate auf den Offizier und seinen zwölfjährigen Sohn. In einem Gegenpogrom verwüsteten dessen Verwandte das Haus eines Hamas-Anführers. Doch darüber wird in Kairo bei den Gesprächen zwischen Hamas und der Autonomieführung nicht geredet. Es geht um die Klärung der inneren Machtverhältnisse, heißt es aus Ramallah. Über 60 Prozent der Palästinenser sind gegen den „militärischen Charakter“ des Intifada-Volksaufstandes. Aber auch die Hamas wächst in der herrschenden unklaren Lage weiter.

Genauso wie die israelischen Siedlungen: Ihr Sprecher Benzi Lieberman bestätigte den Bau von 14 neuen „Nachbarschaften“ in zehn verschiedenen Siedlungen. Drei Monate vor Wahlen konnte der rechte Wohnungsbauminister Natan Scharansky seine Zusage nicht verweigern. So wartet Israels Regierung auf die palästinensische Opposition. Die Autonomieführung harrt der Wahlen in Israel. Und alle wollen sehen, was ein Irak-Krieg bringen wird.

Quelle: http://www.welt.de/data/2002/12/07/23185.html

Weitere Nachrichtenseiten: http://www.Germany-Pool.de
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aus der Diskussion: Blutige Nacht im Flüchtlingslager - Israelis killen zwei UN-Mitarbeiter
Autor (Datum des Eintrages): Big-Apple  (07.12.02 14:54:05)
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