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nein, er ist uns von der vorsehung gesandt:

Porträt

Der Wiedergeborene

Zwei Kräfte treiben den amerikanischen Präsidenten in den Krieg: Der göttliche Auftrag und die Sorge vor einem neuen Terroranschlag

Von Thomas Kleine-Brockhoff

Washington

George W. Bush ist eiserner Frühaufsteher. Noch bevor er seiner Frau Laura eine Tasse Kaffee bringt, zieht er sich zur Morgenlektüre in ein stilles Eckchen zurück. Es ist keine Tageszeitung, die er liest, sondern, so hat das Nachrichtenmagazin Newsweek herausgefunden, ein evangelikales Gebetsbuch: Mein Äußerstes für sein Höchstes. Der Autor heißt Oswald Chambers, ein schottischer Baptistenprediger, der 1917 starb, als er das Wort des Herrn jenen Soldaten des britischen Imperiums brachte, die Jerusalem einnahmen. Für den 10. Februar steht bei Chambers die Mahnung des Propheten Jesaja: „Blicke nach oben und schaue, wer alles erschaffen hat.“ Dazu Chambers Erklärung: „Wenn deine Fähigkeit getrübt ist, Gott zu erkennen, wirst du machtlos sein, wenn du auf Widerstände triffst (… ) So wache auf, gehe aus dir heraus und lenke deine Vorstellungskraft bewusst auf Gott. “ Derart gestärkt, macht sich George Bush am selben Tag auf nach Nashville, wo er Journalisten religiöser Radiosender Amerikas Aufgabe erläutert: „Gott hat uns aufgerufen, unser Land zu verteidigen und die Welt zum Frieden zu führen.“

Nach dem Frühgebet geht Bush die Treppe hinunter ins Oval Office. Noch vor sieben Uhr studiert er täglich die „Bedrohungsanalyse“ der Geheimdienste. Von Abhörprotokollen und Vernehmungen liest er, von neuen Anschlägen und neuen Konspirationen. Einiges glaubwürdig, anderes fantastisch, alles furchteinflößend. „Kein Morgen vergeht“, sagt Andrew Card, Bushs Stabschef, „an dem der Präsident sich nicht vor einem neuen Anschlag sorgt.“

Bevor also George Bush in der Frühe einem Mitarbeiter begegnet, hat er sich schon den beiden wichtigsten Quellen seiner Inspiration ausgesetzt: dem lieben Gott und dem bösen Terrorismus. Nichts prägt den Menschen George Bush stärker als die Begegnung mit dem Erlöser bei der eigenen Wiedergeburt. Nichts hat den Politiker George Bush stärker verändert als das Erlebnis des Anschlages vom 11. September 2001. Und nichts macht postreligiöse Europäer nervöser als der offenkundige Versuch, beides in Weltpolitik zu verwandeln.

Je näher der Irak-Krieg rückt, desto lauter wird die Gottesrhetorik. Die Anrufung des Allmächtigen hat in der Politik gerade vor Kriegen Tradition. Aber bei George Bush wirkt alles weniger kalkuliert als genuin. Zum Beispiel am vergangenen Donnerstag, als er die Nation auf den Krieg vorbereiten will. Nichts sagt er hundert Journalisten im Weißen Haus, was nicht tausendmal gesagt worden wäre. Neu ist nur der Gemütszustand des Präsidenten. Ein sichtbar gealterter, aber erstaunlich selbstgewisser und ruhiger, ja nahezu sedierter Präsident tritt vor die Kameras und bekennt, in diesen schweren Tagen halte ihn „der Glaube aufrecht“. Kraft schöpfe er aus dem Wissen, das Tausende für ihn beteten, Menschen, „die ich nie gesehen habe“.

