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STREIT UM REFORMKURS

Genosse Schröder schließt Waffenstillstand mit der SPD

Von Markus Deggerich

Kündigungsschutz, Neuverschuldung, Arbeitsmarkt: Der Kanzler wechselt schon wieder den Kurs - diesmal in Richtung Partei. Denn jetzt braucht er die SPD für sein politisches Überleben. Die Genossen stellen sich hinter ihn - vorerst.


AP

Neue Harmonie: Schröder, Scholz, Müntefering


Berlin - "Verfestigt, verkrustet und verriegelt", nennt Wolfgang Clement das deutsche Arbeitsrecht. Und ebenso viel "Beton" vermutet er im eigenen Laden, der SPD-Fraktion. Der Wirtschaftsminister will da mit der Spitzhacke ran, um Wirtschaft und Arbeitsmarkt anzukurbeln. Kleine Steinchen hat er schon mal angeklopft: Den Kündigungsschutz zum Beispiel. Aber die wütenden Reaktionen zeigten ihm, dass Gewerkschaften und große Teile der SPD darin ein Fundament ihrer Politik sehen.
Und der Kanzler will in der jetzigen Situation möglichen Streit verhindern. Während Clement bis zur Sommerpause Klarheit verlangt, schiebt Gerhard Schröder das Thema lieber auf die lange Bank. In den für ihn unruhigen Zeiten möchte der Kanzler keine weiteren Konfliktlinien eröffnen. Neben dem Irak-Durcheinander will er vorerst nur noch die Reformen von Gesundheits- und Sozialsystem durchsetzen. Clements Vorstöße werden deshalb jetzt auch in Schröders Augen als "Einzelvorschläge" abgewertet. Genosse Schröder macht sich jetzt für den Kündigungsschutz stark. Für ihn sei "die Sicherheit eines Menschen, nicht jeden Tag rausgeschmissen werden zu können, ein ganz hoher Wert", sagte der Kanzler dem "Stern". Dies müsse gegen den Ruf der Wirtschaft nach Flexibilität abgewogen werden. Damit versucht Schröder, Gewerkschaften wie SPD-Linke zunächst zu beruhigen.



Der mächtige Fraktionschef Franz Müntefering hatte schon immer Bedenken gegen eine Lockerung des Kündigungsschutzes und stellt sich frontal gegen Clements Reformschwung: "Es kann nicht bedingungslos das weggeschlagen werden, was Arbeitnehmerrechte ausmacht. Was Kündigungsschutz und Flächentarife angeht, ist das, was wir in Deutschland haben, gut", warnt Müntefering. Er hält es für einen Irrtum, dass eine Aufweichung des Kündigungsschutzes, "die Voraussetzung dafür ist, dass die Wirtschaft wettbewerbsfähig wäre".

SPD-Vorstandsmitglied Andrea Nahles jubelt bereits, Änderungen beim Kündigungsschutz seien "kein wirkliches Topreformthema in den kommenden Monaten" mehr. In der SPD herrscht immer noch Streit darüber, ob ein zu viel oder zu wenig an Reformen Ursache für die harschen Wahlniederlagen und das miserable Erscheinungsbild sind.

Die Reformer berufen sich auf eine Erhebung des Forsa-Chefs Manfred Güllner. Demnach seien 80 Prozent der Deutschen zu Reformen bereit, auch dann "wenn sie weh tun". Die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein hingegen kritisiert Clement heftig. Er benenne die Probleme nicht einmal, sagte sie. Sein Reformplan werde daher nicht als Gesamtpaket wahrgenommen. "Bei den Menschen entsteht so das Gefühl: Da kommt ja schon wieder was."

Die Linken sammeln sich

Rund um Fraktions-Vize Ludwig Stiegler, Juso-Chef Niels Annen, Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und die linke Wortführerin Nahles sammelt sich das Contra-Clement-Lager. Die Vorstöße zur Lockerung des Kündigungsschutzes hätten der SPD in den Landtagswahlkämpfen in Niedersachsen und Hessen geschadet. Sie verlangen erst ein Gesamtkonzept für den Arbeitsmarkt, statt mit "Versatzstücken" Panik zu verbreiten. "Wer erfolgreich reformieren will, darf weder mit Tabus arbeiten noch ständig mit Einzelmaßnahmen kommen", fordert der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Sprecher der Fraktion, Klaus Brandner.

Schröder braucht jetzt seine Partei

Auch in der Diskussion um die Haushaltslöcher bleibt die SPD-Fraktion offiziell bei der Vorgabe, mittels der Steuergesetze den Stabilitätspakt zu wahren. Doch längst ist die Regierung bereit, die Neuverschuldung in diesem Jahr zu erhöhen. Schröder bekräftigte am Mittwoch zwar die Absicht, es bei den geplanten 18,9 Milliarden Euro zu belassen, was die niedrigste Kreditaufnahme seit der Wiedervereinigung wäre. Bei einem Irak-Krieg könne aber von der Linie abgewichen werden. Noch Mitte Januar hatten Schröder und Eichel eine von Clement begonnene Debatte über mehr neue Schulden in diesem Jahr für beendet erklärt. Steuerausfälle im Zuge eines Konjunktureinbruchs seien verkraftbar, hatten sie betont.

Mit diesem erneuten Kurswechsel in der Fiskalpolitik, für den natürlich ausschließlich der Irak-Krieg verantwortlich wäre, kommt Schröder ebenfalls den Parteilinken entgegen, die mehr staatliche Investitionen fordern. So muss der Kanzler seine Reihen schließen.

Es gab Zeiten, da lag der SPD-Kanzler in der Wählergunst weit vor seiner eigenen Partei. Damit ließen sich auch die internen Konflikte unter den Teppich kehren, weil die Partei auf ihn angewiesen war. Doch nun, wo Schröder sich im Sinkflug befindet, entdeckt er sein SPD-Herz, und bringt die Genossen mit feurigen Reden als Friedensfürst und Zugeständnissen an das soziale Gewissen hinter sich. Am Donnerstag, wenn er seine Regierungserklärung abgibt, werden sie ihm wieder zujubeln. Aber der Konflikt um die innenpolitischen Reformen ist nur vertagt.
 
aus der Diskussion: Schröder zu ertragen wird immer schwieriger!!!
Autor (Datum des Eintrages): Koenigsberg  (12.02.03 19:26:49)
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