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Aus der FTD vom 2.4.2003
Irak-Tagebücher: Ein irakischer Atomphysiker packt aus
Von Silke Mertins, Amman

Ein geflohener Wissenschaftler berichtet von seiner Arbeit für Saddam.

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ZoomSilke Mertins
Drei Mal hat der junge Mann, den ich Abdel nennen soll, das vereinbarte Treffen verschoben. Auch als wir schließlich in der Lobby meines Hotels sitzen, fühlt er sich nicht sicher. Immer wieder sieht er sich um. Abrupt hält er inne, wenn der Kellner kommt, um Tee oder einen neuen Aschenbecher zu bringen. Geflohene Atomphysiker wie er stehen auf der Liste des auch im Ausland operierenden irakischen Geheimdienstes ganz oben.

Abdel hat vorher noch nie mit einem Journalisten gesprochen, sagt er. Er tue es jetzt, "aus patriotischen Gründen", denn das irakische Regime "verschwendet unseren Reichtum". Mit mir ist er nur bereit zu sprechen, weil unser Kontaktmann ihm geschworen hat, dass ich nicht mit dem Regime des Diktators Saddam Hussein sympathisiere. Das irakische Atomprogramm, sagt er, habe nie aufgehört zu existieren.

Sieben Jahre, bis 1999, arbeitete er in der "Gammastrahlen-Abteilung" der irakischen Atomenergie-Organisation 50 Kilometer südöstlich von Bagdad. Seine Aufgabe bestand darin, alternative Materialien für das Programm zu testen - als Ersatz für solche, die wegen des Embargos schwer zu bekommen waren.

Mangelndes Vertrauen

"Wir standen immer unter enormen Zeitdruck", berichtet er. "Den einzelnen Wissenschaftlern wurde nicht vertraut, wir sollten nur wissen, was unser einzelnes Projekt betraf, durften keine Fragen stellen und standen unter ständiger Beobachtung." Wenn die Uno-Inspektoren kamen, hieß die Anweisung: Nie direkt antworten. Nur die für solche Befragungen vom Geheimdienst trainierten Abteilungsleiter hätten mit den Inspektoren sprechen dürfen.

Ähnlich haben auch die Uno-Kontrolleure, die bis 1998 vor Ort gearbeitet haben, das irakische Vorgehen geschildert. Doch überprüfen kann ich Abdels Darstellung nicht. Ich frage ihn nach Einzelheiten. Er schreibt mir die verschiedenen Sorten natürlichen Urans auf ein Blatt Papier. In Tikrit, der Heimat Saddam Husseins, sagt er, habe es eine "elektromagnetische Station" gegeben. Dort sei Uran 235 auf 93 Prozent angereichert worden. Bevor die Inspektoren kamen, um die Station abzurüsten, habe man dieses Material eingekapselt und versteckt oder in mobilen Laboren weggebracht. Unterlagen seien teilweise auf dem Gelände vergraben. "Sie sind sehr gut im Verstecken." Das Regime verfüge auch über abgereichertes radioaktives Material. Zumindest für eine "Dirty Bomb" existiere ausreichend Material und Expertise, ist Abdel überzeugt.

Zusätzlich zu begabten jungen Physikern, Biologen und Chemikern, die direkt für die Waffenprogramme von der Uni Bagdad rekrutiert würden, hätten sich sehr viele Wissenschaftler aus der ehemaligen Sowjetunion und Jugoslawien in Irak aufgehalten, so der 33-Jährige. Abdel ist sicher, dass das Regime in Bagdad im Zweifelsfall Massenvernichtungswaffen einsetzen wird. Er macht auf mich einen glaubwürdigen Eindruck. Doch für die in Irak direkt Betroffenen hoffe ich, das es nicht stimmt.

© 2003 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD

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aus der Diskussion: Die amerikanische Verschuldungsmaschine
Autor (Datum des Eintrages): frutta  (02.04.03 01:17:21)
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