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Wie bei Schlecker

Hauskrach beim Deutschen Gewerkschaftsbund: Die Manager einer Tochterfirma wollen die Rechte ihrer eigenen Betriebsräte schwächen.

Bis heute feiern es Gewerkschafter als historischen Sieg: Nach jahrelangen Streiks und Protesten zogen 1995 erstmals Betriebsräte in die Bezirkszentren der Drogeriekette Schlecker ein - und nicht nur in die kleinen Ladenfilialen, wie es die Firmenchefs wollten.
Der Discounter gilt seit damals als Musterbeispiel für eine besonders fiese Arbeitgeberstrategie: Ein Unternehmen wird in so viele kleine Einheiten zerschlagen, bis statt eines mächtigen Groß-Betriebsrats nur schwache Minivertretungen möglich sind. Eine solche "Filialisierung der Betriebe", kritisierte schon vor Jahren die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, erschwere "die Bildung arbeitsfähiger Betriebsräte" und gefährde "verbriefte Arbeitnehmerrechte".

Nun droht ein neuer Fall nach Schlecker-Muster - und das bei einem Arbeitgeber, der Engelen-Kefer besonders vertraut ist: dem DGB.

Mit aller Macht wollen die Manager der gewerkschaftseigenen DGB Rechtschutz GmbH derzeit die Betriebsratsstrukturen in ihrer Firma umkrempeln. Die rund 850 Angestellten, die Gewerkschaftsmitglieder bei Arbeitsgerichtsprozessen beraten, sollen ihre Vertreter künftig nur noch in einem der rund 70 Filialbüros wählen dürfen. Die bisherigen Regionalbetriebsräte werden aufgelöst. Kein Mitarbeitervertreter muss künftig mehr von der Arbeit freigestellt werden.

Seit die Pläne der Geschäftsführung bekannt sind, herrscht Krieg zwischen den angestellten DGB-Juristen und ihren Arbeitgebern. In Infos an die "lieben Kolleginnen und Kollegen" sprechen die Rechtsschutz-Betriebsräte von einer "Atomisierung" ihrer Arbeit und kündigen "massiven rechtlichen und politischen Widerstand" an. Die Firmenleitung kontert, im Kampf "um Posten" würden "gültige Tarifabsprachen" verletzt. Schon beschäftigt der Streit die Arbeitsgerichte in Mönchengladbach, Essen, Wesel und Düsseldorf.

Dem DGB rund um seinen neuen Chef Michael Sommer droht nicht nur ein juristisches Scharmützel, sondern ein neuer, veritabler Imageschaden. Krach mit den eigenen Betriebsräten? Derlei passt schlecht zur Mitbestimmungsrhetorik, mit der sich die Funktionäre sonst für den Ausbau der innerbetrieblichen Demokratie einsetzen. "Die Geschäftsführer haben die Herrim Haus-Position eingenommen", beklagt Siegfried Engel, Chef des Gesamtbetriebsrats. "Die wollen die Durchsetzungsmöglichkeiten von Arbeitnehmerinteressen auf null zurückfahren."

Dabei hatte der Streit harmlos begonnen. Um die Arbeit seiner Rechtsberatung effizienter zu machen, gliederte der DGB die Abteilung 1998 in eine selbständige GmbH mit Zentrale in Düsseldorf aus. Acht Regionalvertretungen sollten künftig die Arbeit von rund 70 Büros in der ganzen Republik koordinieren.

Auch der Betriebsrat zog mit, bis Rechtschutz-Geschäftsführer Klaus Westermann den überraschten Betriebsräten im Sommer mitteilte, dass sich künftig auch für sie einiges ändern werde. Die heutigen Regionalbetriebsräte mit fünf bis neun Mitgliedern würden abgeschafft. Dafür müsse jedes Filialbüro künftig eine eigene Vertretung wählen, die in den meisten Fällen mit nur einem nebenamtlichen Betriebsrat besetzt wäre. "Nach dem Gesetz müssen Betriebsräte schließlich dort gebildet werden, wo die Entscheidungen fallen", argumentiert Westermann. "Das liegt im Interesse der Beschäftigten."

Das haben die Rechtschutz-Sekretäre schon öfter gehört - allerdings eher aus Kreisen des Großkapitals: Die Firmenchefs wollen die Wünsche ihrer Belegschaft besser kennen als die selbst. In Wahrheit, argwöhnen die Betriebsräte, soll die neue Struktur ihnen einen Großteil der Befugnisse rauben.

In den Regionalzentren, wo die wichtigen Personalentscheidungen fallen, wären sie nicht mehr vertreten. Fürs komplette Unternehmen müssten sie einen neuen, kaum arbeitsfähigen Gesamtbetriebsrat mit mindestens 40 Mitgliedern bilden. In den Vor-Ort-Büros könnten die Kollegen dagegen den Vorgaben ihrer lokalen Chefs nur schwer entgegentreten. "Die Belegschaftssprecher werden zu isolierten Einzelkämpfern degradiert", fürchtet Gesamtbetriebsratschef Engel: "Eine einheitliche Mitarbeitervertretung wäre nicht mehr möglich."

Die meisten DGB-Kollegen sehen das ähnlich. Auf mehreren Belegschaftsversammlungen stimmten sie fast einstimmig für die heutige Betriebsratsstruktur. Für die Rechtschutz-Manager ist das freilich kein Grund zum Einlenken. "Die Zeit selbst verwalteter Betriebe", sagt Geschäftsführer Westermann, "ist vorbei."

Nun droht der Streit zu eskalieren. Im Düsseldorfer Büro haben Angestellte bereits die jüngsten Betriebsratswahlen angefochten. Auch ein früherer Kompromiss, der vorsieht, dass eine Einigungsstelle den Streit schlichten soll, ist nicht mehr viel wert. "Die Geschäftsleitung sollte ihre Pläne aufgeben", fordert Chef-Betriebsrat Engel. "Und zwar so rasch wie möglich."

Mittlerweile ist auch die DGB-Zentrale alarmiert. Zwar müsse das GmbH-Management den Fall "im Prinzip selber entscheiden", betont der zuständige DGB-Vorstand Dietmar Hexel. Trotzdem wolle er noch im Januar "Gespräche mit allen Beteiligten führen".
 
aus der Diskussion: Der Gewerkschaftsstaat
Autor (Datum des Eintrages): konns  (08.01.03 13:25:16)
Beitrag: 35 von 35 (ID:8253385)
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