Fenster schließen  |  Fenster drucken

SCHRÖDERS REFORMPROGRAMM

Kündigungsschutz lockern, Arbeitslosengeld kürzen

Selten war die Regierungserklärung eines Kanzlers mit so großer Spannung erwartet worden. Nach einem Friedensappell rief Gerhard Schröder die Deutschen zu Mut zu Veränderungen auf. Zwei Veränderungen, die dem Kanzler vorschweben: Das Arbeitslosengeld soll gekürzt, der Kündigungsschutz gelockert werden.


REUTERS

Bundeskanzler Schröder


Berlin - Schröder hat alle Teile der Bevölkerung aufgefordert, sich auf einschneidende Veränderungen einzustellen. "Wir müssen den Mut aufbringen, uns und unserem Land jetzt die Veränderungen zuzumuten, die notwendig sind, um wieder an die Spitze der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Europa zu kommen", sagte Schröder im Bundestag.
Die auf etwa eine Stunde angelegte Rede steht unter dem Motto "Mut zum Frieden und Mut zur Veränderungen". Schröder kündigte im Wirtschaftsbereich die Kürzung staatlicher Leistungen und die Forderung nach mehr Eigenleistung von den Einzelnen an. "Niemand wird sich entziehen dürfen", sagte der Kanzler.

Zur Irak-Krise forderte er: "Wir müssen den Mut aufbringen, für den Frieden zu kämpfen, solange noch ein Funken Hoffnung besteht, dass der Krieg vermieden werden kann". Auf Schröder werden in der vierstündigen Debatte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und später CSU-Chef Edmund Stoiber antworten.

Der Kanzler rief die europäischen Staaten eindringlich dazu auf, wirtschaftlich und politisch zusammenzustehen. "Wir werden sowohl unsere Verantwortung als auch unsere mitgestaltende Rolle in einer multipolaren Weltordnung des Friedens und des Rechts nur dann umfassend wahrnehmen können, wenn wir das auf der Basis eines starken, geeinten Europas tun", sagte Schröder in seiner Regierungserklärung im Bundestag.

"Es geht um die Rolle Europas in der internationalen Politik. Es geht aber auch um die Unabhängigkeit unserer Entscheidung in der Welt von morgen." Beides könne nur erhalten werden, wenn Deutschland und Europa wirtschafts- und sozialpolitisch beweglicher, solidarischer und stärker würden. "Europa ist die Idee, der wir uns verpflichtet fühlen", sagte der Kanzler. "Heute kann Europa Frieden und Stabilität, Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklungschancen durchaus auch exportieren."

Schröder kündigte eine deutliche Kürzung des Arbeitslosengeldes an. Für die über 55-Jährigen solle die Auszahlung auf zwölf und für die unter 55-Jährigen auf 18 Monate begrenzt werden. Zur Zeit liegt die maximale Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld bei 32 Monaten.

Schöder kündigte auch neue Regelungen für den Kündigungsschutz an, um diesen "für Arbeitnehmer und Unternehmer besser handhabbar" zu machen. Das gelte vor allem für Kleinbetriebe mit mehr als fünf Mitarbeitern, sagte Schröder. Darüber hinaus solle eine wahlweise Abfindungsregelung bei betriebsbedingten Kündigungen und eine veränderte Sozialauswahl geschaffen werden. Damit werde die "Hürde für Neueinstellungen" gesenkt.

Die Arbeitgeber rief Schröder dazu auf, die bereits beschlossenen Flexibilisierungen in der Arbeitsmarktpolitik für Neueinstellungen zu nutzen. Auch die Wirtschaft müsse "Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen", sagte Schröder. Er nannte die erweiterten Möglichkeiten für Zeit- und Leiharbeit und die Entlastung der Minijobs von Sozialabgaben.

Schröder forderte auch flexiblere Tarifverträge. Dazu sei unabdingbar, dass in den Tarifverträgen "Optionen geschaffen werden, um den Betriebspartnern Spielräume zu bieten, Beschäftigung zu fördern und zu sichern", sagte der Kanzler. Diese Betriebsvereinbarungen, für die es bereits heute zahlreiche Beispiele gebe, will Schröder unter den Tarifvorbehalt der Tarifparteien stellen.

Schröder sagte auch, eine Reihe von Leistungen aus dem Katalog würden aus der gesetzlichen Krankenkasse ausgekoppelt. Dazu zähle beispielsweise das Mutterschaftsgeld, das aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden müsse.

Es werde im Gesundheitswesen "einschneidende Kurskorrekturen" im Gesundheitswesen angekündigt. Die Kosten von Sozialleistungen dürften "nicht immer nur und immer wieder" dem Faktor Arbeit aufgebürdet werden, sagte Schröder . Die Reform der Krankenversicherung sei der "wichtigste, auch notwendigste Teil der innenpolitischen Erneuerung". Auch bei der Rente kündigte er weitere Reformschritte an.

Schröder will die knappen Kassen der Gemeinden ab 2004 von den Zahlungen für die "arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger" entlasten. Für bis zu einer Million Sozialhilfeempfänger werde "künftig die Bundesanstalt für Arbeit zuständig sein", sagte Schröder. "Die Gemeinden werden dadurch in Milliardenhöhe entlastet." Die Gemeinden sollen von ihrem Beitrag für die Flutopfer befreit werden und so 800 Millionen Euro sparen können.

Einer höheren Mehrwertsteuer zur Finanzierung von Steuersenkungen erteilte Schröder eine klare Absage. Wollte man Forderungen nach einem Vorziehen der Steuerreform realisieren, ginge das nur über Neuverschuldung oder Erhöhung der Verbrauchssteuern, sagte der Kanzler. "Beide Wege sind nicht zu verantworten", stellte er klar. Zuvor hatte er auch Forderungen nach einem Vorziehen von noch ausstehenden Steuerreformschritten zurückgewiesen. Es bleibe dabei, die beiden Steuerentlastungsschritte Anfang 2004 und Anfang 2005 umzusetzen.

Die Gehälter der Minister und Staatssekretäre der Bundesregierung werden in diesem Jahr nicht erhöht. Schröder sagte: "Alle müssen einen Beitrag leisten", sagte der Kanzler angesichts der schlechten Wirtschaftslage und den von ihm verkündeten Einschnitten in das Sozialsystem.

In Sachen Kontrollmitteilungen von Banken an den Fiskus erklärte sich Schröder gesprächs- und kompromissbereit. Er sei sicher, dass mit der Opposition, die dieses Instrument ablehnt, ein gangbarer Kompromisse gefunden werde, sagte er.
 
aus der Diskussion: Die große Rede von BK G. Schröder
Autor (Datum des Eintrages): Stormwatch  (14.03.03 10:20:29)
Beitrag: 80 von 115 (ID:8887806)
Alle Angaben ohne Gewähr © wallstreetONLINE