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Aus der FTD vom 31.3.2003
Kolumne: Amerika verliert seinen Nimbus
Von Christoph Keese

Der Irak-Krieg dauert erst zehn Tage, doch durch die ständige Fernsehpräsenz erscheint er dem Publikum länger. Großbritanniens Premier Tony Blair hat Recht, wenn er aufzählt, wie viel in diesen wenigen Tagen erreicht wurde, und der Öffentlichkeit vorhält, durch den Medienkonsum ihr Zeitgefühl zu verlieren.


Noch ist es zu früh für eine Prognose über den Ausgang des Konflikts. Die Alliierten haben weder gewonnen noch verloren, Saddam Hussein ist nicht der moralische oder politische Sieger. Der Krieg kann noch Monate, vielleicht Jahre dauern - ebenso gut kann er schon bald vorbei sein. Auch in Afghanistan sah es in den ersten Kriegswochen nach einem Dauerkonflikt aus, dann aber kam der Durchbruch sehr schnell.

Bereits jetzt steht aber fest, dass die Amerikaner mit einem Verlust rechnen muss: Sie verlieren ihren Nimbus als unbezwingbare Supermacht. Frankreichs ehemaliger Außenminister Hubert Védrine hat die USA einmal "Hyperpuissance" genannt, da sie so überwältigend mächtig schienen, dass "Supermacht" als Bezeichnung nicht mehr reichte. Diese Hypermacht reklamierte für sich, zwei große, weit voneinander entfernte Kriege gleichzeitig führen zu können. Sie glaubte, ihre Technik werde Mann-zu-Mann-Kämpfe unnötig machen; ferngesteuerte Drohnen, Präzisionsbomben, unverwundbare Hubschrauber und uranummantelte Panzer würden chirurgische Blitzkriege ermöglichen.



Deutschlands Blitzkrieg als Vorbild


Niemand propagierte diesen Anspruch so laut wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Im Mai 2002 empfahl er in einem Grundsatzartikel für "Foreign Affairs" den deutschen Blitzkrieg als militärisches Vorbild: "Deutschlands tödliche Kombination bestand aus schnellen Panzern, motorisierter Infanterie und Artillerie sowie Stukas - alles konzentriert auf einen Abschnitt der gegnerischen Linie. Die Wirkung war vernichtend."


Rumsfeld kündigte damals an, die amerikanische Armee auf Blitzkrieg-Taktik umzustellen - nicht ganz, aber zu wichtigen Teilen. Begeistert schilderte er ein Erlebnis vom Frontbesuch in Afghanistan: Seine Special Forces ritten auf Lasteseln hinter die gegnerischen Linien und dirigierten von dort aus US-Bomber ins Ziel. Mutige Einzelkämpfer auf dem Boden, Hightech in der Luft, kombiniert mit motorisierten Blitzattacken - dieses Szenario aus dem "Foreign Affairs"-Artikel wurde später zur Grundlage der Planung für den Irak-Krieg. Für den Beweis dieser Doktrin setzte Rumsfeld den Nimbus der Unbesiegbarkeit aufs Spiel. Auch wenn der Krieg gerade erst begonnen hat, darf man vermuten, dass dieser Dogmatismus ein Fehler war.


Nur mühsam ließ Rumsfeld sich vor Kriegsbeginn zusätzliche Truppen abringen. Er hielt sie nicht für nötig. Trotz dieser Aufstockung aber blieben es zu wenig. Rumsfeld will ein weitaus größeres Territorium als Kuwait mit dem Bruchteil der Invasionsarmee von 1991 erobern. Außerdem experimentiert sein Pentagon mit neuen Formen der Kriegsführung. Erstmals liegen die Versorgungslager nicht direkt hinter der Front, sondern Hunderte von Kilometern entfernt in Kuwait. Prompt geriet die Nachschublinie unter Beschuss.




Schwere Planungsfehler


Viele Panzer und Lastwagen fahren wegen Spritmangels derzeit auf Reserve, die Lebensmittel der kämpfenden Soldaten sind rationiert. Diese Fehler notdürftig zu beheben, kostet wertvolle Ressourcen: Das US-Heer hat nur etwas mehr als zwei Divisionen im Einsatz. Davon sind drei Brigaden - zahlenmäßig etwa so viel wie eine Division - nur damit beschäftigt, die Verbindung zwischen Kuwait und Nadschaf zu schützen.


Weil Rumsfeld fast jeden denkbaren Partner vergrätzt hat, ist jetzt kaum jemand da, der ihm militärisch helfen kann. Wohl oder übel muss er den Vorstoß auf Bagdad bremsen, bis Verstärkung eintrifft. Das kann Wochen dauern. Vor den Augen der Welt zieht er Truppen von anderen Standorten ab. Dass die USA in der Lage sein könnten, zwei Kriege dieser Größe gleichzeitig zu führen, dürfte schon jetzt als Illusion gelten. Fast alle Flugzeugträger liegen vor Irak. Panzer, Lastwagen, Diesel und sogar warme Mahlzeiten gelten plötzlich als Mangelware. Dadurch entsteht ein gefährliches Vakuum: Jeder Staat der Welt weiß, dass sich Washington im Augenblick um nichts anderes kümmern kann als um Saddam. Das ist ein Freibrief für Abenteurer.



Abschreckung ist eine unverzichtbare politische Größe. Sie verhindert Kriege. Je mächtiger ein Hegemon, desto geringer die Bereitschaft seiner Gegner, sich ihm zu widersetzen. Aus Sicht des Mächtigen funktioniert Abschreckung nach dem Muster von Hackordnungskämpfen im Tierreich: Möglichst vielen Konflikten ausweichen, um eigene Kräfte zu schonen. Aggressive Rivalen jedoch müssen souverän besiegt werden, damit das Rudel sieht, wer der Stärkste ist. Alphatiere leben von ihrem Nimbus. Er sichert ihre Stellung und schützt sie vor zu vielen Kämpfen.


Rumsfeld hätte auf Außenminister Colin Powell hören sollen. Als dieser Generalstabschef war, galt die Powell-Doktrin: Angriffe finden nur mit absolut überlegener Streitmacht statt. Es darf nie ein Zweifel an der eigenen Unbesiegbarkeit aufkommen. Egal, wie der Irak-Krieg ausgeht: Die Welt wird nicht vergessen, wie den Amerikanern nach einer Woche die Puste ausgegangen ist und sie dann unter Zeitdruck Nachschub aus allen Ecken ihres Reiches zusammenkratzen mussten.



© 2003 Financial Times Deutschland

http://www.ftd.de/pw/in/10489315243...l?nv=cd-divnews

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Schöne Kolumne

Egal wie dieser Krieg ausgehen wird, Amerika hat ihn bereits verloren und ist NICHT mehr eine militärische Superweltmacht. Von der eigenen Arroganz überrollt!

Fehlt nur noch der anvisierte Dollarcrash & dieses Land ist schneller bedeutungslos als man sich hier auch nur ansatzweise vorstellen kann.

 
aus der Diskussion: Die amerikanische Verschuldungsmaschine
Autor (Datum des Eintrages): Maikaefer_bella_Font  (30.03.03 18:55:27)
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