Die Entscheidung zum Krieg ist der einsamste Moment in der Amtszeit eines Präsidenten. George Bush muss sich aber noch einsamer fühlen als die meisten seiner Vorgänger. Denn „seit dem Vietnamkrieg war Amerika außenpolitisch nicht mehr so isoliert“, schreibt der Essayist Michael Lind in seiner Präsidenten-Biografie George Bush and the Southern Takeover of American Politics. Nichts davon ist Bush anzumerken. Nicht mal, wenn Kritik von Christen kommt. Als der Papst ihm vergangene Woche seine Friedensbotschaft überbringen ließ, erlebte der Gesandte einen „freundlichen, aber äußerst entschlossenen Mann“. Mit der Frage des Krieges lebt Bush, so sagt er selbst, „in völligem Frieden“. Seit dem Wahlkampf des Jahres 2000 meint er, dass seine Präsidentschaft Teil eines göttlichen Plans sei. Eine Überzeugung, die seit dem Anschlag vom 11. September 2001 immer deutlicher wird. Der Glaube an die Vorsehung verleiht ihm Handlungsgewissheit und Schicksalsergebenheit. „Wir kennen die Wege der Vorsehung nicht, und doch können wir ihr vertrauen“, sagte er in seiner Rede zur Lage der Nation. Gemeint war der Irak-Krieg.

Offenbar hat George Bush sich schon vor Monaten davon überzeugt, dass ein Feldzug gegen den Irak ein „gerechter Krieg“ sei. Jedenfalls vertritt diese Auffassung die Führung der Southern Baptist Convention und damit der Kern von Bushs Basis im Süden. Dass nun der Südstaatler Jimmy Carter, ein Wiedergeborener wie er selbst, „als Christ und ehemaliger Präsident“ die These vom „gerechten Krieg“ öffentlich attackiert, wird ihn wurmen. Mehr nicht.

Sendungsbewusstsein ist George Bush nicht in die Wiege gelegt worden. Für seinen Vater, einen unregelmäßigen Kirchgänger, war die protestantische Religion reine Privatsache – wie überall am Familiensitz in Connecticut. Der junge George ging zwar brav zur Kirche, fühlte sich ansonsten aber wohl im säkularen Umfeld der östlichen Eliteschulen Andover, Yale und Harvard. Erst viel später, in den freichristlichen Erweckungsgemeinden von Texas, sollte sich das ändern. Und zwar erst, als sein Freund Don Evans, heute Handelsminister, ihn für eine Bibelgruppe warb. Zehn Männer lasen Vers für Vers. Die Geschichte von der Konversion des Paulus war, ganz klassisch, Bushs Damaskus-Erlebnis. Es half ihm, seine erste Wiedergeburt zu vollenden, indem er zu seinem 40.Geburtstag dem Alkohol und der Partyszene abschwor. Heute spricht Bush selten, aber offen darüber. Ohne Gott, sagt er, „säße ich heute in einer Bar in Texas anstatt im Oval Office“. Oder in den Worten eines alten Freundes: „Goodbye Jack Daniels, hello Jesus.“

George Bush lebt nun im Weißen Haus jene Charaktereigenschaften aus, die besonders Konvertiten eigen sind: Selbstdisziplin, strenge Diät, Sport und Gebet. Eine Atmosphäre, die offenbar ansteckend wirkt. Denn in The Right Man, einem Erinnerungsbuch über seine Zeit im Weißen Haus, berichtet der Redenschreiber David Frum über den ersten Redefetzen, den er auf dem Weg zum Vorstellungsgespräch aufschnappte: „Habe Sie heute morgen bei der Bibelstunde vermisst.“ Womöglich ist diese religiös grundierte Frugalität einer der Hintergründe für das persönliche Zerwürfnis mit Gerhard Schröder. Denn der deutsche Kanzler, mehrfach geschieden und Freund des Rotweines, verkörpert alles, was Bush hinter sich gelassen hat.

