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Nach den Börsenturbulenzen: Anleger sollten nicht nur in die New Economy investieren Von Gerhard Landert
Die Roulettestrategie, an der Börse wie im Casino auf Rot oder Schwarz, sprich High-Tech oder Low-Tech zu setzen, trieb während der vergangenen Wochen bunte Blüten. Unternehmen, die noch bis Mitte der neunziger Jahre hoch in der Gunst der Anleger standen, sind nicht mehr gefragt. Die Börsenkapitalisierung des virtuellen Wunders Yahoo mit einem Jahresgewinn von bescheidenen 60 Millionen Dollar war zeitweise fast doppelt so hoch wie die des langweiligen Weltkonzerns General Motors, der ein Ergebnis von 6 Milliarden Dollar ausweisen konnte. Die zwölf größten Telekommunikationsgesellschaften der Welt sind an der Börse insgesamt 2600 Milliarden Euro wert - fast das Dreifache der 30 Dax-Werte. Werte aus dem Technologie-, Telekommunikations- und Softwaresektor bringen insgesamt 40 Prozent der Kapitalisierung des breiten C-Dax mit gut 700 Unternehmen auf die Waage.
Die im Nasdaq zusammengefassten US-Technologiewerte hatten 1989 einen Wert von 390 Milliarden Dollar, im vergangenen Monat waren es kurzzeitig 6000 Milliarden Dollar. Das
Gerhard Landert, Inhaber einer Research-Firma in Zollikon bei Zürich, ist als Finanzberater und Vermögensverwalter tätig
Kurs-Gewinn-Verhältnis nahm in derselben Zeit von 20 auf 210 zu. Blühende Fantasien von High-Tech-Unternehmen ließen sich an der Börse besser verkaufen als müde Fakten ebenso rentabler wie langweiliger Multis aus traditionellen Branchen. Hätte man Anfang 1999 sein Aktienvermögen gleichmäßig auf sieben Blue Chips der alten Garde wie Coca-Cola, Merck und Xerox verteilt, hätte man bis heute einen Kursverlust von 20 Prozent hinzunehmen. Ein Depot von sieben Unternehmen der neuen Welt wie Microsoft, Intel, Cisco hätte dagegen einen Gewinn von 100 Prozent eingefahren (Grafik). In Deutschland gilt ein ähnliches Muster: Finanz- und Chemietitel notieren nicht höher als im Sommer 1998, die Autowerte gar deutlich im Minus, während sich der Technologiebranchenindex mehr als verdreifacht hat. Die Shootingstars von gestern sind zu Ladenhütern verkommen, der positive Trend bei Weltmarken wie Gillette, McDonald`s und Philipp Morris hat sein Ende gefunden. Mit den Lieblingen von gestern wurden auch Anlagelegenden wie Julian Robertson und Warren Buffet den Bach der Old Economy hinuntergespült. Erstklassige Value-Fondsmanager der alten Garde wurden entlassen. Offenbar glaubt die Anlegergemeinde, dass die Welt nur noch digital und völlig neu erfunden wird.
Mit den jüngsten Börsenturbulenzen dürfte es kaum jemandem entgangen sein, dass auch im Wunderland der Technolo- gie-, Software- und Telekommunikationsaktien die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Eine Umorientierung zurück zu Qualitätsaktien, zu traditionsreichen Blue Chips hat schon vor ein paar Wochen eingesetzt, und die Kurse der neuen Börsenlieblinge sind unter die Räder gekommen. Eine Prognose lässt sich allein aus diesen Beobachtungen natürlich nicht basteln. Hilfreich scheint mir aber die Erkenntnis kritischer Anlageexperten, dass 90 Prozent aller Unternehmen der Old Economy auch in zehn Jahren noch Gewinne machen werden, während 90 Prozent der heutigen Gassenhauer bis dahin durch Fusion oder durch Firmenpleiten verschwunden sein dürften. Mit der Zeit wird sich die Spreu vom Weizen trennen.
Die Titel der neuen Ära gehören dennoch in ein vernünftig zusammengesetztes Depot. Der Kleinanleger ist aber gut beraten, eher auf Technologiefonds oder Branchenzertifikate zu setzen als auf hochgejubelte Einzeltitel. Denn trotz der jüngsten Korrekturen werden noch immer viele Titel zum Hundertfachen ihres Jahresumsatzes gehandelt, obgleich sie noch nie einen Pfennig Gewinn abwarfen. Jede Fantasie findet dort ein Ende, wo sich relativ einfach ausrechnen lässt, dass einem Unternehmen bald das Geld ausgehen wird. Firmen von dieser Sorte gibt es mittlerweile recht viele. Die Gratismahlzeit dank Internet-Aktien gehört langsam der Vergangenheit an. Aber dass mit den neuen Technologien eine Welt geschaffen wird, in welcher sich noch viel Geld verdienen lässt, ist ebenso unbestritten. Eines sollte jedoch niemand vergessen: der wichtigste Kunde der New Economy ist die traditionelle Wirtschaft. Das Wohlergehen beider Welten ist miteinander verknüpft - wer das nicht berücksichtigt, wird beim Börsenroulette schnell zu den Verlierern gehören.

Gerhard Landert, Inhaber einer Research-Firma in Zollikon bei Zürich, ist als Finanzberater und Vermögensverwalter tätig.
 
aus der Diskussion: Börsenguru`s
Autor (Datum des Eintrages): Riddick  (27.04.00 21:06:13)
Beitrag: 23 von 150 (ID:856196)
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