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Das erste Mal

passierte im November. Die Liebe krachte mir aus allen Poren.
Der knallrote massive Kartoffelvollernter versperrte direkt die Ausfahrt vor unserer Garage mitten in der stillen Wohnsiedlung, und meine Mutter konnte mich deshalb nicht zum Gymnasium bringen, denn um 14 Uhr wollten wir zu unserer Studienreise nach Berlin aufbrechen. Ich kam natürlich zu spät, ohne den heimlich im Auto versteckten Whisky, und der letzte Platz im Bus sprach deshalb Bände - nicht hinten zwischen meinen Freunden, sondern vorn zwischen den Mädchen, mitten zwischen Eva, Andrea, Sandy, Christina und Elke. Und das fing gut an.
Ich hatte die Absicht, aufs Ganze zu gehen. Ich wollte nicht mehr warten, war schließlich 18,9999 Jahre alt, und diese 9999 hatte ich theoretisch mit dem „Komma Periode 9“ den Mädchen erklärt, denn schließlich hatte ich Mathe und Erdkunde als Leistungskurse.
Die ersten Kilometer absolvierte ich ohne Annäherungsversuche, hin und wieder konnte ich einige gewagten Bemerkungen in das FrauenGespräch einwerfen, bis wir nach Helmstedt kamen, wo die Vopos den Bus inspizierten.
Für mich kam die große erdkundliche Stunde, denn ich sagte, wir sind jetzt in der DDR und bald in Berlin, und meine sanften Worte beruhigten die Mädchen, und ich beobachtete aus den Augenwinkeln ihre furchtsame Bewunderung für mein geographisches Verständnis.
Daniel schob sich durch den Gang nach vorn zu mir, trug einen schwarzen Mantel, „ ist November“, sagte er, obwohl die Heizung im Bus lief, und fragte mich vorwurfsvoll nach dem Whisky. Ich zuckte die Schultern und verwies auf den roten Kartoffelvollernter. Daniel stellte sich wie Batman vor mich, damit unser Klassenlehrer uns nicht sehen konnte, er entkorkte die Flasche, und ich tankte.
Michael stand nun auch im Gang, und dann auch noch Philipp, und diese waren meine direkten Konkurrenten, denn ich kannte ihre stolze FrauenWunderZahl: 3 mal dieser, jener 4 mal – so viele Frauen und so viele Male. Ich hatte Krokodile in den Augen.
Ich hatte ihnen damals vor zwei Jahren 16,9 gesagt, und diese meinten natürlich nicht mein Alter, sondern meine FrauenSkala. Deshalb habe ich notgedrungen mitgelogen und alles total erfunden. Deshalb war ich in Frauendingen also phänomenologisch voll drauf, leider aber nur theoretisch, und wenn einer partout nicht vorwärts kam mit seiner Alten, kam er zu mir, und ich sagte, du brauchst den Schubumkehr beim Landen wie ein Pilot.
Berlin sollte mein Berlin werden, am nächsten Abend gingen wir zur Mauer, verdammt grau, davor einige Sprayer, ich schubste Melanie in die Seite, „hast noch eine ColaWhisky“, fragte ich sie, aber ich konnte mich aus unverständlichen Gründen nicht auf sie konzentrieren, obwohl sie schon Flusenkontakt hergestellt hatte.
Wir waren am Brandenburger Tor, alle waren irgendwie unruhig, wir schauten von einem Aussichtsturm in den Osten, Eva winkte mit einem Taschentuch wie mit einer Deutschlandfahne hinüber, und – verdammt - schon waren die Tage vorbei, und nichts hatte gefunkt. Schon am Mittwoch wollte ich Christina in den Clinch nehmen, aber irgendwo hat es psychologisch geknirscht, obwohl sie am zweiten Knopf an ihrer Bluse herumspielte. Diese Geste habe ich richtig interpretiert, aber bei mir sind die Drähte zu lasch gesponnen. Donnerstag Abend hatte Eva sich beim Jazz beide Arme wehrlos über den Kopf gehoben, verdammt lang, und ich witterte ihre Strömung und ich hätte schon fast den entscheidenden Schritt getan, aber da kam der Kellner, und als ich Eva wieder ansah, hatte sie das Glas mit den Händen umschlossen.
Nachts kamen wir zum Schülerhotel, ziemlich angetörnt, Daniel hatte mir etwas aus der Zeitung vorgelesen, die DDR stünde in letzten Zügen, ich schlief ein.
Der Lehrer trieb uns früh aus den Betten, „Alkoholfahne“, schimpfte er; und auf der Fahrt zum Reichstag sprach er von historischen Zeiten, und heute Abend, sagte er, gehen wir alle ins Schiller-Theater: Don Carlos. Doch zum Glück kamen wir nicht dazu, denn abends gab es eine andere Parole. Alle zur Mauer, es röche nach Revolution.
Wir gingen Arm in Arm, links neben mir Eva, rechts Sandy, um uns herum Leute, Leute, Leute - am Brandenburger Tor kein Durchkommen, und dann tatsächlich ein Wunder, auf der Mauer Menschen, keine Gewehre, sie lachten, ich schlotterte, eine Stunde und noch eine und mehr, und irgendwann ein Knall, ein Loch in der Mauer, und tatsächlich, tatsächlich kommt ein Trabi, dieser Leukoplastbomber, er fährt stotternd durch die Mauer, und die Vopos machen die Augen dicht, der Trabi kommt mit seinem Schmollmund genau auf mich zu, und ich drehe mich um, und ich sehe denselben Schmollmund von Sandy, und sie küsst mich, und ich sie, und sie mich -- das war schon das zweite Mal.
 
aus der Diskussion: First Love.......
Autor (Datum des Eintrages): duennerippen  (15.03.03 11:12:16)
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