Die Vorsehungsrhetorik schreibt Bush nicht selbst in seine Reden. Als Chef seines Redenschreiber-Stabes hat er einen Absolventen des Wheaton-Colleges angestellt, dem „Harvard für Evangelikale“. Kongenial geraten da Begriffe wie die „Achse des Bösen“ in die Manuskripte. Schon im November 2001 hat Bush selbst seinen Kontrahenten Saddam Hussein „böse“ genannt. So befremdlich, ja fundamentalistisch sich diese Sprache für europäische Ohren anhören mag, so sehr ist sie verwurzelt in Amerikas politischer Tradition. In ihrer brachialen Variante entstammt sie der Idee einer manifest destiny, einer Vorbestimmung, die 1845 die Ermordung der Indianer als göttlichen Auftrag rechtfertigt, Freiheit und Demokratie auf einem dunklen Kontinent zu verbreiten. Weil diese Vorstellung eine imperiale Versuchung enthält, ist sie vielfach gebrochen worden. Nach dem Bürgerkrieg von Abraham Lincoln, der spöttisch vom „beinahe auserwählten Volk“ sprach. Und der Versuch Woodrow Wilsons, im Namen universeller Gerechtigkeit „Amerikas Bestimmung zu vollenden und die Welt zu erretten“, endete nach dem Ersten Weltkrieg in einer Phase des Isolationismus. Seither ist die Skepsis gegenüber Welterlösungsfantasien so verbreitet wie die Fantasien selbst.

Auch George Bush ist aufgewachsen mit dieser Skepsis und einem Bewusstsein von den Grenzen amerikanischer Macht. Zwar sieht eine Kritik, der jedes Maß abhanden kommt, Bush als „Kreuzritter“ auf dem Weg nach Bagdad. In Wahrheit aber ist es Bush selbst, der seine evangelikalen Glaubensbrüder vor einer Missionsreise an den Euphrat warnt und jedes Mal öffentlich dazwischenfährt, wenn seine Förderer den Islam als korrupte, gewalttätige Religion denunzieren. Dass dem Irak mittels Krieg die Demokratie zu bringen sei, gehört nicht zum alten Kernbestand seiner Überzeugungen. Angetreten als Gegner des nation building, ist er bis heute eher in Gefahr, Amerikas Truppen zu schnell zurückzuziehen.

Die Vorstellung eines Einmarsches ist nämlich Ergebnis seiner zweiten, seiner politischen Wiedergeburt. Noch im Wahlkampf gab er sich als Verfechter einer „bescheidenen Außenpolitik“, die sich zurückziehen wollte aus den Brandherden der Welt. Seiner späteren Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sagte er, er stehe zur Entscheidung seines Vaters, den Golfkrieg 1991 ohne Sturz Saddam Husseins zu beenden. Einen neuen Krieg gegen den Irak hätte Bush ohne den 11. September 2001 gewiss nicht angestrebt, schon gar nicht durchgesetzt – trotz des Trommelns wichtiger Berater. Erst der Anschlag hat seiner bis dahin bedeutungslosen Präsidentschaft Sinn und Ziel gegeben. Und dieses Ziel lautet: einen zweiten Anschlag während seiner Amtszeit zu verhindern – beinahe um jeden Preis. Dafür hat Bush seine Außenpolitik der Zurückhaltung zugunsten einer Doktrin der präventiven Gewaltanwendung aufgegeben. Diese neue Sicht des Präsidenten George W. Bush harmoniert besser mit seinen religiösen Überzeugungen. Darin liegt ihre Versuchung. Sie ist zugleich volatiler. Darin liegt eine Chance. Ob Bushs Doppelwelt Bestand hat, wird nicht zuletzt der Krieg entscheiden.

George W. Bush

lebt mit der Frage des Krieges „in völligem Frieden“. Seine Präsidentschaft sei Teil eines göttlichen Planes. „Wir kennen die Wege der Vorsehung nicht, und doch können wir ihr vertrauen“
zeit.de
 
aus der Diskussion: Ist Bush ein Bibel schwingender Schwachkopf ??
Autor (Datum des Eintrages): antigone  (14.03.03 02:35:47)
Beitrag: 3 von 12 (ID:8886175)
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