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Tschernobyl am Tigris oder Das Golfkriegssyndrom
Das Leiden amerikanischer Soldaten nach ihrem Kampf in Kuwait



Von Peter Jacobs

Zuerst waren es nur Gelenk- und Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen und Diarrhöe. Dann kamen Haar- und Zahnausfall, Drüsenschwellungen, Sehstörungen und Gedächtnisschwund hinzu. Und Mißbildungen bei nachmals gezeugten irakischen Kindern. Da ähnliches bei mehreren tausend Heimkehrern aus dem zweiten Golfkrieg auftrat, faßten die amerikanischen Ärzte das Krankheitsbild 1994 mit einem Begriff zusammen: Golfkriegssyndrom.

Sie hätten schon früher davon genauere Kunde haben können. Der deutsche Arzt Siegwart-Horst Günther brachte als erster Reste jener Munition aus dem Irak mit, die man bei den US-Streitkräften Depleted Uranium (DU) nennt, erschöpftes Uran. Und den Verdacht, daß die Gefahren von DU für die menschliche Gesundheit noch lange nicht erschöpft seien.

Der Leiter der Hilfsorganisation Gelbes Kreuz International gilt als hartnäckig und querköpfig. Seit 1991 ist er immer wieder in den Irak gereist. In Basra und in Mossul stieß er zum ersten Mal auf Fälle von Tumoren mit Geschwüren und auf hochgradige Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum, bei denen die Kinder kaum Schmerzen hatten, aber bald starben. Er vermutete zunächst, dass es sich um die Auswirkungen toxischer Waffen aus der irakischen Rüstungsproduktion handelte. Aber immer wieder erwies sich, dass die Kinder häufig mit gefundenen Metallprojektilen gespielt hatten - DU-Munition.

Seine Beobachtungen hat Günther jetzt zusammengefasst in einem 40-Seiten-Aufsatz, veröffentlicht in dem Buch "Vor dem dritten Golfkrieg". Im Laufe von fünf Jahren stellte er eine lange Liste von Symptomen zusammen: Zusammenbruch des Immunsystems, massenhafte Gürtelrosen bei Kleinkindern, Aids-ähnliche Erscheinungen, extreme Missbildungen bei Neugeborenen, ein bisher unbekanntes Krankheitsbild von Funktionsstörungen an Leber und Nieren. Tschernobyl am Tigris.

Kriege als Urquell immer neuer Krankheitsbilder: In der US-Armee wurden nach dem Golfkrieg von 1991 mehr als 39 000 GIs aus Gesundheitsgründen entlassen. Mehr als 2000 sollen, inoffiziellen Quellen zufolge, gestorben sein. In Großbritannien starben inzwischen 160 Teilnehmer des Golfkrieges von 1991, die meisten an Lungenkrebs. Saudi-Arabien setzte inzwischen durch, dass abgeschossene irakische Panzer, die in kuweitischem Wüstensand vergraben waren, gehoben und entsorgt werden mußten. Aber 40 Tonnen DU-Material liegen immer noch im Grenzgebiet zwischen dem Irak und Kuweit, schätzte die britische Atomenergiebehörde - vor den neuerlichen Luftangriffen im Dezember.

Aber in Deutschland hat man es dem Arzt aus St. Peter-Ording, der einst Assistent bei Albert Schweitzer war, nicht leichtgemacht. Seinen Erstfund wollte er im Juli 1992 im Klinikum Charlottenburg untersuchen lassen. Professor Dr. Felix von der Nuklearmedizinischen Abteilung kam nicht mehr zum Zuge. Ein Polizeitrupp in Strahlenschutzkleidung besetzte das Labor, beschlagnahmte das Geschoss und fuhr es in einem Container davon. Günther sah es erst vier Jahre später wieder, in einem Dokumentarfilm des ZDF. Die Sequenz war gedreht im Lise-Meitner-Institut in Wannsee. Das Bundesgesundheitsamt, von dem Günther zunächst Unterstützung für Blut- und Urinproben in deutschen Laboratorien zugesagt bekommen hatte, zog das Angebot später kommentarlos zurück. 1995 geriet Günther in Neumünster unter dem Vorwurf des Verstosses gegen das Strahlenschutzgesetz sogar für dreieinhalb Wochen in Untersuchungshaft.

Der pensionierte Mediziner fühlt sich zu Unrecht als Eiferer behandelt, der einseitig auf die Leiden der irakischen Bevölkerung verweise und damit der Propaganda des Regimes von Saddam Hussein Vorschub leiste. Er beschreibt ebenso schonungslos die Verheerungen, die Saddam Husseins Giftkrieg gegen die Kurden im Norden des Irak angerichtet hat.

"Vor dem dritten Golfkrieg" ist ein Buchtitel, der von der Geschichte beinahe schon wieder zu Makulatur gemacht worden wäre. Im ersten Teil rekapituliert der Orientalist Burchard Brentjes die seit eineinhalb Jahrtausenden wechselnde Konfliktlage in der Golfregion seit der Islamisierung. Er vertritt die These, dass ein dritter Golfkrieg alle bisherigen Verheerungen in dem Land mit den zweitgrößten Ölreserven der Welt übertreffen werde. Für diesmal hatte er unrecht. Aber da Saddam Hussein erneut davongekommen ist, scheint auch ein weiterer Waffengang nicht ausgeschlossen. Mit welchen neuen gesundheitlichen Folgen?

Siegward-Horst Günther:

Vor dem dritten Golfkrieg.

Edition Ost, Berlin 1999, 248 S., 16,80 Mark.

Peter Jacobs ist freier Journalist in Berlin.



http://www.welt.de/daten/1999/08/07/0807lw124584.htx
 
aus der Diskussion: Informationssammlung zum Golfkriegssyndrom
Autor (Datum des Eintrages): extremrelaxer  (12.02.03 23:44:14)
Beitrag: 3 von 51 (ID:8593812)
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