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Die Welt braucht Amerika, sagt George W. Bush. Damit das Böse von diesem Planeten verschwindet, damit die islamischen Länder Demokratie bekommen. Notfalls mit Gewalt. Der Irak-Krieg soll nur der Anfang sein, schon jetzt träumen Verteidigungsstrategen von einer globalen Militärpräsenz. Die Botschaft der USA: Wir sind unschlagbar und unersetzlich für die Welt. Wirklich?

Der französische Historiker und Demograph Emmanuel Todd hat jetzt ein Buch herausgegeben, in dem er der Weltmacht USA noch fünf Jahre gibt, denn, so Todd, der Niedergang Amerikas als Supermacht habe schon begonnen: "Die Welt braucht Amerika nicht mehr. Wir brauchen weder amerikanische Truppen, noch amerikanisches Geld. Aber - und das ist vielleicht die Ironie der Geschichte - ausgerechnet jetzt, wo Europa alleine klar kommt, merkt Amerika, dass es auf den Rest der Welt dringend angewiesen ist."

Amerika, eine Weltmacht vor dem Kollaps? Abhängig von Europa? Emmanuel Todd beschreibt die USA als einen Riesen, der auf tönernen Füssen steht. Die militärischen Aktionen der Amerikaner, der Showdown, den das Fernsehen tagtäglich zeigt, sie sind für Todd nur Imponiergehabe. Der Krieg gegen den Irak soll von innenpolitischen und wirtschaftlichen Problemen ablenken: "Jeder denkt: Amerika ist sehr stark und produktiv. Das Zentrum der Welt, das Land moderner Technologien. Aber wenn man genauer hinschaut, dann sieht man ein riesiges Defizit im Außenhandel. Und merkt: Amerika ist im Grunde ein unproduktives Land."

Die Wirtschaft der USA - eine riesige Luftblase? Tatsache ist: Die Amerikaner haben kaum noch Industrie. Sie produzieren wenig, aber konsumieren umso mehr. Die Waren liefert ihnen der Rest der Welt. Diesen Luxus können sich die Amerikaner nur deshalb leisten, weil Investoren aus aller Welt ihr Geld in die USA tragen. Denn dort war es bisher am sichersten. Doch das Erfolgssystem Wall Street droht einzustürzen. Der Dollarkurs sinkt, andere Börsen könnten attraktiver werden. Weil die wirtschaftliche Macht schwindet, setzt die Regierung umso mehr auf weltpolitische Drohgebärden.

"Die USA," so Todd, "müssen irgendwie ihre Existenz rechtfertigen - und die vielen Importe, von denen sie leben. Deshalb tun sie so, als seien sie unverzichtbar für den Rest der Welt im Kampf gegen die sogenannte `Achse des Bösen`. Aber ich denke, es ist eine Strategie der Ablenkung, Irak zu attackieren oder Nord-Korea zu bedrohen. So will Amerika im Zentrum der Weltordnung bleiben, oder zumindest so tun als ob."

Und was ist mit dem Terror der islamischen Länder? Ist er keine wirkliche Gefahr für die Welt? Für Emmanuell Todd ist der Terror ein vorläufiges Phänomen. Die islamischen Länder sind im Umbruch. Den macht er an zwei statistischen Größen fest. Erstens: Die Geburtenzahlen gehen zurück. Zweitens: Die Menschen lernen lesen und schreiben. Das, so lehrt die Geschichte, führte bislang immer zur Demokratisierung - auch in Europa vor einigen Jahrhunderten. Und der Weg zur Demokratie führte immer über Revolutionen und Unruhen: "Es stimmt, dass wir Gewalt und Terrorismus haben. Aber das ist leider ein notwendiger Teil des Wandels. Und man muss hinzufügen: Die islamische Welt als Einheit gibt es gar nicht. Und darum auch nicht als bedrohliche Macht."

Die Welt, so Todds optimistische Sicht, demokratisiert sich selbst. Und die USA sind dann nur noch eine Demokratie unter vielen. Und aus Angst vor der Bedeutungslosigkeit könnte Amerika vom Friedensstifter zum Störenfried werden, der Krisen braucht, um weiter Supermacht zu spielen. Emmanuel Todd zeichnet in seinem faszinierenden Buch eine erschreckende Vision. Die wirkt zum Teil etwas hergeholt, aber gerade in diesen Tagen scheint sich sein "Nachruf" auf eine Weltmacht zu bestätigen.

"Ich war früher zutiefst pro Amerika und habe mich deshalb wenig für die Europäische Frage interessiert. Und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sah ich keine Notwendigkeit für ein europäisches Gegengewicht zu Amerika. Aber jetzt habe ich meine Haltung völlig geändert, und heute bin ich sehr für ein starkes Europa, denn ich habe das Gefühl, Amerika könnte gefährlich werden."


Emmanuel Todd, geboren 1951, ist Forscher am Institut National d`Etudes Demographiques (INED) in Paris. Er ist Autor zahlreicher sozialwissen- schaftlicher Bücher. Auf Deutsch sind von ihm u. a. erschienen: "Das Schicksal der Immigranten" (Claassen Verlag 1994), "Die neoliberale Illusion" (Rotpunkt Verlag 1999).


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Sehr lesenswert ist auch das folgende Interview mit dem Autor:
http://www.nzz.ch/dossiers/2002/irak/2003.02.02-hg-article8N…

Grüße
 
aus der Diskussion: US-Wahl: Die Dumpfbacken haben gewonnen
Autor (Datum des Eintrages): Rhabarber  (25.03.03 15:05:15)
Beitrag: 116 von 176 (ID:8981458)
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